Die Babyschale steht schon am Wohnzimmersofa bereit, daneben liegen ein paar Strampler. Als wir Familie F. besuchen, steht die Geburt ihres zweiten Kindes kurz bevor. Doch Zeit für Vorfreude gibt es kaum. Herr F. hat am Vortag seinen Job verloren, macht sich Sorgen um die Zukunft seiner bald vierköpfigen Familie. Sie wohnen in Wien-Favoriten, aktuell in einer Start-up-Wohnung des Vereins Mut. Frau F. und ihr Sohn sind allerdings nur vier Stunden pro Tag daheim, denn sie müssen die Nächte und den Großteil der Tage in einem Mutter-Kind-Haus der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) verbringen.

Frau sitzt in Wohnung auf dem Boden
Bei den Wohnkosten lässt sich kurzfristig kaum sparen. Dafür verzichten die Menschen anderswo. Sie kaufen billige Lebensmittel, gehen nicht mehr zum Friseur oder schieben Zahnarzttermine auf.
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Denn Anfang des Jahres wurde Familie F. aus ihrer Gemeindewohnung delogiert. Erst einen Tag davor hat die Familie die Zusage für die Übergangswohnung bekommen, in der sie jetzt lebt. Doch da war die MA 11 schon tätig geworden und hatte den Umzug ins Heim angeordnet – um den kleinen Sohn vor der Wohnungslosigkeit zu bewahren. Nun hofft die Familie, nach der Geburt des Babys und "wenn sich die Familienverhältnisse stabilisiert haben", wie die Kinder- und Jugendhilfe es nennt, bald wieder zusammenleben zu können.

Angst vor dem Umzug

Ähnlich wie Familie F. geht es vielen Menschen am Wohnungsmarkt. Sie können für ihre Miete oder ihre Betriebskosten nicht mehr aufkommen. So auch Frau T. Sie lebt seit elf Jahren mit ihrem Sohn in einer 1,5-Zimmer-Wohnung mit 55 Quadratmetern in Wien-Landstraße. In den letzten Jahren sei ihre Miete immer wieder erhöht worden, im Jänner nun plötzlich erneut um 100 auf 930 Euro. Frau T. schläft in der Wohnküche auf einem Schlafsofa, ihrem Teenager hat sie das Schlafzimmer überlassen. Die neueste Erhöhung kann sie nun nicht mehr stemmen, wie sie erzählt, und überweist daher seit ein paar Monaten nur 870 statt 930 Euro. "Eigentlich will ich ausziehen, aber ich habe Angst, dass mein Vermieter mir die fehlenden Mietbeträge von der Kaution abzieht."

Wenn die Mieten steigen, trifft das vor allem die Schwächsten auf dem Wohnungsmarkt. Und sie steigen ordentlich. Die Richtwertmieten sind im Vorjahr und dann erneut diesen April um 8,6 Prozent angehoben worden. Die Kategorie-Mieten, die in älteren Mietverträgen zur Anwendung kommen, sind Anfang Juli zum vierten Mal in den letzten eineinhalb Jahren gestiegen und damit um rund ein Viertel höher als zuvor. Aber auch im Neubau steigen die Mieten mit der Inflation. Und hier haben Vermieterinnen und Vermieter sowieso weitgehende freie Hand, was die Miethöhe betrifft.

"Jede Erhöhung ist existenzbedrohend", sagt Daniela Unterholzner, Geschäftsführerin des Neunerhauses. Im Neunerhaus-Café in Wien-Margareten gibt es nicht nur Kaffee und einen Mittagstisch auf Spendenbasis, wer dorthin kommt, kann sich auch niederschwellig und ohne Termin von Sozialarbeiterinnen beraten lassen. Seit Herbst seien die Anfragen nach Beratungen zu hohen Strom- und Heizkostenrechnungen um ein Viertel gestiegen, erzählt Unterholzner. Täglich würden neue Menschen ins Café kommen: "Sie hatten noch nie zuvor Probleme, eine Rechnung zu bezahlen, aber jetzt geht es sich einfach nicht mehr aus." Betroffen seien vor allem alleinerziehende Mütter, die schon so viel arbeiten, wie sich irgendwie ausgehe, und nun trotzdem nicht mehr wüssten, wo sie noch Geld herbekommen sollen. Dazu kommen Menschen, die in schlecht gedämmten Wohnungen leben, wodurch die Heizkosten besonders hoch sind.

Eigenständig leben

Wie bei einer Familie, die derzeit ebenfalls in einer Start-up-Wohnung des Vereins Mut lebt und die monatlich 580 Euro an Energiekosten bezahlen muss. "Mit Unterstützungen der Stadt haben wir es geschafft, zumindest die hohe Rückzahlung etwas abzufedern, trotzdem bleibt die monatliche Belastung für die Familie extrem hoch", sagt die Sozialarbeiterin Tamara Gruber-Koll, die die Familie betreut.

