Nach einem Durchhänger im Vorjahr gibt die Autobranche scheinbar wieder ein Lebenszeichen von sich. Um ein Sechstel mehr Autos wurden hierzulande im ersten Halbjahr mehr neu zugelassen als in der Vorjahresperiode. Besonders erfreulich wirkt die Bilanz bei rein elektrisch betriebenen Autos: Der Zuwachs beträgt 61 Prozent auf knapp 24.000 Fahrzeuge bei einem Marktanteil von mehr als 18 Prozent an allen Neuwagen. Ist die Mobilitätswende also auf Schiene? Schließlich dürfen ab 2035 in der EU überhaupt keine fossil betriebenen Verbrenner mehr neu zugelassen werden.

Ein öffentlicher Schnellladepark wird von der Kundschaft nur wenig genutzt.
Hohe Anschaffungskosten und ein unübersichtlicher Tarifdschungel bei öffentlichen Ladestationen schrecken viele potenzielle Käufer von Elektroautos ab, vor allem im Privatkundensegment.
imago images/Cord

Ein Blick unter die Motorhaube der Statistik zeigt: Nein, keineswegs. Die Neuzulassungen bieten nämlich nur einen Blick in die Vergangenheit. Im Vorjahr kam es wegen Problemen in den Lieferketten, etwa bei Chips, zu langen Lieferzeiten, die bei Elektrofahrzeugen ein Jahr oder sogar mehr betragen hatten. Inzwischen ist dieser Rückstau fast abgebaut und offenbart Schwächen im Neugeschäft. Speziell bei Privatpersonen hinkt die Nachfrage nach E-Autos den Erwartungen weit hinterher.

Stagnierendes Neugeschäft

"Die Neuabschlüsse lassen zu wünschen übrig", sagt Günther Kerle, Obmannstellvertreter für den Fahrzeughandel in der Wirtschaftskammer. Vielmehr würde die Händlerschaft von einer Stagnation bei Elektrofahrzeugen berichten. Selbst bei den aktuellen Neuzulassungen sei der Anstieg des Marktanteils von 15 auf 18 Prozent dürftig. "Von einem Hochlaufen der Elektromobilität kann nicht gesprochen werden", betont er. "Das ist ein Problem."

"Wir haben speziell bei Privatkunden Schwierigkeiten, reine Elektrofahrzeuge abzusetzen", sagt Kerle. Warum das so ist? Einerseits sei durch die höheren Strompreise deren Betrieb generell teurer geworden, noch dazu herrsche bei öffentlichen Ladestationen Intransparenz. Der Kammerexperte berichtet von Preisen von 45 bis 95 Cent je kWh, dazu kommen Aufschläge, wenn man mit der Karte eines Anbieters bei der Station eines Mitbewerbers auflade. "Das sind horrende Zahlen, die Privatpersonen abschrecken."

"Stunde der Wahrheit"

Daher gehen die meisten Elektrofahrzeuge, derzeit fast 80 Prozent, an Großkunden. Die hätten meist eigene Ladestationen auf dem Firmengelände. Allerdings werde die Anschaffung von Elektro-Pkws heuer für Unternehmen nur noch sehr eingeschränkt gefördert. "Irgendwann läuft das alles aus", sagt Kerle über die Förderungen, "und dann kommt die Stunde der Wahrheit."

Diese Sorge ist auch bei den deutschen Herstellern angekommen, wo die staatliche Umweltprämie heuer gesenkt wurde. Man spüre die Zurückhaltung der Kunden "ebenso wie andere Hersteller", heißt es von Volkswagen auf Anfrage des "Handelsblatts". Laut Zahlen des Branchendienstleisters Marklines hat VW zwischen Jänner und Mai 97.000 Stück seiner elektrischen ID-Modelle gebaut, allerdings dafür nur 73.000 Käufer oder Käuferinnen gefunden. "Die Kundenzurückhaltung merken wir in der Elektrowelt ganz vehement", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" VW-Betriebsrat Manfred Wulff.

Besonders betroffen von der schleppenden Nachfrage ist das Geschäft mit elektrischen Klein- und Mittelklassewagen. Laut dem Branchenexperten Ferdinand Dudenhöffer vom Center for Automotive Research haben einige Hersteller wie Fiat, Renault oder Opel weniger E-Autos verkauft. Wegen sinkender Förderungen "wird der Preisunterschied im Klein- und Kompaktwagensegment zwischen Elektromodell und Verbrenner für viele zu groß", sagt Dudenhöffer. Auch die Preissenkungen und Rabatte vieler Anbieter lassen ihm zufolge auf eine schwächelnde Nachfrage schließen.

Kein wirtschaftlicher Vorteil

Das sieht Wirtschaftskammerexperte Kerle ähnlich: "Bei den Kosten bieten Elektrofahrzeuge keinen wirtschaftlichen Vorteil." Zusammen mit den höheren Anschaffungskosten sagt er über den Kauf eines Elektroautos: "Man muss schon ein totaler Umweltfan sein, damit man es trotzdem macht." Und wenn doch, dann greift die Kundschaft bei Firmenwagen zum US-Pionier Tesla, im Massengeschäft zu chinesischen Anbietern wie Byd oder Nio, die auf den europäischen Markt drängen. "Bei Elektrokleinfahrzeugen werden Europäer mit asiatischen Herstellern nicht mithalten können", meint Kerle.

Handlungsbedarf bei der Mobilitätswende hat auch das Europäische Parlament erkannt und neue Vorschriften auf den Weg gebracht. Demzufolge sollen bis 2026 auf den europäischen Hauptverkehrsrouten mindestens alle 60 Kilometer Ladestationen für Elektroautos mit einer Mindestladeleistung von 400 kW aufgestellt sein, wobei die Leistung bis 2028 auf 600 kW aufgestockt werden soll. Dazu kommt, dass die Kundschaft an Ladestationen einfach bezahlen können muss, also mit Bankomatkarten oder kontaktlosen Geräten, ohne ein Abonnement abschließen zu müssen. Zudem wird die EU-Kommission bis 2027 eine Preisdatenbank einrichten.

"Das ist ganz wichtig", sagt Kerle von der Wirtschaftskammer über die derzeit noch mangelhafte Preistransparenz bei der Ladeinfrastruktur. Ob das ausreicht, um die Nachfrage anzukurbeln, sei ohnedies dahingestellt. Seit Fazit lautet jedenfalls: "Die Verkehrswende stockt derzeit." (Alexander Hahn, 13.7.2023)