Ein Mann sitzt mit einer Katze im Homeoffice vor seinem Laptop.
In vielen Berufen ist es gar nicht möglich, die Arbeit im Homeoffice zu verrichten. Vor allem Beschäftigte in der IT nützen die Möglichkeit besonders gern.
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Dreißigtausend Menschen haben die Petition gegen die Rückkehr ins Büro bei Amazon unterschrieben. Es ist eine bemerkenswerte Zahl an Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die diese Nachricht in helle Aufregung versetzt hatte. Oberboss Andy Jassy hatte der Belegschaft erklärt, es sei an der Zeit, in die Firma zurückzukehren. Im Mai machte die Petition mit dem Aufruf zum Widerstand die Runde. Anfang Juni protestierten Beschäftigte in London erneut. Die Personalchefin wurde mit virtuellen Unmutsbekundungen überschwemmt.

Allein, es half alles nichts: Der US-Riese beorderte seine Crews aus dem Homeoffice zurück ins Büro – zumindest an drei Tagen die Woche. Jassy hat im Februar in einem Memo seinen Teams lang und breit erklärt, wieso das nötig sei. Fluffig verpackt in Managementsprech, lautete die Botschaft: Wer im Büro arbeitet, ist engagierter, kreativer – und bringt sich mehr ein. Man sei zu dem Schluss gekommen, "dass wir wieder die meiste Zeit gemeinsam im Büro sitzen sollten".

Rückkehr in die Büros

Eine Erkenntnis, zu der auch andere Unternehmen gekommen sind. Zoomkonferenzen sind gut und schön, dabei fällt aber vieles unter den Tisch: der informelle Austausch, Sozialkontakte, gegenseitige Hilfe auf kurzem Weg. Virtuell konferieren ist nicht selten ein blasser Abklatsch von Besprechungen vor Ort. Gut drei Jahre ist es her, dass sich mit der Corona-Pandemie die meisten Unternehmen gezwungen sahen, von heute auf morgen ihre Beschäftigten zum Gutteil ins Homeoffice zu schicken. Für viele Betriebe und ihre Mitarbeiter war das eine Hauruck-Aktion. Nun wird zurück in die Büros übersiedelt. Wall-Street-Firmen, Tech-Giganten wie Apple, Google, Meta und andere hüpften es vor und forderten ihre Mitarbeiter auf, wieder mindestens drei Tage pro Woche im Büro zu erscheinen.

Eine Illustration zeigt ein Büro mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen an ihren Computern.
Zurück ins Büro
Während Corona hieß es an den Arbeitstisch daheim übersiedeln - jetzt ist vielfach eine umgekehrte Migration im Gange.
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Ein bis zwei Tage daheim, das hat sich bei vielen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen auch in Österreich eingependelt. Das zeigt eine aktuelle Evaluierung des Homeoffice-Pakets, die das Institut L&R Sozialforschung für das Wirtschaftsministerium durchgeführt hat. 40 Prozent der Arbeitnehmer nutzten im Jahr 2020 Homeoffice, nun ist es noch rund ein Viertel – ein deutlicher Rückgang seit den Hochzeiten der Pandemie.

Lange Wegzeiten ersparen

Woran liegt’s? Spricht nicht vieles dafür, sich den Arbeitsweg zu ersparen? Immerhin kostet der Zeit, Energie und damit auch Geld? Und kehren nun die Betroffenen freiwillig zurück? Studienautorin Nadja Bergmann hat bei Beschäftigten und Betrieben nachgefragt. Tatsächlich ist es der Wegfall der Pendlerzeiten, der für den Großteil der befragten Beschäftigten (85 Prozent) für das Arbeiten daheim spricht. Auch die Arbeitgeber halten dies für den wichtigsten Vorteil (82 Prozent). Wer einen kurzen Arbeitsweg hat, kehrt offenbar ganz gerne wieder in den Kreis der Kollegen zurück. Dazu kommt, dass viele auch auf die Pendlerpauschale nicht verzichten wollen. Drei Tage im Office, zwei daheim, darauf können sich offenbar viele einigen.

