Andreas Babler vor einer roten Wand, auf der SPÖ steht
Andreas Babler ist der mit Risko verbundene Versuch, Österreichs Sozialdemokratie auf neue Beine zu stellen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Andreas Babler ist ein Experiment. So sehen das selbst viele seiner Anhänger. Er ist der mit Risiko verbundene Versuch, Österreichs Sozialdemokratie auf neue Beine zu stellen und mit einem prononcierten Linkskurs in die Zukunft zu führen. Das Experiment kann für die SPÖ sehr gut ausgehen; es könnte auch bitter enden. Noch ist beides denkbar.

Ein möglicher Versuchsausgang wäre: Babler gelingt es, im Wahlkampf ein Kanzlerduell gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl auszurufen. Es wird ein Gefecht zwischen links und rechts, in dem die ÖVP kaum Platz findet. Von dieser Polarisierung und Zuspitzung kann Babler profitieren und ein mehr als respektables Wahlergebnis nach Hause bringen. So wäre auch mit einem Schlag die SPÖ geeint. Erfolg verbindet. Immer.

Ein anderer Versuchsausgang: Um die Kanzlerschaft duellieren sich ÖVP und FPÖ. Babler wurde von seinen Gegnern erfolgreich als realitätsferner Marxist geframt. Er ist der Dritte am Spielfeldrand, der im Wahlkampf keinen Platz für sich findet. Das Wahlergebnis ist schließlich mau, parteiinterne Kritiker fühlen sich bestätigt, eine Einigung der verschiedenen Lager der SPÖ wird de facto unmöglich. Babler scheitert.

Jedes dieser Szenarien könnte eintreten. Natürlich kann es auch ganz anders kommen. Aber viele Menschen, die den SPÖ-Chef kennen und aus der Nähe beobachten, sind sich einig: Babler, dieses Experiment geht entweder richtig auf – oder wird krachend scheitern. Was ist wahrscheinlicher?

Bis jetzt ist die interne Euphorie, die im Babler-Lager spürbar wurde und sich auch in 15.000 neuen Parteieintritten manifestierte, nach außen hin noch kaum bemerkbar: Die Partei bewegt sich in Umfragen nicht vom Fleck. Thematisch rudert Babler herum, vor und zurück. Mit der aktuellen Kampagne der SPÖ für Vermögenssteuern – und gegen Superreiche – setzt sich die Partei dem Vorwurf aus, Spaltung zu betreiben und die politische Polarisierung voranzutreiben.

Natascha Strobl gehört zum engsten Kreis um Babler, sie ist Vorstand jenes Vereins, über den die Finanzierung seiner Kampagne lief. Offiziell hat die Politikwissenschafterin und Autorin keine Funktion, inoffiziell ist sie eine starke organisatorische Stütze Bablers. Und mit 180.000 Followern auf Twitter ist Strobl zweifellos auch eine Größe auf Social Media, wo sie ihren Einsatz für Babler mit Verve kommuniziert. Dass die SPÖ in den Umfragen nicht vom Fleck kommt, sei eingepreist gewesen, sagt sie.

Auf den Schlips treten

Strobl hält es für gut und richtig, dass die SPÖ nun auf eine Art Klassenkampf setzt und "unsere Leut" gegen die anderen positioniert. "Babler spricht jene Leute an, die von ihrer Arbeit leben müssen. Das sind die meisten." Dass die bürgerliche Mitte hier nicht mitkönne, sieht sie nicht, "das ist eine Frage des Standpunkts". Da fühlten sich genau die Richtigen auf den Schlips getreten, befindet Strobl.

Ein wirkliches Konfliktthema sei der Klimaschutz, das werde sich noch auswachsen, prognostiziert Strobl. "Wenn die SPÖ relevant sein will, dann wird sie sich dem Thema stellen müssen", sagt die Politologin. "Tempo 100 werden wir ausdiskutieren müssen. Das wird auch für die Partei schmerzhaft werden."

Babler wurde von seinen Gegner erfolgreich als realitätsferner Marxist geframt.
APA (7), Reuters (3), Collage: Der Standard

Manchen in der SPÖ sind Diskussionen wie diese längst unangenehm. Die meisten roten Landesorganisationen wollten Hans Peter Doskozil; keinen Linksruck, sondern kantige Migrationspolitik. "Tempo 100, Cannabis-Legalisierung – Babler wird gerade von seiner eigenen Themensetzung eingeholt", sagt ein erfahrener roter Stratege. "Es muss sich ständig korrigieren und erklären. Man kann nur hoffen, dass ihm die Wiener wenigstens die Basiswahl des Vorsitzenden durchgehen lassen. Das ist schließlich seine Kernforderung."

