Oppenheimer
Matt Damon als General Leslie Groves (l.), Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer.
AP/Melinda Sue Gordon

Die Explosion der ersten amerikanischen Atombombe am 16. Juli 1945 war ein Urknall. Ein neuer Schöpfungsakt, in diesem Fall ein negativer. Man muss schon mit den ganz großen Kategorien hantieren, wenn man einzuordnen versucht, was Christopher Nolan mit seinem Film Oppenheimer vorhat. Dass der Test unter dem Namen "Trinity", Dreifaltigkeit, geführt wurde, ist nur ein weiterer Aspekt der religiösen Dimensionen der Nuklearwaffen.

Die Menschheit griff damals in das Innerste der physikalischen Ordnung ein und machte daraus eine Technologie, die potenziell das Leben auf dem Planeten auslöschen könnte. Im Vorfeld des Trinity-Tests, der bei Nolan in seinem dreistündigen Film an zentraler Stelle steht, erkundigt sich ein von Matt Damon verkörperter General, ob die Kettenreaktion in der Bombe so gravierend sein könnte, dass sich daraus mehr als nur ein eingegrenztes Ereignis ergeben könnte.

Wegen Nazis unmöglich

Die Möglichkeit einer vollständigen Vernichtung der Erde wird mit einem eher theoretischen Restrisiko beziffert. "Mir wäre null Komma null lieber", antwortet der General, der offensichtlich Muffensausen bekommt.Null Komma null hätte bedeutet, auf die Bombe zu verzichten. Das war wegen der Nazis und der Sowjetunion nicht möglich. Mit dem Projekt unter der Leitung des Physikers J. Robert Oppenheimer begann ein Rüstungswettlauf, zu dessen Folgen gehört, dass Wladimir Putin heute die Welt erpressen kann.

Nolan verzichtet auf eine diesbezügliche Anspielung, aber auch ohne sie macht er klar, dass er mehr als nur einen historischen Film im Sinn hat. Die Figur Oppenheimer wird für ihn zu einem Archetyp: ein Wissenschafter, der mit den Folgen seines Tuns hadert. Cillian Murphy spielt den "Vater der Atombombe" als einen Mann mit tausend Gesichtern, schließlich aber als einen Entgeisterten, der dem Nichts in Auge geschaut hat.

Politischer Ehrgeiz

Sein flackernder Blick ist anfangs noch Ausdruck einer Euphorie, ins Innerste der Materie zu blicken; später spiegelt sich darin die Entfesselung der Elemente. Anfang und Ende werden selbst relativ, denn Nolan erzählt alles andere als linear, er umkreist seine Hauptfigur und umstellt sie mit einem riesigen Ensemble.Robert Downey Jr. spielt den von Ehrgeiz zerfressenen Politiker Lewis Strauss als Oppenheimers Spiegelfigur, Emily Blunt hat in der Rolle der Kitty Oppenheimer leider nur einen großen Moment, ansonsten bleibt diese Figur wie auch die von Jean Tatlock (Florence Pugh) – Oppenheimers sprichwörtlicher Affäre mit dem Kommunismus – blass.

Das Kaleidoskopische an Nolans Dramaturgie führt dazu, dass ständig neue Stars auftauchen, die Erzählebenen kommentieren einander wechselseitig. So entsteht allmählich ein faszinierender Sog, der ganze Film scheint mit sich selbst zu sprechen, im Zentrum des niemals verstummenden Chors aus vielen Einzelstimmen stehen die großen Physiker der Epoche: Kenneth Branagh als Niels Bohr, Matthias Schweighöfer als Werner Heisenberg und Tom Conti als Obi-Wan Kenobi, Pardon: als Albert Einstein.

Dass Nolan für einen extrem dialoglastigen Film das Optimum an Filmtechnik aufbietet, macht gleichwohl aus der Sache heraus Sinn: Die Explosion der Bombe stellt ein Moment der Erhabenheit dar, zu dem sich das Kino nur verhalten kann, indem es an seine Grenzen geht. Mit Bildern eines potenzierten Analogen findet Nolan sowohl eine Form für das Innerste der Katastrophe wie für die vielen Köpfe, auf die das Schlüsselereignis abstrahlt. Als "Philosoph" im Blockbusterkino ging Nolan immer schon auf das erkenntnistheoretische Ganze (am stärksten wohl in Inception).

Eine Rückkehr

Mit Oppenheimer betreibt er nun eher Geschichtsphilosophie. Die Mitte des 20. Jahrhunderts, die man nicht selten mit den Ortsnamen Auschwitz und Hiroshima benennt, findet er in einer Gegend in New Mexico, die ursprünglich den Ureinwohnern gehörte und an die Los Alamos wieder zurückgegeben werden sollte. Das wird in einem Nebensatz gesagt und ist wichtig, denn es deutet eine weitere Kreisbewegung an: eine denkbare Rückkehr zu einem Naturzustand, der dem Sünder Oppenheimer verwehrt ist.

Mit seiner Detailversessenheit macht es Nolan dem Publikum nicht leicht. Die Musik von Ludwig Göransson treibt das komplexe Geschehen regelrecht vor sich her. Ein bisschen Überwältigungsästhetik muss aber wohl sein in einem Film, der mit heiligem Ernst und mit dem erzählerischen Donnerkeil auf die vergleichsweise naiven Heldengeschichten des Blockbusterkinos reagiert. (Bert Rebhandl, 19.7.2023)