Eigentlich fehlen nur die Palmen. Und vielleicht die Ziegeldächer, die Arkadengänge im Renaissance-Stil, die pseudo-toskanische Fassadenfärbelung in Terracotta-Tönen, oder wie auch immer sich Scheich Muhammad bin Rashid al Maktoum, Inhaber des staatlich geführten Bauunternehmens Nakheel und somit Auftraggeber der Palm Jumeirah vor der Küste von Dubai, den romantischen Sonnenuntergang am künstlich geschaffenen Ufer vorgestellt hätte. Doch ansonsten fühlt man sich bei der Ankunft auf der Baustelle, den niederösterreichischen Schlechtwetterwolken zum Trotz, für einen Augenblick wie ganz woanders.

207 Häuser entstehen an einem Foliensee bei Grafenwörth, ein jedes mit einem eigenen Badesteg.
207 Häuser entstehen an einem Foliensee bei Grafenwörth, ein jedes mit einem eigenen Badesteg.
Wojciech Czaja

Denn auch der sogenannte Sonnenweiher in Grafenwörth, der aufgrund seiner korrupt wirkenden, politisch nicht immer lupenreinen, eher im Sinne der persönlichen Gewinnmaximierung denn in jenem des öffentlichen Handelns angesiedelten Entstehungsgeschichte in den letzten Tagen die mediale Berichterstattung dominierte, hat irgendwie nur wenig mit der umliegenden, historisch gewachsenen Dorfstruktur zu tun. Das Projekt negiert alle baukulturellen Spielregeln lokalen und regionalen Respekts und schafft eine ortsfremde, vermeintlich luxuriöse Bubble.

Der Scheich von Grafenwörth

Der Sonnenweiher, könnte man sagen, ist Grafenwörths kleiner Palmwedel, und Bürgermeister Alfred Riedl (ÖVP), der in seiner Doppelrolle als Präsident des Österreichischen Gemeindebunds letztere Funktion am Mittwoch ruhend legte, eine Art Scheich Muhammad von Grafenwörth – mit einem großen Interesse an der Verwirklichung wirtschaftlich lukrativer Zersiedelung und Baulandwidmung, in einer autokratischen Kompromisslosigkeit vorbei an allen ökologischen und raumordnungspolitischen Unkenrufen, die dieses Projekt von Anfang an begleiten.

64 Häuser sind bereits fertig, 35 davon verkauft.
64 Häuser sind bereits fertig, 35 davon verkauft.
Wojciech Czaja

Die künstliche Retorte am knapp vier Hektar großen, künstlich geschaffenen Folienteich – in den Medien mittlerweile als Mini-Dubai bekannt – ist eine Ansammlung von weißen Schuhschachteln, die wie auf der Palm Jumeirah möglichst nah zusammengepfercht sind, um im Portfolio des Bauträgers VI Engineers ein Maximum an Verkaufsobjekten zu generieren. 207 Stück an der Zahl, mit 207 privaten Badestegen, die ins Wasser führen. Das Spektrum reicht vom kleinen Seehaus (44 m2) über das Reihenhaus, die Doppelhaushälfte bis hin zum freistehenden Einfamilienhaus (132 m2), wobei man sich am Sonnenweiher der Dehn- und Schrumpfbarkeit des Begriffs "freistehend" bewusst sein muss. Manche Grundstücke sind kaum breiter als zwei nebeneinander geparkte Autos.

Schmucklose Erscheinung

Die Häuser sind überwiegend zweigeschoßig ausgeführt, massive Bauweise mit großformatigen Hohlblockziegeln, klassisch gedämmt und verputzt, mit graubraunen, meist bis zum Boden reichenden, französischen Fenstern. Überall Flachdach, das Erscheinungsbild ist nüchtern und schmucklos und auch ein bissl fad. Als Add-on gibt es bei einigen Bauten einen verandaartigen Vorbau aus Lärchenholz, der der sonst farblosen Siedlung einen Hauch von Charakter verleiht. Unterm Strich erinnert die Architektur an einen kosteneffizienten Gemeindebau am Stadtrand von Wien. Bauen auf dem Land stellt man sich anders vor.

Warum der Masterplan eine solch monotone Formensprache aufweist, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Das zuständige Büro Holzbauer & Partner Architekten darf sich zum Projekt nicht äußern. Auch andere Projektbeteiligte wie Landschaftsarchitektin Carla Lo oder das für die Wasserplanung verantwortliche Büro Östap Engineering & Consulting haben vom Bauträger einen medialen Maulkorb verpasst bekommen: kein Kommentar.

