Shitstorm nach einem Talk bei Servus TV: Claudia Paganini.
Shitstorm nach einem Talk bei Servus TV: Claudia Paganini.
Screenshot/ServusTV

Wien – Migration, Klima und Gendern: Mehr hat es nicht gebraucht, um nach einem Fernsehauftritt dutzende Hassmails und noch mehr beleidigende Tweets zu bekommen. Als Medienethikerin sei sie nach ­öffentlichen Auftritten häufiger mit Hate-Speech konfrontiert, "hier war es aber exponentiell".

Die Tirolerin Claudia Paganini, Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München, war am Sonntag bei der Diskussionsrunde Links. Rechts. Mitte auf Servus TV zu Gast. Die Runde debattierte über das Thema Kanzler contra Migration: Erfolgsmodell Orban? 103.000 Zuseherinnen und Zuseher sahen zu.

Bei dem Talkformat sollen zwei Gäste das rechte Meinungsspektrum repräsentieren, zwei vertreten linke Positionen. Und dann gibt es noch Michael Fleischhacker. Er ist eigentlich Moderator, hält aber mit seiner Meinung selten hinter dem Berg. "Fleischhacker war total parteiisch, er hätte sich auch gleich auf die rechte Seite setzen können", sagt ­Paganini. Die gleichen Fans, die Fleischhacker auf Twitter für seine Moderationen und Standpunkte feiern, wünschen sich, dass wegen ihr wieder Hexenverbrennungen eingeführt werden, so Paganini.

Die Medienethikerin hat nach der Sendung "50 bis 60" Hassmails erhalten, schildert sie im Gespräch mit dem STANDARD. "Gut zwei Drittel davon waren grob verletzend, mit Gewaltfantasien. Da gibt es dann Leute, die wünschen mir, von einer Horde Afghanen vergewaltigt zu werden." Da habe sie eine neue Dimension zu spüren bekommen: "Da sieht man, welche Aggression in dieser Blase ist."

Mit der "Blase" meint Paganini viele Zuseherinnen und Zuseher auf Servus TV, deren Ressentiments durch Formate wie jenes des Senderchefs Ferdinand Wegscheider, Der Wegscheider, befeuert würden. "Die Leute verlieren die Fähigkeit, zuzuhören und mit Argumenten umzugehen." Sie kämen aus der Spirale und dem Narrativ nicht mehr heraus, "dass sie von der bösen, linken Zensur dominiert werden, und sie bestätigen sich ständig gegenseitig, ohne zu merken, wie aggressiv sie selbst sind".

"Verklärung der Realität"

Die Aggression würden sie jenen zuschreiben, die sachliche Argumente liefern: "Das ist eine eigenartige Verklärung der Realitätswahrnehmung." Und: "Das passiert, wenn man so wie der Wegscheider ständig verkürzte, falsche, unzulängliche Informationen präsentiert." Nicht wenige Zuseherinnen und Zuseher würden die als Satire getarnten Falschmeldungen für bare Münze nehmen, so Paganini.

Warum geht Paganini überhaupt zu Servus TV, sie war ja schon zum zweiten Mal bei Links. Rechts. Mitte? Sie erklärt das mit dem Anspruch, den Zuseherinnen und Zusehern die Möglichkeit zu geben, auch Meinungen zu hören, die der Linie des Senders widersprechen.

Die vielen Hassmails wird Paganini dieses Mal nicht zur Anzeige bringen, "weil ich auch im ersten ­Affekt direkt zu löschen begonnen habe". Beim nächsten Mal allerdings schon: "Ich denke, dass ich, sofern sich infolge eines entsprechenden Medienauftritts meinerseits in Zukunft etwas Ähnliches abzeichnen sollte, von vornherein sammle und dann doch Anzeige erstatte."

In der Zwischenzeit habe sie vier positive Mails gekommen. "Immerhin." (Oliver Mark, 16.7.2023)