Die Volkspartei Niederösterreich beweist wieder einmal, wie effektiv ihr Apparat funktioniert: So schnell und kompromisslos wie sie würde wohl keine andere Organisation einen kompletten Stilwechsel vollziehen. Die Partei von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner ist kaum wiederzuerkennen. Bis vor einem halben Jahr verschrieb sie sich dem "Miteinander" – und präsentierte das als Zusammenarbeit zum Wohl des Landes, während sich SPÖ und FPÖ zu Tode umarmt fühlten. Öffentlich ausgetragenen Konflikten ging Mikl-Leitner oft aus dem Weg.

Seit einigen Wochen gilt hingegen die Devise "Mitte mit Kante". Die ÖVP will wieder stärker anecken, und das tut sie konsequent: Sie erklärt sich zur Vertreterin der "normal denkenden Mehrheit" und stuft angebliche Minderheitsmeinungen damit als abnormal ein. Das sind Methoden, mit denen bisher nur die FPÖ aufgefallen ist. Dazu zählen auch persönliche Angriffe auf einzelne Journalisten: Den Falter-Chef Florian Klenk degradierte die Partei zum "Gesinnungsjournalisten", nachdem dieser sich als linksliberal bezeichnet hatte.

Johanna Mikl-Leitner
Johanna Mikl-Leitner hat einer Umfrage zufolge an Vertrauen verloren.
Heribert Corn

Warum vollzieht die Landeshauptfrau eine 180-Grad-Wendung von der Partei des Miteinanders zur Partei des Gegeneinanders?

Angeknackstes Selbstbewusstsein

Den Auslöser für den Persönlichkeitswechsel lieferten 929.500 wahlberechtigte Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher, die der ÖVP bei der Landtagswahl im Jänner die Stimme verweigerten. Das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte hat dem Selbstbewusstsein der Landespartei einen ordentlichen Knacks verpasst – vor allem aber verlor die ÖVP ihre absolute Mehrheit im Landtag und die Mehrheit in der Landesregierung.

Das wäre für sich genommen wohl schon das Ende des Miteinanders gewesen: Denn mit soliden Mehrheiten lässt sich leicht von Zusammenarbeit reden, wenn man in Wahrheit ohnehin alleine entscheidet. Anecken, das hatte die ÖVP Niederösterreich bisher nicht nötig, sie war eine Einheit mit "dem Land" – doch diese Zeiten sind vorbei.

Schwäche kompensieren

Es kam aber noch schlimmer für die Landeshauptfrau: Während eine bittere, aber machbare Koalition mit der SPÖ zunächst als so gut wie fix galt, platzte diese Variante nach zahlreichen Verhandlungswochen. Der neue rote Landesparteichef Sven Hergovich verkündete, sich eher die Hand abzuhacken, als eine Vereinbarung ohne sechs ausgewählte Punkte seiner Partei zu unterschreiben. Die ÖVP und vor allem Mikl-Leitner selbst waren brüskiert – und paktierten in einer Koalition mit der FPÖ, die die Landeshauptfrau wie sonst niemand persönlich verunglimpft hatte und die sich zu Pandemiezeiten immer weiter radikalisiert hatte.

Das Wahlergebnis, der Eklat mit der SPÖ und nun die ungeliebte Koalition mit den Freiheitlichen: Das alles verwandelte die Volkspartei. Von einer Organisation, die das Land selbstbewusst und mit starker Hand regierte und damit von Ruhe und Eintracht profitierte, zu einer Partei, die ihre Schwäche durch Lautstärke kompensieren muss und bei jeder Gelegenheit nach dem härtestmöglichen Streit sucht.

Mikl-Leitner rückt selbst aus

Die ÖVP Niederösterreich steht zumindest in ihrer Selbstwahrnehmung so schlecht da, dass sie von größtmöglicher Polarisierung profitieren würde: So viele Menschen sind ihr ohnehin schon abgeneigt, dass es sich auszahlt, den Rest durch Streitereien stärker an die Partei zu binden. Und dafür wirft sich Mikl-Leitner immer öfter selbst in die Schlacht.

Das zeigte sich auch am Wochenende. Vizekanzler Werner Kogler von den Grünen bezeichnete Mikl-Leitners Einteilung in normal und abnormal Denkende im Profil als "präfaschistoid" und ordnete ihre Ideen damit in einer Vorstufe zur Faschismus-Ähnlichkeit ein. Zur Verteidigung rückte nicht etwa der Landesgeschäftsführer oder der Klubobmann aus. Mikl-Leitner macht solche Dinge nun persönlich, auf den Gastkommentarseiten von Zeitungen oder in sozialen Medien. "Wer in der Mitte steht, wird von Rechten als links und von Linken als rechts beschimpft – jetzt sogar als faschistisch", schrieb die Landeshauptfrau in einem Facebook-Posting und ließ die Vorsilbe "prä" und die Nachsilbe "oid" unter den Tisch fallen.

Verlorenes Vertrauen

Der neue Stil der ÖVP Niederösterreich gefällt vielen nicht. Das mag ein kalkulierter Kollateralschaden oder ein folgenschwerer Kommunikationsunfall sein – wahr ist es jedenfalls. Das legt einerseits eine Umfrage für die Niederösterreichischen Nachrichten nahe, in der Mikl-Leitner persönlich massiv an Vertrauen eingebüßt hat.

Und andererseits gibt es selbst innerhalb der Volkspartei kritische Wortmeldungen zum niederösterreichischen Kurs. Finanzminister Magnus Brunner fand die Wortwahl im Konflikt "nicht so prickelnd". Er sagte im ORF auch: "Was normal ist, entscheidet jeder selber." Und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka erklärte am Montag, dass die Politik auf solche Auseinandersetzungen "getrost verzichten" könne.

Zahlt sich das aus? Diese Frage wird erst in viereinhalb Jahren beantwortbar sein – wenn sich bei der nächsten Landtagswahl zeigt, ob die Polarisierung der ÖVP genutzt hat. Bis dahin werden aber wohl noch einige Presseaussendungen, Postings und Gastkommentare im Stil des Gegeneinanders geschrieben werden. (Sebastian Fellner, 11.7.2023)