Entscheidung im EU-Parlament über Renaturierungsgesetz
Ziel des Gesetzes ist es, die Biodiversität und die CO2-Bilanz zu verbessern.
EPA/JULIEN WARNAND

EU-weit/Straßburg – Bevor das EU-Parlament in die Sommerpause geht, steht am Mittwoch in Straßburg noch eine wegweisende Abstimmung auf der Tagesordnung. Das weitreichende Umweltschutzgesetz zur Wiederherstellung der Natur kommt ins Plenum. Lehnen die EU-Abgeordneten den Vorschlag wie auch schon im zuständigen Umweltausschuss ab, droht ihm das vollständige Aus. Selten sorgte ein Vorhaben in Brüssel für einen so heftigen politischen Schlagabtausch wie das sogenannte Renaturierungsgesetz.

Vor allem die Europäische Volkspartei (EVP), darunter die ÖVP, stellt sich lautstark gegen das Gesetz – auch Natur Restauration Law (NRL) genannt. Die Bedürfnisse der Bauern werden ihrer Ansicht nach nicht genügend berücksichtigt und die Versorgungssicherheit sei damit gefährdet. EVP-Fraktionssprecher Pedro Lopez de Pablo zeigte sich zuletzt überzeugt, genügend Stimmen für die Ablehnung des Vorhabens zu bekommen. Auch die rechtsnationale ID-Fraktion, der etwa die FPÖ angehört, Konservative und Teile der Liberalen sind dagegen.

Tausende Wissenschafter, Umweltverbände und Großunternehmen sprechen sich wie etwa Grüne und Sozialdemokraten hingegen für das Projekt zur Wiederherstellung der Natur aus. Die Befürworter sehen in dem Gesetz einen wichtigen Baustein eines unbedingt notwendige Systemumbaus, der langfristig Natur und Ernährung gleichermaßen sichert.

ÖVP will "zurück an den Start"

"Zurück an den Start", forderte der ÖVP-EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber in einem Pressegespräch am Dienstag in Straßburg. Der aktuelle Gesetzesentwurf werfe viele Fragen etwa zur Entschädigung von Grundbesitzern auf, gefährde sowohl die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln als auch den Ausbau der erneuerbaren Energien, klagte der niederösterreichische Landwirt. Außerdem warnte Bernhuber vor großem Aufwand bei der Datensammlung: "Wenn wir einen Wiesenschmetterlingsindex einführen müssen", dann schaffe das "nur Bürokratie" und koste Millionen.

Der EU-Kommission wirft der ÖVP-EU-Mandatar einen Ansatz "von oben herab" vor, die Sorgen der Landwirte seien "kleingeredet" worden. Auch gebe es bereits viele Verordnungen, die den Bereich des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur abdecken würden. Den Vorwurf, die Europäische Volkspartei, der die ÖVP angehört, betreibe Wahlkampf im Hinblick auf Juni 2024, wies Bernhuber zurück.

Die FPÖ-Delegation will nach eigenen Angaben jeglichen Vorschlag ablehnen. Das Vorhaben enteigne Bauern und verursache Nahrungsmittelknappheit, warnte der freiheitliche Europaparlamentarier Roman Haider. Europa werde dann von einem "Lebensmittelexporteur zu einem Lebensmittelimporteur". Es "ist mir schleierhaft, was sich die Bürokraten in ihren Brüsseler Elfenbeintürmen bei diesem Gesetz gedacht haben", hieß es dazu in einer Aussendung Haiders. FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky sieht keine Notwendigkeit, das auf europäischer Ebene zu regeln.

"Krieg gegen den Green Deal"

Für den grünen EU-Parlamentarier Thomas Waitz führt die EVP einen "Krieg gegen den Green Deal". Der sogenannte Green Deal ist ein umfassendes Gesetzespaket, mit dem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die aus den Reihen der EVP stammt, die EU bis 2050 klimaneutral machen will. Einige Beobachter vermuten hinter dem Verhalten von EVP-Chef Manfred Weber bereits Wahlkampf für die EU-Wahlen im Juni 2024.