Der Verein Mut sowie das Neunerhaus mit seiner Tochterfirma Neunerimmo helfen Menschen in Wohnungsnot, indem sie Wohnungen anmieten und Familien als Übergangslösung anbieten. Das Ziel ist, den Menschen mit den Wohnungen ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Anders als in vielen betreuten Wohnhäusern, gibt es dort, wie in jeder regulären Wohnung, für jede Familie ein eigenes Bad und eine eigene Küche. Die jeweilige Organisation vermittelt die Wohnung und steht auch im Miet­vertrag, die Mietkosten werden von den ­Familien dann an die Organisation überwiesen.

Daneben können die Menschen Beratung durch Sozialarbeiterinnen in Anspruch nehmen, so oft es nötig ist. Die Wohnungen werden von gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften zur Verfügung gestellt, von Bau­trägern, wenn diese von der öffentlichen Hand dazu verpflichtet wurden, teilweise auch leistbaren Wohnraum zu errichten, oder auch von Privatpersonen. Dafür ist man beim Verein Mut sehr dankbar, auch wenn viele der älteren Wohnungen schlecht gedämmt und die Heiz­systeme nicht auf dem neuesten Stand sind.

Bürokratische Hürden

Neben den hohen Energie- und Mietkosten ist oft die Bürokratie ein Problem oder das Fehlen von geeignetem Wohnraum, wie der Fall von Familie B. zeigt. Seit dem Jahr 2018 sind die Eltern mit ihren fünf Kindern, die noch bei ihnen leben, auf der Suche nach einer Wohnung. Obwohl die Familie ein Wohnticket von Wiener Wohnen besaß, hat sie kaum Wohnungen vorgeschlagen bekommen, die für eine Familie in dieser Größe infrage gekommen wären. "Und falls doch, waren sie immer sofort vergeben", erzählt Herr B.

In der Zwischenzeit war die Familie in einem Eltern-Kind-Heim des Vereins Mut untergebracht. Als dieses geschlossen und die Familie in ein anderes Quartier des Vereins umsiedeln musste, verlor sie ihr Wohnticket. Denn eine Voraussetzung dafür ist, dass man zwei Jahre an derselben Adresse in Wien gemeldet sein muss. Nun wohnt die Familie in einer Start-up-Wohnung des Vereins, dessen Mietverträge eigentlich nur für sechs bis zwölf Monate laufen. In dem Fall werde aber eine Ausnahme gemacht, erklärt Florina Walch, Leiterin der Wohnhilfe beim Verein Mut. Während die Familie nun darauf wartet, wieder ein Wohnticket beantragen zu können, spart sie Geld, um sich eines Tages möglicherweise auch eine Wohnung auf dem privaten Mietmarkt leisten zu können.

Langfristige Auswirkungen

Viele Menschen sparen schon, so viel es geht, weiß Unterholzner: "Sie machen keinen Urlaub, gehen nicht zum Friseur, schieben Zahnarzttermine nach hinten und kaufen ganz billige Lebensmittel." Wohnkosten allerdings seien Fixkosten, "da kommt man nicht raus". Weil auch Umziehen teuer ist, sei das für viele keine Option. Zudem könne man bei den Wohnkosten kurzfristig wenig tun. Natürlich sei weniger zu heizen eine Option, "aber das wirkt nicht unmittelbar, sondern erst bei der nächsten Abrechnung".

So wie die Auswirkungen der aktuellen Teuerung auf die Wohnungslosigkeit insgesamt: "Eine Krise sieht man nie sofort, aber wir wissen zum Beispiel, dass sich in den fünf Jahren nach der Finanzkrise im Jahr 2008 die Wohnungslosigkeit um ein Drittel erhöht hat", sagt Unterholzner. Bereits jetzt zeigt sich, dass Delogierungen, die während der Corona­-Pandemie ausgesetzt wurden, wieder zunehmen. Rund 3.900 Räumungen gab es im Vorjahr, auch für 2023 rechnet die Statistik Aus­tria mit einem erneuten Anstieg.

Unterholzner ist froh über Maßnahmen der Politik wie den Wohnschirm, die jetzt bereits präventiv gesetzt werden. Für die Zukunft zeigt sich dennoch ein düsteres Bild. Denn einerseits wird immer weniger leistbarer Wohnraum gebaut, gleichzeitig geht die Neubauleistung insgesamt zurück.

Immerhin einige bekommen mit 1. August eine neue Chance. Dann beziehen vier Alleinerzieherinnen mit ihren Kindern sowie eine alleinstehende Person fünf neue Start-up-Wohnungen des Vereins Mut. Und zwar in einem neu sanierten Haus, zeigt man sich beim Verein erfreut. Dort dürften dann zumindest die Energiekosten keine große Bürde mehr sein. Eine Sorge weniger. (Bernadette Redl, 30.7.2023)