Jetzt also Harald Mahrer. Der Präsident der Wirtschaftskammer nennt im Kurier die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich "abgehoben", "realitätsfremd" und "weit weg von den Menschen". "Wir werden mehr arbeiten müssen, nicht weniger", sagt Mahrer.

Angestoßen hat die Debatte um eine Arbeitszeitverkürzung vor einigen Wochen der neue SPÖ-Chef Andreas Babler – und man muss ihm zugestehen, damit ganz schön etwas losgetreten zu haben. Was zuvor als ferne Utopie (oder, je nach Weltsicht, Dystopie) und jedenfalls keiner ernsthaften Diskussion wert galt, wird nun eifrig debattiert. Für linksgerichtete Ökonomen ist die 32-Stunden-Woche längst überfällig – viele Konservativen und Wirtschaftstreibende hingegen sehen sie geradezu als potenziellen Todesstoß für Österreichs Wirtschaft. Was ist dran? DER STANDARD hat die wichtigsten Argumente zusammengetragen.

Ein junges Pärchen radelt durch ein Raps-Feld, das gerade gelb erblüht. 
Mehr Freizeit wäre schön, aber ist die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche wirklich realistisch?
IMAGO/Jochen Eckel

Ja, es braucht sie.

Eines ist klar: Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer wollen eine kürzere Arbeitswoche. Dank ihr – das zeigen unisono alle Studien – würde man sich ausgeruhter fühlen und gesünder durchs Leben gehen. Davon wiederum profitieren nicht nur die Arbeitnehmer selbst, sondern auch deren Betriebe, weil es weniger Krankenständen und Burnout-Fällen gibt. Eine Studie der englischen Universität Cambrigde unter 2.900 Arbeitnehmern mit Viertagewoche im zweiten Halbjahr 2022 ergab, dass diese Arbeitnehmer mehr als die Hälfte weniger an Krankenstandstagen in Anspruch nahmen als bei einer 40-Stunden-Woche. Knapp vierzig Prozent der Befragten gaben überdies an, sich weniger gestresst zu fühlen. Die Wiener Managerin Andrea Bertl, die in ihrem Recruiting-Unternehmen epunkt die 34-Stunden-Woche eingeführt hat, zieht nach einigen Monaten ein klares Resümee: "Die Mitarbeiter lieben sie."

Produktivität bleibt hoch

Dank fitterer Angestellter und weniger Krankheitsfälle darf man nicht dem Fehlschluss erliegen, dass die Produktivität im gleichen Ausmaß wie die Arbeitszeit sinkt. Das heißt: 20 Prozent weniger Arbeitszeit bedeutet keineswegs, dass auch die in dieser Zeit hervorgebrachte Leistung um 20 Prozent sinkt – zwar sinkt sie durchaus ein Stück weit, aber im deutlich geringeren Ausmaß.

Darüber hinaus gibt es ein grundsätzliches Argument für die Arbeitszeitverkürzung – ein, wenn man so will, volkswirtschaftliches: In gewisser Weise hat die Verkürzung in den vergangenen Jahrzehnten längst stattgefunden: Die Arbeitszeit der Menschen sank, nur ohne Lohnausgleich. Der oder die durchschnittliche Beschäftigte arbeitet im Jahr 2022 laut Statistik Austria gerade einmal 27,9 Stunden pro Woche. Das liegt an Österreichs extrem hoher Teilzeitquote: bei Frauen 50,7 Prozent, bei Männern 12,6 Prozent.

Kurzes Arbeiten gibt es längst

Die Millionen Teilzeitangestellten im Land sind wirtschaftlich meist mangelhaft abgesichert. Sie verdienen schlecht und sind in finanzieller Hinsicht oft abhängig von ihren Partnern, die Vollzeit arbeiten. Eine 32-Stunden-Woche wäre für sie zeitlich betrachtet gar keine große Veränderung, da sie ohnehin bereits kurz arbeiten – wohl aber würden sie den Lohnausgleich in positiver Hinsicht voll zu spüren bekommen. Die Arbeitszeitverkürzung wäre in der Praxis für viele Menschen vor allem eine saftige Gehaltserhöhung – eine, die genau bei denen landen würde, die es gut brauchen können: vor allem bei Frauen in Teilzeit, etwa im Pflegesektor, im Handel, im Bildungs- und Gesundheitssektor.