Privatjets und Modernität

Hier hakt Rudolf Fußi ein. Der Unternehmer und PR-Berater brennt für die SPÖ, steht ihr aber kritisch gegenüber. Auf Twitter (70.000 Follower) nimmt er sich kein Blatt vor den Mund, für Babler hat er große Sympathien. Im Führungsfindungsprozess der SPÖ hat Fußi aber Doskozil unterstützt. Er hatte dem Burgenländer größere Chancen eingeräumt, bei FPÖ-Anhängern und ehemaligen Wählern von Sebastian Kurz zu punkten.

Fußi sagt: Die SPÖ werde sich der Diskussion über den Klimaschutz nicht entziehen können. Er rät, das Thema defensiv, aber pragmatisch anzugehen: "Tempo 100 ist absolut sinnvoll, zuerst aber müssen wir den Reichen ihre Privatjets verbieten." Das werde intern eine heikle Diskussion, in der SPÖ sieht Fußi wenig Bereitschaft zur Modernität. Die Wiener SPÖ und der rote Gewerkschaftsflügel seien zwei reformresistente Blöcke.

Bei der aktuellen Kampagne Bablers hat Fußi mehrere Einwände. Sie sei zu simplifizierend. Wer sind denn "unsere Leut", fragt Fußi. "Gusenbauer, Kern und Ludwig?" Es sei zudem problematisch, sich einzelne Feindbilder wie Mark Mateschitz herauszupicken. Babler hatte vorgerechnet, was man mit den Milliarden machen könnte, hätte Mateschitz Erbschaftssteuer bezahlen müssen.

Babler sei noch auf der Suche nach sich selbst, sagt Fußi, das sei die ganze Partei. Die Emotion stimme, aber die konkreten Ableitungen müssten erst gefunden werden. Fußis Fazit: Babler habe das Herz am rechten Fleck und wolle die richtigen Dinge, er brauche aber noch Zeit. Und er müsse in der SPÖ endlich die wesentlichen Akteure an einem Tisch versammeln. Dass es bis heute kein einheitliches Wording, sondern eine "wilde Kakofonie" gebe, sei ein Managementfehler.

Und dann gibt es natürlich noch das Burgenland, angeführt von Doskozil, Bablers Kontrahenten aus der Stichwahl. Doskozils Leute sagen ganz klar: In die Bundespolitik mische man sich nicht mehr ein. Sehr wohl aber habe Doskozil als Landeshauptmann noch eine Meinung und klare Positionen fürs eigene Bundesland. Und im Burgenland soll 2025 gewählt werden. Ab Herbst werde die burgenländische SPÖ wieder laute Politik für den ländlichen Raum machen – "auch wenn das in dem einen oder anderen Punkt nicht deckungsgleich ist mit der Bundespolitik", heißt es im Burgenland. Es gelte, eine absolute Mehrheit zu verteidigen.

Andreas Babler mit nachdenklichem Gesichtsaudruck
Babler sei noch auf der Suche nach sich selbst, sagt Sozialdemokrat und Unternehmer Rudolf Fußi.
APA/ROLAND SCHLAGER

Diskreditierungskampagne

Der Journalist und Autor Robert Misik, ein bekennender Sozialdemokrat, ist von den mauen bundesweiten Umfragewerten der SPÖ nicht überrascht. Schuld an der mäßigen Performance sei auch die Diskreditierungskampagne, die sowohl von außen, aber auch von innen komme. "Das verunsichert die Leute", sagt Misik. Er ist aber überzeugt davon, dass sich Babler über den Herbst in den Umfragen hochkämpfen werde. Babler sei ein "Menschenfischer", sagt Misik, der aus seiner Sympathie für den Traiskirchner Bürgermeister nie ein Hehl gemacht hat. Die Sommertour werde Erfolg haben.

Dass Bablers Meinung mit der Parteimeinung nicht immer konform gehe, sei zwar ein Problem, "aber immerhin war er ehrlich und hat nicht herumgeschwurbelt". Tempo 100 sei jedenfalls die richtige Antwort gewesen. "Die Sozialdemokratie muss zu allen relevanten Themen das Richtige sagen, auch wenn’s jetzt einmal wehtut", sagt Misik. Für "dummen Populismus" sei kein Platz. (Katharina Mittelstaedt, Michael Völker, 23.7.2023)