Mann sitzt an einem Tisch und verpackt medizinische Produkte.
In der Tagesstruktur Das Band im 15. Wiener Gemeindebezirk verpacken die Nutzerinnen und Nutzer alles von der Schokoladetafel bis hin zu Medizinprodukten.
Christian Fischer

In Österreich sind rund 25.000 Menschen mit Behinderung laut Einstufung der Pensionsversicherungsanstalt als arbeitsunfähig registriert. Auch wenn viele von ihnen in Beschäftigungswerkstätten arbeiten, erhalten sie keinen Lohn, sondern nur ein Taschengeld.

Einer von ihnen, Tahsin Acur, berichtet dem STANDARD, er bekomme für seine 30 Stunden Arbeit pro Woche in einer Tageswerkstätte ein Taschengeld zwischen 45 und 90 Euro pro Monat. Er ist, wie alle, die in Tageswerkstätten arbeiten, weder pensions- noch krankenversichert.

1.050 Euro brutto für 19 Stunden

Dieses Problem wird in Kärnten nun angepackt. Das neue Projekt "Reallabor – Lohn statt Taschengeld" soll 20 Bewerbenden aus Tageswerkstätten direkt in den Arbeitsmarkt verhelfen. Dieses Modell wird zunächst ab Herbst 2023 für zwei Jahre und unter wissenschaftlicher Begleitung erprobt. Dann wird evaluiert.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden von Assistentinnen der Lebenshilfe Kärnten und Mentoren dabei unterstützt, einen geeigneten Beruf und Arbeitgeber zu finden. Finanziert wird das Pilotprojekt vom Referat Chancengleichheit im Land Kärnten und mit EU-Fördergeldern.

Die 20 Teilnehmenden werden für je 19 Stunden pro Woche angestellt und laut Sozialwirtschaft-Österreich-Kollektivvertrag bezahlt. Das seien rund 1.050 Euro brutto für 19 Stunden.

Hoffnung auf breite Umsetzbarkeit

Die Teilnehmenden können sich dafür entscheiden, nach Ablauf der zwei Jahre wieder in eine Beschäftigungswerkstätte zurückzukehren. Ziel des Projekts ist es aber, dass die Unternehmen die Teilnehmenden nach Ablauf der zwei Jahre weiterbeschäftigen.

"Dieses Pilotprojekt ist eine Chance, endlich Bewegung in unsere jahrzehntelange Forderung zu bringen, Menschen mit Behinderung, die als arbeitsunfähig eingestuft sind, in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren", sagt die für Chancengleichheit zuständige Kärntner Landesrätin Beate Prettner.

Auch aus Sicht der Caritas braucht es ein neues, einheitliches rechtliches Rahmenwerk, das Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung bei der beruflichen Integration – wenn möglich auch auf dem ersten Arbeitsmarkt – unterstützt, sie aber auch durch eine Grundsicherung schützt, wenn sie kein Einkommen aus Erwerbsarbeit erzielen können.

Neue Gesetzesnovelle vorgestellt

Das Grundproblem: Wer in Österreich von der Pensionsversicherungsanstalt einmal als arbeitsunfähig eingestuft wurde, bleibt meist langfristig in dieser Zuordnungskategorie. Die Bundesregierung hat Ende Juni einen Gesetzesentwurf zu diesem Themenkomplex vorgestellt.

Dieser sieht vor, dass Personen unter 25 nicht mehr so einfach als arbeitsunfähig erklärt werden können – die entsprechende Überprüfung bei der Pensionsversicherungsanstalt soll erst ab dem 25. Geburtstag möglich sein. Junge Menschen hätten so mehr Zeit, ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Zudem hätten sie die Möglichkeit, Fortbildungen des AMS zu besuchen und Sozialhilfe zu erhalten, hieß es bei der Pressekonferenz zu dieser Gesetzesnovelle durch Sozialminister Johannes Rauch und Arbeitsminister Martin Kocher.

Warum dies nicht auch für ältere Personen gelte, kritisiert der Volksanwalt für Menschen mit Behinderung Bernhard Achitz. In welcher Form die Novelle im neuen Jahr in Kraft tritt und wie die Umsetzung anläuft, wird die Zeit zeigen. (red, 1.8.2023)