Rammstein Stadion Konzert Wien
Fans auf dem Weg zu einem Rammstein-Konzert in Bern. In Wien soll die Band am Mittwoch und am Donnerstag zwei Konzerte im vollen Ernst-Happel-Stadion spielen. Manche gaben ihre Karten zurück, manche griffen erst recht zu.
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Viele Fans der Band Rammstein befinden sich aufgrund der Vorwürfe gegen Sänger Till Lindemann in einer Zwickmühle. Kann man die Kunst vom Künstler getrennt betrachten? Oder unterstützt man mutmaßliches missbräuchliches Verhalten, wenn man weiter zu Konzerten geht? Sollen diese boykottiert oder abgesagt werden, bis die Vorwürfe juristisch geklärt wurden? Oder kommen durch Boykottmaßnahmen auch viele unbeteiligte Dritte unter die Räder? DER STANDARD hat sich bei Leserinnen und Lesern umgehört, wie sie diese Streitfrage nun für sich persönlich beantworten.

"Noch eine zweite Karte"

"Ich habe aus dem Rücklauf der Tickets auch noch für den Mittwoch Karten besorgt. Ich gehe also zwei Mal hin. Ich bin noch immer ein Anhänger der Unschuldsvermutung. Lindemann mag kein Lieber sein, aber bewiesen ist gar nichts. Wieso Konzerte absagen? In der katholischen Kirche gibt es einige rechtskräftige Verurteilungen und die Gottesdienste will auch niemand absagen. Sobald irgendetwas von den Vorwürfen bewiesen ist, strengste Bestrafung, was das Gesetz hergibt! Aber bis dahin..." (Dieter H.)

"Ich war richtig wütend"

"Ich habe meine Karte vor einer Woche verkauft, hätte nicht gedacht, dass noch irgendjemand Tickets kauft... immerhin mit schlappen 3 Euro Verlust. Mir ist die Lust an Rammstein bereits nach der ersten Meldung der Vorwürfe vergangen. Ich war richtig wütend, als ich die erste Meldung zu den Vorwürfen gelesen habe, da ich Rammstein immer als sehr professionell und irgendwie auch als ehrliche Jungs mit Geschäftssinn eingeschätzt habe. Ich hoffe wirklich, dass sich die Vorwürfe nicht bewahrheiten, die Konzerte sind grandios, phänomenal – ich will das mit gutem Gefühl wieder erleben. Konträres bin ich bereit als Kunst gelten zu lassen, weil es immer kritische Stimmen gibt – aber nicht, wenn es um solche Vorwürfe geht, da hört es sich auf! Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, trotz Tickets nicht hinzugehen, was ich mir finanziell nicht leisten kann (oder eher will, wenn man ehrlich ist als Alleinerziehende). Konzerte mit 100.000 Besuchern, das wird niemals abgesagt! Es hängen so viele andere wie Hotels, Wien-Tourismus davon ab, das System wird sich wohl nicht so leicht sprengen lassen." (Michaela T.)

"Bin in einer wirklichen Zwickmühle"

