Katharina Müller und Martin Melzer, beide Rechtsanwälte mit Schwerpunkt Erbrecht und Vermögensweitergabe, bewerten im Gastblog eine neue Entwicklung der Rechtsprechung rund um Schenkungen und Pflichtanteile.

Um die Umgehung von Pflichtteilsansprüchen durch Schenkungen zu Lebzeiten zu verhindern, gibt es das System der Schenkungsanrechnung. Schenkungen an andere Pflichtteilsberechtigte können hierbei unbegrenzt, solche an Dritte innerhalb einer Zweijahresfrist ab Schenkung pflichtteilserhöhend geltend gemacht werden. Mit anderen Worten: Der Pflichtteilsberechtigte kann auch seinen Anteil an den Schenkungen fordern.

Grundriss Schlüssel
Wenn etwa ein Haus vor dem Ableben verschenkt wird, kann in manchen Fällen von Pflichtteilberechtigten eine Schenkungsanrechnung eingefordert werden.
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Eine neuere OGH Entscheidung hat den praktischen Anwendungsbereich der Schenkungsanrechnung nun zulasten der Pflichtteilsberechtigten stark eingeschränkt. Doch der Reihe nach.

Anzurechnende Schenkungen und Zuwendungen

Damit die Bestimmungen der Schenkungsanrechnung nicht allzu leicht umgangen werden können, definiert der Gesetzgeber einen weiten Zuwendungsbegriff:

Neben klassischen Schenkungen werden im Gesetz etwa auch Abfindungen für einen Pflichtteilsverzicht oder Vermögenswidmungen an eine Privatstiftung der Schenkungsanrechnung unterworfen. Weiters auch "jede andere Leistung, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Lebenden gleichkommt". Dieser wirtschaftlich geprägte Auffangtatbestand soll auch solche vertraglichen Gestaltungen erfassen, die zwar nicht als Schenkungen tituliert sind, wirtschaftlich betrachtet aber so zu werten sind (zum Beispiel die Tilgung fremder Schulden).

Im Unterschied zu echten Schenkungen bedarf es bei diesen wirtschaftlich betrachteten Zuwendungen auch keines Schenkungswillens als Anspruchsvoraussetzung. Gefordert ist lediglich ein Missverhältnis zwischen Leistung und (allfälliger) Gegenleistung. Ob derjenige, der die Zuwendung macht, dabei an eine Schenkung denkt, ist unerheblich. Damit soll sichergestellt werden, dass jede unentgeltliche Vermögensverringerung bei Ermittlung der Pflichtteilsansprüche nach dem Ableben des Zuwendenden relevant sein kann.

Die Sonderstellung der gemischten Schenkung

Der OGH hat nun die Anwendbarkeit dieses wirtschaftlich geprägten Auffangtatbestandes empfindlich eingeschränkt. In seiner Entscheidung 2 Ob 184/22f vom 13.12.2022 hatte der OGH einen Übergabsvertrag zu bewerten, mit dem einem Kind mehrere Liegenschaften übergeben wurden. In diesem Übergabsvertrag wurden bestimmte Gegenleistungen vereinbart, wie etwa die Übernahme der Hypothekarverbindlichkeiten. Der Wert dieser Gegenleistungen betrug in etwa die Hälfte des Liegenschaftswertes, es bestand daher ein erhebliches Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung.

Ein klarer Fall also für den wirtschaftlich geprägten Auffangtatbestand, würde man meinen. Nicht so der OGH: In Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung verweigerte der OGH in diesem Fall den Rückgriff auf den wirtschaftlich geprägten Auffangtatbestand. Die Übergabe sei objektiv betrachtet als gemischte Schenkung zu qualifizieren und müsse deshalb auch deren subjektive Voraussetzungen erfüllen, um pflichtteilsrechtlich berücksichtigt zu werden. Bloß das Vorliegen eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleitung genüge nicht.

Die subjektive Voraussetzung ist das Vorliegen eines Schenkungswillens. Die Beweislast für diesen Schenkungswillen liegt bei dem seinen Pflichtteil einklagenden Pflichtteilsberechtigten. Allein dieser Beweis wird ihm in aller Regel nicht gelingen. Der Geschenkgeber ist bereits verstorben und kann nicht befragt werden. Der beklagte Geschenknehmer wird wohl kaum freimütig eine Schenkungsabsicht zugestehen, wenn es darum geht, ob ein Teil der Zuwendung an die Pflichtteilsberechtigten weitergegeben werden muss.

Folgen für die Praxis

Der OGH hat mit dieser Entscheidung die Rechtsdurchsetzung für Pflichtteilsberechtigte in bestimmten Konstellationen de facto unmöglich gemacht. Noch dazu für eine Konstellation, die in der Praxis häufig vorkommt, man denke etwa an bäuerliche Übergabeverträge mit einem Ausgedinge oder die Übergabe eines Unternehmens unter Vereinbarung gewisser Gegenleistungen.

Das System der pflichtteilsrechtlichen Schenkungsanrechnung wird damit teilweise ausgehebelt. Dies ist schwer mit dem Willen des Gesetzgebers in Einklang zu bringen, durch das Abstellen auf wirtschaftliche Parameter Umgehungen zu vermeiden und die Interessen der Pflichtteilsberechtigten zu schützen. Für die Vertragserrichter eröffnen sich aufgrund dieser neuen OGH-Entscheidung hingegen gestalterische Optionen.

Es bleibt zu hoffen, dass der OGH diese Rechtsprechungslinie, die zum Nachteil rechtsschutzsuchender Pflichtteilsberechtigter ist, revidiert. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre unseres Erachtens eine gesetzgeberische Klarstellung erforderlich. (Katharina Müller, Martin Melzer, 18.7.2023)