Frage der Freiwilligkeit

Fragt man in Unternehmen nach, lautet der Tenor, dass die Beschäftigten freiwillig zurückkehrten. Betriebsvereinbarungen bei größeren Betrieben, Einzelvereinbarungen bei mittleren: Homeoffice habe sich in den vergangenen zwei Jahren eingespielt und sei formalisiert worden, sagte Studienautorin Bergmann. Vor allem größere und große Betriebe seien gut gerüstet.

Eine Frau sitzt in einer Küche im Homeoffice am Tisch und arbeitet an einem Laptop.
Ist man daheim produktiver oder im Büro? Das hängt wohl von vielen Faktoren ab. Sicher ist: Viele Menschen wohlen heute mehr Freiheit - auch im Job.
dpa/Sebastian Kahnert

In der Praxis zeigt sich, dass Unternehmensführung und Beschäftigte durchaus unterschiedlicher Ansicht sind, was gut für Betrieb und Beschäftigte ist. Bei seinem Arbeitgeber gebe es eine Homeoffice-Vereinbarung, "aber es wird alles getan, dass niemand im Homeoffice ist", sagt Gerhard Brunner (dessen Name wurde von der Redaktion geändert, Anm.). Bis zum Vorstand über mehrere Managementetagen müsse beantragt werden. "Bei uns gibt es das nur auf dem Papier", sagt er enttäuscht. Brunner macht sich darauf seinen eigenen Reim: "Die Firma fürchtet sich davor, dass die Leute dann nix mehr arbeiten." Er spricht damit eine der großen Fragen in der Debatte an: Ob die Arbeit im Homeoffice produktiver ist als im Büro, ist umstritten. Belege finden sich dafür und dagegen. Und, Hand aufs Herz: Erledigen wir nicht alle daheim Kleinigkeiten? Wäsche aufhängen, Geschirrspüler ausräumen, mit dem Hund Gassi gehen? Freilich: In die Luft schauen kann man aber auch am Computer im Büro.

Kleinbetriebe hinken nach

Brunner arbeitet in einer Bank, neben IT und Versicherungen eine Branche, die Homeoffice bereitwillig umgesetzt hat. Man konnte so auch Flächen optimieren. Weniger flott geht es in der Baubranche, auch in kleineren Betrieben ist Homeoffice oft nur in Ausnahmefällen erlaubt. "Wenn am Freitag nichts mit den Monteuren abzustimmen ist, darf unser Zeichner auch einmal daheimbleiben", heißt es bei einem Salzburger Lüftungstechnikbetrieb.

Tatsächlich gaben viele Arbeitgeber in der Evaluierung an, dass sie auf Wunsch der Beschäftigten mit der Möglichkeit zum Arbeiten außerhalb der Firma reagiert hätten. Für andere war das nur eine Notfalllösung – und wurde wieder komplett abgestellt. Sie argumentieren auch damit, dass die Arbeitsleistung im Büro besser sei.

Telearbeit

Auch wer das nicht ausspricht, schätzt die Anwesenheit der Belegschaft. "Der Geschäftsführung ist es lieber, wenn die Leute mehr da sind, auch wenn das eine unausgesprochene Regel ist", sagt Evelyn Sturm (deren Name ebenfalls geändert wurde, Anm.). Sie leitet die Sales-Abteilung einer Wiener Werbeagentur. "Seit das Leben wieder ‚normal‘ läuft, gilt 50 Prozent Anwesenheitspflicht im Büro, fixe Tagesaufteilung gibt es keine." Sturm arbeitet lieber im Büro. Ihr Team darf gerne auch daheimbleiben. Ein Problem hat die 36-Jährige damit nicht: "Je mehr Vertrauen man den Menschen gibt, desto weniger wird es ausgenutzt. Und die Arbeit passiert trotzdem."