"Wir sind eine Gruppe von sechs Freundinnen und Freunden und (waren) durchaus große Rammstein-Fans. Die Gruppe zählt(e) zu meinen absoluten Lieblingsbands. Wir konnten für das Konzert in Wien Tickets ergattern, haben diese aber nun verkauft. Bei fünf von sechs Personen war die Entscheidung sofort getroffen, einer hat länger überlegt und sich weiter informiert, dann aber auch verkauft. Wären die Tickets nicht so teuer gewesen, wäre mir persönlich lieber gewesen, sie verfallen zu lassen, damit vor einem "leeren" Stadion gespielt wird, aber das wäre ohnehin ein Wunschdenken. Ich selbst war und bin in einer wirklichen Zwickmühle. Die Vorwürfe sind heftig und ich kann mir nicht im Ansatz vorstellen, durch welche Hölle die betroffenen Frauen nun gehen müssen, niemand würde sich freiwillig so etwas antun und diese Vorwürfe frei erfinden. Natürlich gilt immer noch die Unschuldsvermutung. Was mich jedoch am meisten stört, ist, wie die Band damit umgeht. Auch wenn die Vorwürfe (hauptsächlich) Till Lindemann betreffen, ist für mich das Unternehmen Rammstein als Ganzes zu betrachten. Wer in einem Unternehmen beispielsweise bei Steuerhinterziehung zusieht und nichts unternimmt, ist genauso strafbar und mit im Boot. Meine Zwickmühle kommt daher, dass ich einfach die Musik unglaublich mag und ein großer Fan bin bzw. war. Ich könnte es aber selbst nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, zum Konzert zu gehen und dort Spaß zu haben und die Zeit zu genießen. Ich kann aber völlig nachvollziehen, wenn andere Fans das können und, solange nichts bewiesen ist, auch noch ihren Spaß an der Band haben können. Für mich (bzw. uns) ist die Band (leider) Geschichte und auch bereits von meinen Playlists gelöscht." (Gerhard Z.)

"Kann nicht so tun, als ob nichts wäre"

"Ich und meine Verlobte hatten Karten für das erste Konzert in Wien ergattert (die besten Plätze). Als allerdings die ganzen Meldungen kamen sowie der Bericht der Youtuberin Kayla Shyx (ganz mutige Dame!), konnten wir so etwas nicht mehr mit unserem Gewissen vereinbaren und haben die Karten um 100 Euro weniger bei der Fanbörse verkauft. Wir wären aber auch nicht mehr gegangen, wenn wir sie nicht losgeworden wären. Es ist sehr schade, da wir uns wirklich darauf gefreut haben, mitunter auch weil meine Verlobte die spektakuläre Show noch nicht erlebt hat. Nur bei solchen Vorwürfen kann man nicht einfach so tun, als ob nichts wäre. Es ist eine Schande, wie vielen Leuten das egal ist und wie viele trotzdem gehen. Denn auch wenn die Unschuldsvermutung gilt: So viele Frauen werden sich nicht einfach alles ausdenken! Und was war die Reaktion der Band? Nichts! Bis über einen Anwalt verlautbart wurde: "die Beschuldigungen sind allesamt unwahr". Sogar wenn die Missbrauchsvorwürfe nicht stimmen würden, wäre es alleine schon deshalb verachtenswürdig, wenn ein 60-jähriger "Star" es darauf anlegt, mit so jungen Frauen ins Bett zu wollen. Auch die Bandmitglieder haben kaum etwas gesagt, als ob sie nicht wissen würden, was auf ihren eigenen Konzerten so passiert oder was ihr Sänger nach dem Gig so macht." (Michael L.)

Die laufende Rammstein-Europatour ist von Protesten begleitet. Vor den Stadien wird mit Schildern demonstriert, auch für Wien sind Proteste angekündigt.
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"Trennung von Kunst und Künstler:in"

"Ich persönlich werde meine Karte behalten und werde von diesem Standpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht abweichen, solange der Besuch der Konzerte möglich ist. Ich begründe diesen Standpunkt vor allem mit der meiner Meinung nach unbedingt notwendigen Trennung von Kunst und Künstler:in. Es würde zu großen Problemen führen, würde der Inhalt jeglicher Kunst direkt auf den:die Künstler:in projiziert. Genau das ist aber in der Debatte rund um die Vorwürfe gegen die Band Rammstein oft passiert; so wurden zum Beispiel Liedtexte oder Gedichte von Rammstein bzw. im speziellen Till Lindemann häufig benutzt, um die Vorwürfe gegen ihn zu bestärken. Dieses Vorgehen kann ich gar nicht verstehen. Ein Gedicht über eine Vergewaltigung macht den Verfasser genauso wenig zum Vergewaltiger wie ein Krimi über einen Mörder den Autor zum Mörder macht." (Christoph D.)

