Auf der Bahntechnikmesse Innotrans in Berlin stellte Siemens vor einem Jahr die Wasserstoffvariante des Regionalzugs Mireo vor. 
Äußerlich sind der Elektrotriebzug Mireo von Siemens und sein Bruder, der hier abgebildete Wasserstofftriebzug Mireo Plus H kaum zu unterscheiden. Die ÖBB kauft den klassischen Elektrotriebzug in hoher Stückzahl, und er wird rot-weiß lackiert sein.
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Nach drei Zugbestellungen beim schweizerischen Bahntechnikkonzern Stadler Rail kommt wieder der Haus- und Hoflieferant der ÖBB zum Zug: Siemens Mobility wird für die Staatsbahn bis zu 540 Elektrotriebzüge des Typs Mireo liefern. Die Verkehrstechniksparte des deutschen Elektromultis bekommt laut STANDARD-Informationen den Zuschlag für einen entsprechenden Rahmenvertrag über zehn Jahre. Das erfuhr DER STANDARD in ÖBB-Kreisen.

Offiziell bestätigt wird die Zuschlagserteilung nicht. Denn die Stillhaltefrist, an die beide Seiten gebunden sind und während der die Vergabe beeinsprucht werden könnte, läuft noch bis 7. August.

Laut der im Sommer 2021 publizierten Ausschreibung für den Großauftrag umfasst der Rahmenvertrag bis zu 270 Elektrotriebzüge mit 75 Metern Länge und bis zu 270 hundert Meter lange Züge. Allerdings, das zeichnete sich bereits seit Wochen ab, dürfte der Megaauftrag, der in Bahnkreisen auf bis zu vier Milliarden Euro taxiert wird, bei weitem nicht so groß werden wie ursprünglich geplant.

Die Rede ist von einer deutlichen Redimensionierung des seinerzeitigen Volumens. In den nächsten Jahren sei mit maximal 200 Mireo-Zügen zu rechnen, die aus diesem Rahmenvertrag abgerufen werden dürften, sagen mit der Materie vertraute Eisenbahner. Das Volumen des Großauftrags wird sich daher auf eine Größenordnung von bis zu zwei Milliarden Euro reduzieren. Da laut Ausschreibung eine Vielzahl an Zugvariationen möglich ist (er muss über Zulassungen für Südtirol und Ungarn verfügen), ist das finanzielle Volumen nur grob zu schätzen.

Die blau-weißen Schnellbahnzüge in Wien wurden einst von SGP in Wien-Simmering gebaut und sind seither im Einsatz.
Die blau-weißen Schnellbahngarnituren der ÖBB werden nach fast 40 Jahren ausgemustert. Das neue Rollmaterial wird demnächst bei Siemens bestellt.
Foto: Andy Urban

Mit dem neuen Wagenmaterial soll die in die Jahre gekommene Nah- und Regionalverkehrsflotte der Staatsbahn modernisiert werden. Ein Teil der Garnituren ist für den sogenannten Regioverkehr gedacht, wie der inneralpine Fernverkehr auch genannt wird. Für den Austausch der seit rund 20 Jahren im Verkehr befindlichen Bombardier-Züge des Typs Talent 1 dürfte das nun um rund 60 Prozent mehr als halbierte Volumen nicht reichen. Diese bleiben länger im Einsatz, obwohl sie mit ihrer Magnetschienenbremse im Fahrbetrieb immer wieder Probleme verursachten.

Fix ist, dass die seit mehr als 30 Jahren in Ostösterreich herumkurvenden blau-weißen Schnellbahngarnituren (Modell 4020; einst von SGP gebaut) in den nächsten Jahren tatsächlich ausrangiert werden. Auch sogenannte CRD-Wagen für lokbespannte Züge, wie sie zwischen Wien und Bratislava im Einsatz sind, kommen aufs Abstellgleis.

Zitterpartie zu Ende

Für Siemens, die aufgrund von Lieferverzögerungen bei Nacht- und Tag-Fernzügen des Typs Railjet derzeit im Clinch liegt mit der ÖBB, hat das Zittern damit ein Ende. Die neuen Züge werden, wie das Vorgängermodell Desiro ML, in Krefeld produziert. Da dieses Werk voll ausgelastet sei, weil dort unter anderem die Münchner Schnellbahn und ICE-Garnituren gebaut werden, darf das Siemens-Werk in Wien-Simmering auf Aufträge und Wertschöpfung hoffen. Wagenkästen könnten etwa in der Leberstraße gefertigt werden. Grundsätzlich werden Mireo-Züge teilweise auch in Serbien gefertigt. Es wird also spannend, ob die Wiener im Stammhaus punkten können. Einzig eine Endfertigung des Siemens-Zuges durch die ÖBB-Werkstättentochter ÖBB-Technische Services, wie sie in der Vergangenheit oft zum Zug kam, schließen Insider kategorisch aus.

Für den scheidenden Siemens-Mobility-Chef, Arnulf Wolfram (64), ist der Großauftrag mit Sicherheit eine Genugtuung. Denn bei den Doppelstockzügen für den Nah- und Fernverkehr sowie den Elektro-Diesel-Hybridzügen hatten die Deutschen zuletzt das Nachsehen. Beide Rahmenverträge gingen an Stadler Rail, die ersten Tranchen zur Auslieferung ab 2026 belaufen sich auf ein Volumen von 1,3 Milliarden Euro. Ausgeliefert werden die Mireo-Züge dann unter Wolframs Nachfolgerin Tanja Kienegger, die am 1. Oktober von der ÖBB-Infrastruktur an die Spitze der Siemens Verkehrstechnik in Österreich wechseln wird.

Mit dem neuen Großauftrag für Siemens ist das auf 4,7 Milliarden Euro taxierte Investitionsprogramm der ÖBB für Rollmaterial für den Personenverkehr im Prinzip komplett. Um 1,3 Milliarden Euro werden insgesamt 76 Triebzüge bei Stadler Rail gekauft. Vor zwei Wochen wurde ein weiterer Rahmenvertrag über bis zu 120 Hybridzüge für Diesel-Elektro-Betrieb von Stadler geschlossen, auch er beläuft sich auf bis zu 1,3 Milliarden Euro. Abgerufen werden in einer ersten Tranche 16 Hybridzüge. (Luise Ungerboeck, 2.8.2023)