Eine junge Frau sitzt am Schreibtisch, den Kopf auf beide Hände aufgestützt.  Am Schreibtisch liegen verschiedene Stapeln an Belege und Unterlagen.
Was ist die Arbeit und bis wann ist eine Aufgabe zu erledigen? Das sollte abgesprochen werden.
imago stock&people/Jochen Tack

Ohne Vertrauen geht eben nichts. Und da hapert es oft, sagt Andreas Gnesda. Er berät Betriebe in Fragen einer zeitgemäßen Arbeitswelt. "Viele Führungskräfte sind noch einem Denken aus vergangenen Arbeitswelten verhaftet, in dem ergebnisorientierte Arbeit auf Vertrauensbasis nicht verbreitet ist." Dabei wird es nie wieder so sein, wie vor der Pandemie, auch wenn Homeoffice keine Erfindung der Covid-Zeit ist. Das gab es bereits Anfang der 1990er-Jahre, es hieß damals noch Telearbeit. Schon damals zeigte sich, dass nicht jede Arbeit dafür geeignet ist und nicht alle Menschen gleich gut damit umgehen können. Digitalisierung und vor allem der Ausbruch der Pandemie brachten eine Zäsur in die Arbeitswelt – mit neuen Herausforderungen. "Es gibt eine Entgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit, da ächzen Arbeitgeber und -nehmer gleichermaßen", sagt die Arbeitspsychologin Christina Beran. "In vielen Köpfen hält sich hartnäckig der Mythos, dass nur dann gearbeitet wird, wenn man mit Ärmelschonern am Schreibtisch sitzt", meint Beran. Mache man es anders, sei das keine Arbeit – dieses Vorurteil wirke belastend.

Was ist die Arbeit

Unternehmen müssten klare Strukturen für Homeoffice schaffen. Es müsse geklärt werden, "was ist die Aufgabe und wann ist die Aufgabe erledigt". Am besten sei eine Zielvorgabe, und auf dem Weg dorthin könne man sich frei bewegen. Beran empfiehlt, Rituale zu entwickeln: mit festgelegten Anwesenheitszeiten, Jours fixes oder anderen sich wiederholenden Fixpunkten. Wichtig sei ein Modus, wie man die Arbeit sichtbar mache. Das helfe sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern – auch bei der Vertrauensbildung. "Haben Führungskräfte Einblick in das Erledigte, fällt es leichter loszulassen. Arbeitnehmern fällt es leichter, den Feierabend zu beginnen, weil ersichtlich ist, dass die Arbeit gemacht wurde."

Zu physischen Jours fixes hat sich bei vielen die Einstellung geändert. "Haltet eure Kalender sauber", sagt ein Verfahrenstechniker in Leitungsposition aus Oberösterreich. Zahllose Besprechungen habe man nach Corona gestrichen, dadurch sei mehr Homeoffice möglich und die Produktivität sogar gestiegen.

Mehr Freiheit

"Die Beschäftigten wollen mehr Freiheit", sagt Unternehmensberater Gnesda. Dazu gehöre viel mehr als das, was der rechtliche Rahmen derzeit erlaube: Arbeitszeitregelungen, Versicherungsschutz, vieles halte mit den Bedürfnissen der Menschen nicht Schritt. Was seine These stützt: Österreich rangiert bei der Homeoffice-Nutzung EU-weit nur auf dem neunten Platz. Wer damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Verbindung bringt, liegt vermutlich nicht falsch. Auch sie ist in Schweden, Finnland und Dänemark besonders hoch.

Dass das eine mit dem anderen zusammenhängt, ahnen auch die Betriebe. Sie sehen in Homeoffice laut der Evaluierung des Instituts L&R Sozialforschung ein Instrument, das Vätern und Müttern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert. Abseits der nackten Zahlen ein weiterer wichtiger Punkt: Zur Arbeit gehört mehr als nur Produktivität. Richtig eingebettet, bietet Remote-Arbeit den vielleicht größten Vorteil: Sie führt zu glücklicheren Mitarbeitern.

Amazon-Boss Andy Jassy sieht das Glück der Mitarbeiter im Unternehmen, dort könnten sie sich weiterentwickeln und aneinander wachsen. Jetzt müssen nur noch die Beschäftigten mitspielen. (Regina Bruckner, Andreas Danzer, 15.7.2023)