Nach Medienberichten lehnt die EVP auch einen Vorstoß der Liberalen ab. Die Renew-Fraktion will demnach einen Vorschlag einreichen, der näher an der Position der EU-Staaten liegt. Die Mitgliedsländer konnten im Juni eine allgemeine Ausrichtung erzielen, obwohl es auch in ihrem Kreis etliche Bedenken gibt. Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) hatte sich bei der Abstimmung enthalten, nachdem die Bundesländer, in deren Zuständigkeit der Naturschutz fällt, geschlossen ihre Ablehnung des vorliegenden Texts bekundet hatten.

Ziel des Gesetzes ist es, die Biodiversität und die CO2-Bilanz zu verbessern. Laut EU-Kommission befinden sich 80 Prozent der europäischen Lebensräume in einem schlechten Zustand. Ihrer Vorstellung nach sollen etwa mehr Mischwälder entstehen und bis 2050 fünf Prozent mehr Grünflächen in Städten. 70 Prozent der entwässerten, landwirtschaftlich genutzten Moorgebiete sollen bis dahin zudem wiederhergestellt werden.

Der SPÖ-EU-Abgeordnete Günther Sidl kritisiert die Haltung der Konservativen scharf. "Es gibt viel zu tun, das geht nur mit einer konstruktiven Politik", sagte der Sozialdemokrat. Die EVP betreibe Arbeitsverweigerung, so Sidl. Die SPÖ-Delegation im EU-Parlament wolle auf jeden Fall einem Gesetzesentwurf zustimmen, selbst der von den Liberalen vorgelegten Position der EU-Staaten, erklärte Sidl. Delegationsleiter Andreas Schieder ergänzte: "Alles besser als kein Gesetz." Dass es bereits viele Verordnungen gibt, die den Bereich des Renaturierungsvorhaben abdecken, sieht Sidl nicht. Die Gesetzesvorlage sei "einzigartig", so der EU-Mandatar.

Auch die Neos-EU-Abgeordnete Claudia Gamon will das Renaturierungsgesetz am Leben erhalten. "Die große, große Mehrheit meiner Fraktion" befürworte es, sagte die liberale EU-Abgeordnete. Es gebe "genügend berechtigte Kritik", aber "wir teilen das Ziel", betonte Gamon. Mit der Abstimmung über die Position der EU-Staaten gebe man der EVP die Möglichkeit, "aus diesem Loch, das sie sich gegraben haben, wieder rauszukommen".

WWF appelliert für Unterstützung des Vorhabens 

Im Vorfeld der Abstimmung meldeten sich die Umweltorganisationen WWF und Greenpeace in Österreich mit einem Appell, das Renaturierungsgesetz zu unterstützen, zu Wort. "Die geplanten Schritte zur Wiederherstellung der Natur sind eine einzigartige Chance, um die Zwillingskrise aus Biodiversitätsverlust und Erderhitzung zu bekämpfen", so der WWF in einer Aussendung. Greenpeace erklärte, die Natur stecke weltweit in einer Krise: "Das EU-Renaturierungsgesetz ist die benötigte Medizin, um hier eine Kehrtwende einzulegen."

Am Dienstag findet noch eine Debatte im Rahmen der Straßburger Plenarwoche im Plenum statt. Die Abstimmung folgt am Mittwoch, es liegen nach jüngsten Informationen aus dem EU-Parlament Dutzende Änderungsanträge vor. Kann sich das EU-Parlament auf einen Text einigen, geht es in die Verhandlungen mit den EU-Staaten.

Votiert eine Mehrheit der EU-Abgeordneten für die Ablehnung des Gesetzesvorschlags, ist das Vorhaben noch nicht komplett vom Tisch. Aber selbst wenn die EU-Kommission einen neuen Text vorlegt, gilt es als unwahrscheinlich, dass das Gesetz in diesem Fall bis zu den EU-Wahlen 2024 steht. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass das EU-Parlament über die Position der EU-Staaten abstimmt. Es wird ein knappes Ergebnis am Mittwoch erwartet. (APA, red, 11.7.2023)