In seiner letzten Sendung vor der Sommerpause hatte Ferdinand Wegscheider noch einiges auf dem Herzen. Von der Corona-Impfung als "Gen-Experiment" über den Außenminister als "Impf-Faschisten" bis zu den Russland-Sanktionen und der "Massenhysterie in Sachen Klima": Beim Rundumschlag in seinem Wochenkommentar Der Wegscheider ließ der Senderchef von Servus TV kaum etwas aus, wogegen er nicht seit Monaten in Dauerschleife polemisiert.

Ferdinand Wegscheider
"Gen-Experiment" und "Impf-Faschist": Aus dem Repertoire von Ferdinand Wegscheiders Wochenkommentar "Der Wegscheider".
Servus TV Screenshot

"Impf-Faschist"

An der Spitze stehen seine Lieblingsthemen Corona und die Impfung – Wegscheiders Stimuli, um sich und sein Publikum in Wallung zu bringen. Bevorzugte Zielscheiben sind die schwarz-grüne Regierung und die Pharmaindustrie. Wie Wegscheiders Tiraden medienethisch und medienrechtlich zu beurteilen sind, darüber hat DER STANDARD mit Expertinnen und Experten geredet.

"Die Pandemie wird vorbei sein, der Sender könnte dadurch aber den Ruf behalten, ein Desinformationssender zu sein", sagt Jakob-Moritz Eberl, Kommunikationswissenschafter an der Universität Wien. Eberl hat im Mai 2021 im Zuge des Austrian Corona Panel Project (ACPP) in einer Studie analysiert, dass sich Corona-Verschwörungstheoretiker und Maßnahmenkritikerinnen bei Servus TV besonders gut aufgehoben fühlen.

Allein Ferdinand Wegscheiders jüngster Wochenkommentar stehe exemplarisch für die Fehlinformationen und Verschwörungsmythen, die er verbreite. "Dann braucht man sich nicht wundern, wenn die Zuseherinnen dieses Senders weniger geneigt sind, sich impfen zu lassen, und eher an Verschwörungstheorien glauben."

Gesetzesverstoß?

Eine Demokratie müsse solche Sendungen aushalten, sagt Eberl, aber: "Die Frage ist, inwiefern der Steuerzahler oder die Steuerzahlerin solche Sendungen oder Sender finanziell unterstützen muss?" Servus TV erhält im Jahr 2023 rund 1,58 Millionen Euro aus dem Privatrundfunkfonds.

Die Medienbehörde Komm Austria hatte nach einer Beschwerde des Presseclubs Concordia in fünf Fällen Verstöße gegen das Objektivitätsgebot in Der Wegscheider festgestellt – etwa beim Thema Corona.

Die Behörde ortete "grob verzerrende Formulierungen und Darstellungen ohne ausreichendes Tatsachensubstrat". Das Bundesverwaltungsgericht sah das anders und hob die Entscheidung auf. Die Causa geht in die nächste Instanz.

Walter Strobl, Jurist beim Presseclub Concordia, betont, dass es für Medien nach dem Rundfunkgesetz nur eine sehr eingeschränkte Pflicht zur Wahrheit gebe. "Zum Beispiel beim Verbotsgesetz, wo man den Völkermord nicht leugnen darf." Wenn Persönlichkeitsrechte betroffen seien, müssten die Äußerungen stimmen, sonst könnten Betroffene etwa wegen übler Nachrede klagen.

Im Falle Wegscheiders sei das Bundesverwaltungsgericht zu einem falschen Schluss gekommen. Es habe Wegscheiders Beiträge als "Fremdkommentar" eingestuft und nicht als "Eigenkommentar". Ein Kommentar beinhalte natürlich die eigene Meinung, "aber die Rechtsprechung sagt, dass er im Rundfunk dann objektiv ist, wenn er auf einer Tatsachengrundlage beruht". Das Bundesverwaltungsgericht hätte argumentiert, dass die "verschiedenen Meinungen im Programm insgesamt ausgewogen sein müssen", so Strobl. Aus seiner Sicht ist das falsch. "Wegscheider muss sich am Objektivitätsgebot messen und unterliegt bis zu einem gewissen Grad einer Wahrheitspflicht."

Was darf und soll Satire?

Ob das Format als Satire gesehen wird oder nicht, habe für die Beurteilung im gegenständlichen Verfahren keine Relevanz, so Strobl. Servus TV verweist stets auf den satirischen Charakter. Der Wegscheider sei keine Nachrichtensendung.

Alexander Warzilek vom Presserat sieht die Sendung nicht eindeutig als Satire. "Es geht eher in Richtung bissiger Kommentar." Wegscheider hatte sich zuletzt über ein kolportiertes Gesetz, das Fake News unter Strafe stelle, echauffiert. Warzilek sähe das auch sehr kritisch, denn: "Wenn das eine staatliche Stelle kontrolliert, kann das missbraucht werden."

Als Satire könne man Der Wegscheider jedenfalls nicht einstufen, sagt Medienethikerin Claudia Paganini. "In meinen Augen tarnt sie sich nur als solche." Satire solle der "Stachel in einem unreflektierten Alltag" sein und dort ansetzen, "wo man Konventionen für normal hält".

"Das Ablästern über die Regierung, das Verbreiten von Verschwörungsmythen und einer wissenschaftsfeindlichen Haltung ist keine substanzielle Kritik."

"Satire darf sich viele Freiheiten rausnehmen, aber nicht jede Art von Freiheit", so Paganini, die sich eine Debatte über das Genre wünscht. "Je weniger kritische Substanz Satire hat, desto weniger darf sie Grenzen überschreiten."

Bei Wegscheider fehle die kritische Substanz völlig: "Das Ablästern über die Regierung, das Verbreiten von Verschwörungsmythen und einer wissenschaftsfeindlichen Haltung ist keine substanzielle Kritik."

Vom Niveau her klassifiziert sie Der Wegscheider als Stammtischrede: "Gemeinsames Schimpfen gegen ein verhasstes Kollektiv." Schlecht recherchierte Behauptungen würden zu Fakten gemacht. (Oliver Mark, 15.7.2023)