Die Formensprache ist monoton, das sei durchaus so erwünscht, wie auch die hohe Bebauungsdichte.
Die Formensprache ist monoton, das sei durchaus so erwünscht, wie auch die hohe Bebauungsdichte.
Wojciech Czaja

Etwas auskunftsfreudiger hingegen ist Patrick Kloihofer selbst, Bauträger und Geschäftsführer von VI Engineers. Man habe sich an den Entwurf von Holzbauer & Partner gehalten, das ruhige Erscheinungsbild sei ausdrücklich erwünscht, die hohe Bebauungsdichte dem "ressourcenschonenden Umgang mit Bauland" geschuldet. "Die Leute, die zu uns kommen", so Kloihofer, "haben sich auf der Website schon vorinformiert und sind sich der verdichteten Bauweise durchaus bewusst. Vor Ort dann sind sie von der hohen Architekturqualität und der Privatsphäre im Außenbereich positiv überrascht."

Überraschende Akustik

Eine in der Tat große Überraschung beim Besuch vor Ort ist auch die Akustik. Dank der schallharten Oberfläche des Wassers und des hohen Anteils an harten, reflektierenden Fassadenoberflächen, die sich am Sonnenweiher besonders nah kommen, mit nur minimalen Gebäudeabständen dazwischen, hat man am See eine Akustik wie im Goldenen Musikvereinssaal. "Bist da schon fertig?", "Pass auf!", "Gib her!": Aus 100 Metern Distanz kann man den Bauarbeitern beim Gespräch lauschen, als stünden sie neben einem.

An der Fertigstellung der restlichen Häuser wird gearbeitet.
An der Fertigstellung der restlichen Häuser wird gearbeitet.
Wojciech Czaja

"Die schallharte Oberfläche hat jeder See an sich", entgegnet Kloihofer. "Teil unseres Konzepts ist daher, dass sich jeder Kunde, der bei uns ein Haus kauft, seinen Garten individuell gestalten kann. Durch die Begrünung und Differenzierung der Gärten wird sich die Akustik stark verbessern." Zudem führt der Bauträger die weit hörbaren Worte der Handwerker auf die allgemein ruhige Lage des Standorts zurück. Das stimmt nur bedingt. Zumindest an diesem Tag – mit einer dramatischen Wolkendecke über dem Land – ist das Grundrauschen der direkt angrenzenden Schnellstraße S5 trotz Lärmschutzwand nicht zu überhören.

Ob das alles die Kaufpreise von rund 300.000 bis weit über 600.000 Euro rechtfertigt, müssen die Käufer für sich selbst entscheiden. "Die Nachfrage ist sehr hoch, und die Interessenten erkennen, dass dies ein Vorzeigeprojekt mit hoher Ausstattungsqualität ist", sagt der VI-Engineering-Chef. "Ich kenne kein vergleichbares Projekt in Ziegelbauweise mit Geothermie, Wärmepumpe, PV auf dem Dach und individuellem Seezugang, zumindest nicht in dieser Preisklasse." Von den ersten 64 Häusern in Bauphase 1 und 2, die sich bereits in Vermarktung befinden, sind 35 verkauft.

Darüber sind in Grafenwörth, im echten Grafenwörth nebenan, nicht alle happy. "Das ist eine typische Ferienhaussiedlung zu völlig überhöhten Preisen", sagt Helmut Ferrari, Mitglied im Grafenwörther Gemeinderat, von der Liste "Bürger für Bürger". Das Projekt werde vor allem Wiener und Zweitwohnsitzer anlocken, fürchtet er, "und davon integrieren sich nur die wenigsten ins Dorfleben". Dass die Befürchtung nicht unbegründet ist, zeigt sich beim Blick auf die Mini-Dubai-Homepage, wo es heißt: "Nichts wie raus aus der Stadt, zurück zur Natur und hinein ins gute Leben!"

Auch das viele Wasser sorgt in Zeiten von Dürre und Trockenheit für Kritik.
Auch das viele Wasser sorgt in Zeiten von Dürre und Trockenheit für Kritik.
Wojciech Czaja

Gerhard Figl, Fotograf und Unternehmensberater in Grafenwörth, bezeichnet den Sonnenweiher als "Krebsgeschwür" und pseudomodernen Fremdkörper, der in keiner Weise auf den ländlichen Charakter der hier umliegenden Dörfer eingehe. "Dieses Projekt zeigt, was passiert, wenn Bürgermeister auf Gemeindeebene Raumplanung machen. Und es ist auch ein Sinnbild dafür, was in dieser Region gelebte Praxis ist. Es gibt eine gewisse Selbstherrlichkeit. Das ist nicht das erste Dubai im Weinviertel. Hoffentlich das letzte!" (Wojciech Czaja, 28.7.2023)