Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner von der ÖVP mit ernster Miene.
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) startete die Debatte darüber, was normal ist. Inzwischen sieht sie in der Diskussion ein Ablenkungsmanöver.
APA/HELMUT FOHRINGER

Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir uns die Normalität zurückgewünscht haben. Jetzt ist sie wieder da, und die Parteien und deren Vertreterinnen und Vertreter streiten sich darum, wer diese definieren darf. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat da einen entscheidenden Schachzug gemacht. Sie weiß nicht nur, wie Normaldenkende denken, sie unterstützt sie sogar dabei. Ihr zur Seite steht Udo Landbauer (FPÖ), der auf seiner Homepage immer noch plakativ gegen seine Landeshauptfrau wettert und unter "Neuigkeiten" den Rücktritt von Mikl-Leitner wegen "struktureller Korruption" fordert.

Aber doch, es ist normal, dass man nach Wahlen Koalitionen eingeht, die man davor den Wählerinnen und Wählern gegenüber ausgeschlossen hat, wie wir in Niederösterreich und Salzburg sehen.

Normale Oppositionspolitik

Es ist normal, dass Herbert Kickl nach Leoben fährt, um dort gegen ein Asylquartier zu wettern, um dafür Beifall zu bekommen – von dem er anscheinend nicht gewusst hat, dass es geschlossen ist. Es ist normal, dass er beklatscht wird, wenn er sagt, dass er sich, wäre er Kanzler, am Autokraten Viktor Orbán orientieren wolle. Und es ist normal, dass er mit seiner Partei aktuell in allen Umfragen vorne liegt. Wie es normal ist, dass eine Oppositionspartei, die auch in der Krise versuchte, nach bestem Wissen und Gewissen eine gute Politik mitzutragen, immer weiter absinkt.

Es ist normal, dass sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) an dieser Diskussion über Normalität beteiligt: "Ich finde schon nicht normal, dass man über Normalität überhaupt eine große Debatte führt." Und er erklärt uns, was für ihn normal total okay ist: "Es ist in Ordnung, wenn jemand sich dazu entschließt, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, aber einer, der mit dem Auto fahren muss, soll kein schlechtes Gewissen haben müssen. Und genauso ist es okay, wenn jemand sich dazu entschließt, vegan zu leben. Aber es muss auch okay sein, wenn andere gerne Schnitzel essen.“ Es ist normal, dass unser Kanzler ohne einen Schnitzel- und Autovergleich nicht auskommt. Weil er so nahe am Volk ist.

Für dieses Volk ist es normal, dass Kinder mit dem SUV bis zum Schuleingang geführt und von dort wieder abgeholt werden. Es ist normal, dass Autos beim Überholen den Mindestabstand zu Radlerinnen und Radlern nicht einhalten. Es ist normal, dass Höchstgeschwindigkeiten um zehn Prozent überschritten werden, weil es normal ist, dann nicht bestraft zu werden, selbst wenn man dabei erwischt wird – was unwahrscheinlich ist, weil es normal ist, dass es kaum Kontrollen durch die Exekutive gibt.

Normale Polizeiarbeit

Es ist normal, dass man im Freibad in Braunau seine Nazi-Tattoos präsentiert und die verständigte Polizei das Bad erst gar nicht betritt. Die Exekutive hatte in den vergangenen Wochen aber auch wirklich viel zu tun. Schließlich wurde es für sie ja normal, Menschen, die gegen die Klimapolitik protestieren, von der Straße zu entfernen und ihnen vor Augen zu führen, dass Österreich den Klimawandel nicht stoppen wird. Weil es normal ist, dass man auf dem Weg zum Bankomaten das Auto in zweiter Spur parkt und den Motor und die Klimaanlage laufen lässt, weil es draußen so heiß ist. Es ist nämlich normal, dass erst einmal die Chinesen damit anfangen sollen, ihre Kohlekraftwerke stillzulegen. Darum ist es auch normal, dass Fliegen billiger ist als Bahnfahren.

Es ist auch normal, dass große Unternehmen Milliarden an staatlicher Unterstützung bekommen, Geld, das sie zum Teil gar nicht brauchen. In Folge ist es normal, dass die Inflation steigt und sich immer mehr Menschen das Leben immer schlechter leisten können. Es ist normal, dass der Strom teuer ist, weil es normal ist, dass die Energiekonzerne Übergewinne einfahren. Selbstverständlich ist es normal, dass wir an der Merit-Order festhalten, wie es normal ist, dass wir mehr regenerative Energien wollen, aber keine Windräder und Solarparks in der Nähe.

Es ist aber auch vollkommen normal, dass sich Sprache wandelt. Gut möglich also, dass die "Normaldenkenden" einfach die nächste Evolutionsstufe der "Selberdenkenden" sind. Dann ist es aber auch normal, dass da nicht alle zur Gruppe der Normaldenkenden gehören und lieber Vorausschauende bleiben wollen. (Guido Gluschitsch, 20.7.2023)