"Debatte spaltet so sehr wie Corona"

"Ich gehe mit meinem Verlobten selbstverständlich zum Rammstein-Konzert. Mir tut es im Herzen weh, dass so viel Hass gegen die Band geschossen wird und vor allem gegen die Fans. Ja, ich höre gerne Rammstein, befasse mich mit den provokativen Texten, und ich mag sie. Was ich schade finde in der aktuellen Debatte, dass es die Gesellschaft bzw. Freundschaften so sehr spaltet wie Corona. Damals wurde man verurteilt, wenn man für oder gegen Masken war, nun wird man verurteilt, wenn man Rammstein hört, mit einem Shirt von der Band herumlauft oder sagt, ja ich gehe zum Konzert. Erst letztlich wurde ich beleidigt, weil ich aufs Konzert gehe. Ich solle mich als Frau schämen, solche Leute zu unterstützen, das sei ekelhaft. Das war richtig schockierend... Mir fehlten die Worte... Ich finde, man darf nicht vorverurteilen. Meines Wissens durfte jede Frau gehen, die Nein gesagt hat. Also wo ist das Problem? Das Recruiting? Bei anderen Bands gab es das genauso und die gaben Interviews darüber und wurden dafür gefeiert! Ich hoffe, ich kann auf das Konzert gehen, ohne von irgendwelchen Demonstranten beleidigt oder attackiert zu werden. Ich will gar nicht mit den Öffis fahren." (Celina L.)

"Boykott träfe auch Unbeteiligte"

"Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber ich werde das Konzert besuchen, weil ich die Karte geschenkt bekommen habe und ich es als unhöflich empfinden würde, sie weiter zu verkaufen. Ich werde das Konzert besuchen, weil von einem Boykott auch Personen betroffen wären, die mit den Anschuldigungen nichts zu tun haben. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wird es das letzte Rammstein-Konzert gewesen sein, das ich besucht habe." (Barbara K.)

"Werde hingehen und mich dafür schämen"

"Vorerst zu mir: Ich bin gerade 30 geworden, weiblich, lesbisch und würde mich als Feministin bezeichnen. Ich höre Rammstein seit nun 19 Jahren, ich habe damals eine gebrannte CD von Rammstein vom Freund meines Vaters bekommen und hab sie mir rauf und runter angehört. Vor ein paar Jahren war ich dann auf meinem ersten Konzert von Rammstein in Wien und habe es so sehr geliebt, dass ich noch heute Gänsehaut bekomme, wenn ich daran denke. Jetzt habe ich wieder Karten, und angesichts der derzeitigen Vorwürfe gegenüber der Band bekomme ich ungute Gefühle. Mein Freundeskreis und Bekanntenkreis, sogar Kollegen machen negative Kommentare darüber, dass ich wahrscheinlich wieder hingehen werde. Ich habe Angst und Scham vor den Demonstrantinnen, denen ich vorm Stadion begegnen werde, und fühle mich insgesamt unwohl. Die Karte zu verkaufen kann man vergessen, außer man gibt sie zu lächerlichen Preisen her, und sie verfallen zu lassen fühlt sich nicht richtig an, wobei es moralisch wahrscheinlich das Richtige wäre. Die letzten Monate habe ich gehofft, dass sich das alles im Nichts verläuft, aber es wird wöchentlich schlimmer.
Ich werde vermutlich hingehen, ich werde nichts davon posten und mich danach schämen. Ich hoffe, ich kann es genießen. Ich glaube den Opfern, und ich bin angewidert von der Band, trotzdem bin ich in einer Situation, die mich völlig überfordert und die es mir scheinbar unmöglich macht, moralisch richtig zu handeln." (Maria T.)

(Stefan Weiss, Christian Schachinger, 25.7.2023)