Karl Mahrer präsentiert sich als Ungustl. Er tut das mit Erfolg. Erstens weil man ihm den Ungustl abnimmt. Zweitens weil er sein primäres Ziel, Aufmerksamkeit zu lukrieren, damit auch erreicht. Hinter dem Auftreten des Wiener ÖVP-Chefs stecken Kalkül und eine Strategie.

Als Wiener ÖVP-Chef muss man sich schon etwas einfallen lassen, um in der politischen Debatte wahrgenommen zu werden. Das könnten kluge, erfrischende, auch polarisierende und provokante Beiträge sein. Mahrer und sein Team haben sich dafür entschieden, Mobbing gegen andere Menschen zu betreiben, vermeintliche Missstände zu skandalisieren, Tatsachen zu verdrehen oder Ungeheuerlichkeiten zu erfinden. Den raffgierigen syrischen Marktstandler, der auf dem Brunnenmarkt redliche Österreicher vertreibt, hat es gar nicht gegeben. Mahrer und sein Team, das ist die ÖVP Wien, setzen auf Klischees und Vorurteile und versuchen sie zu verstärken. Sie machen eine Politik gegen Menschen. Sie betreiben Hetze.

Karl Mahrer
Der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer und sein Team machen eine Politik gegen Menschen.
Christian Fischer

Mahrers Mission ist es, Wien schlechtzumachen und der SPÖ die Schuld an all dieser Schlechtigkeit zu geben. Es geht um Kriminalität, um Obdachlose, Ausländer, Randgruppen. Am Donnerstag wollte Mahrer Missstände auf der Mariahilfer Straße aufzeigen und entdeckte einen Mann, der auf einer Bank schlief. Er hielt ihn wohl für einen Obdachlosen. Mahrer, früher selbst Polizist, ließ sich dabei filmen, wie er am Telefon die Polizei rief. Nicht die Rettung oder sonst eine Institution, die Hilfestellung hätte geben können, sondern die Polizei. Die sollte den Mann entfernen, bestrafen, vielleicht wegsperren.

Jetzt kann man sich fragen: Wer ist Karl Mahrer? Verdient er unsere Aufmerksamkeit? Genau das ist ja sein Ziel. Aufmerksamkeit schaffen durch Aktionen, die so ungehörig sind, dass man sie nicht ignorieren kann oder will.

Mahrer ist nicht irgendwer, sondern Chef der Wiener ÖVP. Ein führender Repräsentant der Volkspartei.

Als solcher trägt er dazu bei, das politische Klima zu vergiften, die Gesellschaft zu spalten und den Diskurs Richtung allgemeines Ungustltum zu verschieben. Die ÖVP versucht mit Nachdruck einen auf FPÖ zu machen. Das gelingt ihr in Ansätzen, wird ihr aber nichts bringen: Wird man Mahrer und die ÖVP dafür wählen? Oder, wenn man schon so drauf ist und den Ausländern, den Drogensüchtigen, den Linken die Schuld an allem gibt, nicht doch lieber Herbert Kickl und die FPÖ wählen?

Es ist in Wien nicht alles super, und es ist auch auf der Mariahilfer Straße nicht alles super. Es gibt Missstände und befremdliche Umstände. Aber wem ist geholfen, was wird besser, wenn Mahrer angesichts eines Mannes auf einer Parkbank die Polizei ruft? Das ist ein derartig billiger und dummer, letztendlich auch destruktiver politischer Aktionismus, dass man nicht darüber hinwegsehen kann. Es geht nicht nur um Karl Mahrer. Er ist Teil der ÖVP. Und die stellt immerhin den Bundeskanzler. Ist das die Art von Politik, mit der sich Karl Nehammer identifizieren kann? Glaubt die Volkspartei tatsächlich, sich mit einer hetzerischen, verleumderischen, spalterischen und Menschen herabwürdigenden Politik profilieren zu können? Es liegt jetzt auch am Kanzler, darauf eine Antwort zu geben. Mag sein, dass Herbert Kickl ein Sicherheitsrisiko ist, wie Nehammer behauptet. Aber Karl Mahrer ist auch eines. (Michael Völker, 14.7.2023)