Protest der Letzten Generation
Regelmäßig protestiert die Letzte Generation für mehr Klimaschutz, teils unterstützt von Forschenden.
APA/LETZTE GENERATION ÖSTERREICH

Gestreamt wurde die Veranstaltung nicht. "Das haben wir bewusst so entschieden", sagt Eva Schulev-Steindl, Rektorin der Universität für Bodenkultur Wien. "Wir wollen die Sache hier vor Ort im geschützten Rahmen diskutieren. Auch kontroversiell." Das Thema der Nachhaltigkeitstagung im gutbesuchten Hörsaal, zu der das Boku-Rektorat lud, hat jedenfalls Potenzial für kontroverse Diskussionen.

Wie sollte sich die Wissenschaft in der Klimakrise verhalten? Im Elfenbeinturm still weiter vor sich hinforschen, neutral der Community berichten oder Scientist for Future beitreten und Klimaaktivistinnen und -aktivisten unterstützen? Reinhard Steurer, prominenter Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur, hatte da erst vor kurzem sein Damaskuserlebnis. Der Grund: An der Schüttaktion der Letzten Generation im November 2022 auf ein Klimt-Werk im Leopold-Museum beteiligten sich auch Studierende, die von seiner Vorlesung angeregt worden waren, der Letzten Generationen beizutreten. Da wurde er sich schlagartig seine Verantwortung bewusst.

Zwischen Fakten und Taten

"Wir bombardieren unsere Studierenden tagtäglich mit den Fakten der Klimakrise", sagt Steurer. "Da kann ich sie jetzt doch nicht im Regen stehen lassen." Der Rest ist Geschichte. Steurer solidarisiert sich mit der Letzten Generation und nimmt mit anderen Forschenden an einer unangemeldeten Klebeaktion teil. Nicht in der Sitzblockade, sondern als Wissenschafter, der die Gunst der Stunde nutzt. Das Ergebnis: Der Protest mit Wissenschaftsbeteiligung wirkt, die Klimaaktivistinnen und -aktivisten werden aus der Ecke der verirrten Spinner herausgeholt und, erklärt Steurer: "Meine 20 Minuten Vorlesung haben mehr öffentliche Aufmerksamkeit für die Sache erzeugt als 20 Jahre Lehre und Forschung im akademischen Ambiente."

Aktuell werde Tempo 100 auch von Andreas Babler, dem neuen SP-Vorsitzenden, gefordert. "Das hätte es ohne die Aktionen nie gegeben", sagt Steurer nicht ohne Stolz. Ist die Straße – und sich daran festzukleben – daher der letzte Ausweg, um die Klimakrise zu stoppen? Auch für Professorinnen und Professoren? Nicht alle sind Steurers Meinung. "Man muss nicht immer auf volle Provokation setzen", sagt etwa Kirstin von Elverfeldt, Professorin für Geografie an der Universität Klagenfurt und Gründerin von Scientists for Future in Kärnten. Es gebe viele Formen des Protests und der Wissensvermittlung, um die Klimakrise zu erklären. "Lasst uns daher vieles versuchen."

Dass es aber neue Formen der Dringlichkeitsvermittlung brauche, sieht auch der Meeresbiologe Gerhard Herndl: "Die Erdölindustrie redete die Auswirkungen des CO2-Ausstoßes über Jahrzehnte klein – so wie die Tabakindustrie die Folgen des Rauchens." Der Effekt heute: Nicht nur die Atmosphäre, sondern auch die Weltmeere erwärmen sich, nicht nur an der Oberfläche, sondern auch in der Tiefsee. Dass man daher weiterhin, wie von Heinz Faßmann, dem Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, empfohlen, auf neutrale Faktenvermittlung der Klimakrise setzen sollte, wird, so wie von Herndl, von vielen Tagungsmitgliedern kritisch gesehen: "Man muss die Konsequenzen des Nichthandelns einer breiten Öffentlichkeit vermitteln."

Ethische Verpflichtung?

Rechtlich bleibt die Bewertung aktionistischer Wissenschaft aber eher ein Eiertanz. Aus der per Staatsgrundgesetz garantierten Freiheit für die Wissenschaft leite sich per se keine ethische Pflicht für politischen Aktionismus ab, betont Daniel Ennöckl, Leiter des Instituts für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur. "Man kann, muss aber nicht."

Wer öffentlich eine Vorlesung halte, und sei das am Praterstern, dürfe das prinzipiell - aber typisch in Rechtsfragen: Es kommt drauf an. Auch wenn man als Wissenschafterin und Wissenschafter die Freiheit dazu habe, müsste man offiziell eine Versammlung anmelden oder unter Umständen auch die Bewilligung durch eine Ethikkommission einholen, "wollte man ein sozialwissenschaftliches Experiment in der Öffentlichkeit durchführen", wie etwa Elmar Pichl, Sektionschef im Wissenschaftsministerium, betont.

Aber: Auch wenn man Gesetze übertritt, kann das trotzdem noch legitim sein. Hier gehe es dann um das eigenwillige Freiheitsrecht des zivilen Ungehorsams. Konsequenzen der Rechtsverletzung im Rahmen des Aktionismus müssten dann aber der guten Sache – und medialen Reichweite – wegen in Kauf genommen werden.

Ziviler Ungehorsam legitim

Püree auf einer Glasscheibe eines musealen Kunstwerks ist nur eine minimale bis gar keine Sachbeschädigung und eine Vorlesung am Praterstern ohne Anmeldung zwar eine Verwaltungsübertretung, aber noch kein Kündigungsgrund. "Ziviler Ungehorsam ist eine legitime Form der Notstandskommunikation", sagt Politikwissenschafter Steurer. Und die könne auch erfolgreich sein – wie etwa die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA in den 1960er-Jahren zeigte.

Dass Klimakleben kontraproduktiv für den Klimaschutz sei, weil es Leute wütend mache, lässt Steurer daher nicht gelten. "Auch drei Viertel der weißen US-Bevölkerung glaubten, dass die schwarzen Proteste nichts bringen würden." Viele hassten sie sogar. Und dennoch: "Sie haben sich getäuscht. Die Proteste führten zur Aufhebung diskriminierender Gesetze", sagt Steurer.

Übrig bleibt: Ob man Konsequenzen für die gute Sache in Kauf nehmen will oder nicht, sei eine ethische Frage, die jeder für sich selbst entscheiden müsse. Schlussendlich müsse man sich aber im Klaren sein, dass die Welt zu retten nicht der Wissenschaft obliege, sondern der Politik. Das sieht auch die Umweltsprecherin der Grünen, Astrid Rössler, ähnlich – die einzige Politikerin, die der Einladung zur Tagung Folge leistete. Sie wünsche sich im Chor der demokratischen Öffentlichkeit aber durchaus "mehr lautere Wissenschafterinnen und Wissenschafter".

Die Teilnahme an Klimaprotesten würde offiziell jedenfalls keinen Nachteil bringen. "Wir werden keine ministeriellen Weisungen erteilen", sagt Ministeriumsvertreter Pichl. "Und im Rektorat muss auch niemand um Erlaubnis anfragen", sagt Rektorin Schulev-Steindl. Frage aus dem Publikum: Ob es in Zukunft umgekehrt für Klimaaktionen Karrierevorteile oder Dienstfreistellungen geben könnte? Ungewiss. Es kommt, wie immer, drauf an: "Das muss man dienstrechtlich prüfen", sagt die Rektorin. Elmar Pichl nickt. (Norbert Regitnig-Tillian, 14.7.2023)