Umfragen zeigen, dass die meisten Teilzeitbeschäftigen gerne mehr arbeiten würden – aber sie können nicht, weil es der Arbeitgeber nicht will oder private Kinder- oder Altenpflege es nicht erlaubt. Eine neue, kürzere Vollzeit wäre das Richtige für diese Masse an Menschen. Dass diese Verkürzung der Wirtschaft massiv schadet, wie Arbeitgeber und Wirtschaftsvertreter gerne mit viel Verve behaupten, stimmt nicht: Bereits im Jahr 1959, als die Arbeitszeit von 48 auf 45 Stunden hinunterging, kamen allerlei Katastrophenprognosen von der Wirtschaft; und dann wieder 1975, als sie schließlich auf 40 Stunden sank. Es hat sich nicht bewahrheitet – eher im Gegenteil, wie das starke Wirtschaftswachstum der darauffolgenden Zeit nahelegt.

Nein, es braucht sie nicht.

Unrealisierbar ist die 32-Stunden-Woche schon allein wegen einer praktischen Schwierigkeit: Nur ungefähr die Hälfte der Beschäftigten in Österreich haben fixe Beginn- und Endzeiten. Der große Rest? Unterliegt etwa All-in-Verträgen, Gleitzeitregelungen oder sonstigen flexiblen Modellen. Manche Selbstständige – vom Rechtsanwalt über den Journalisten zum Start-up-Unternehmer – arbeiten überhaupt völlig unbeschränkt und kennen häufig nicht einmal selbst ihre Arbeitszeiten. Wie kann man in einer derart hochdynamischen Arbeitswelt eine Zeit festmachen – und diese auch noch verkürzen? Ein Ding der Unmöglichkeit.

Nie dagewesener Fachkräftemangel

Doch diese praktische Frage berührt noch nicht einmal einen viel grundsätzlicheren Einwand gegen die Arbeitszeitverkürzung: In Österreich herrscht ein nie dagewesener Fachkräftemangel. Im Jahr 2022 gab es 206.000 offene Stellen: ein einsamer Rekordwert. Bis zum Jahr 2040 könnte die Anzahl infolge der Alterung der Gesellschaft und der Pensionierungswellen gar auf 570.000 steigen, errechneten Ökonomen im Auftrag der Wirtschaftskammer. In dieser ohnehin knappen Situation die Verfügbarkeit von Arbeit zusätzlich zu verknappen – eine höchst unvernünftige Idee. Und Gift für viele Betriebe, die schon heute hängeringend nach Arbeitskräften suchen.

Mehr Vollzeitarbeit

Besser wäre daher eine Idee, wie sie Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) aufgebracht hat und wie sie Wirtschaftsverbände propagieren: Teilzeitarbeit muss unattraktiver werden, beispielsweise durch steuerliche Maßnahmen, die dazu führen, dass sich mehr Menschen für Vollzeit entscheiden.

Nicht minder wichtig ist die Frage, wie man die Arbeitszeitverkürzung finanzieren soll. 32 Wochenstunden statt 40 bei vollem Lohnausgleich bedeuten immerhin, dass die Personalkosten um 20 Prozent in die Höhe schießen.

Für hochtechnisierte Betriebe, etwa im industriellen Bereich, die effizient und personalsparend wirtschaften können, mag das verkraftbar sein. Anders im Dienstleistungssektor und wirtschaftlichen Mittelstand: Restaurants, Handelsbetriebe oder Friseure – solche Betriebe mit hohen Personalkosten und wenig Automatisierungspotenzial – wären finanziell extrem hart von der Verkürzung getroffen. Mit einer Pleitewelle unter ihnen wäre zu rechnen. Aber nicht nur der private Sektor würde leiden: Gerade im personalintensiven Bereich übernimmt die öffentliche Hand viele Aufgaben, etwa in der Pflege, Gesundheit oder Bildung. Die Kosten, die die Steuerzahler für diese Bereiche zahlen müssten, würden immens steigen.

Göteborg zog Experiment zurück

Aussagekräftig ist diesbezüglich ein Beispiel aus Schweden. In einem städtischen Pflegeheim in Göteborg wurde vor fünf Jahren versuchsweise die 30-Stunden-Woche samt Lohnausgleich eingeführt. Zwar waren die Arbeitnehmerinnen höchst glücklich mit dem Experiment – aber die Kosten stiegen beträchtlich. 15 neue Pflegerinnen waren notwendig; am Ende kostete der Betrieb des Hauses zehn Prozent mehr als in jenen Pflegeheimen, in denen alles beim Alten geblieben war. Die linksgeführte Gemeinde hätte gern alle kommunalen Einrichtungen auf 30-Stunden-Betrieb umgestellt. Aber wegen der deutlich höheren Kosten und der Schwierigkeit, ausreichend neues Personal zu finden, verzichtete man vorerst darauf. (Joseph Gepp, 26.7.2023)