Niamey – Eine Woche nach dem Militärputsch im Niger hat nach Frankreich auch Italien mit der Evakuierung seiner und ausländischer Staatsbürger aus dem westafrikanischen Land begonnen. Laut Westafrika-Experten Olaf Bernau können man die Auswirkungen auf die Migration nach Europa noch nicht einschätzen. Sie könnte vorangetrieben oder eingefroren werden.

Ein Sonderflug sei am Mittwochmorgen in Rom gelandet, teilte Außenminister Antonio Tajani auf der Nachrichtenplattform X, vormals Twitter, mit. An Bord des Flugzeugs waren nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa 87 Menschen, unter ihnen 36 Italiener, 21 Amerikaner, vier Bulgaren und zwei Österreicher.

Video: Erste Rückkehrerinnen aus dem Niger in Frankreich gelandet
AFP

Zuvor hatte Frankreich gemeldet, ein erster Evakuierungsflug mit mehr als 260 Menschen an Bord sei in Niamey gestartet. Es gab keine Angaben dazu, ob auch Menschen aus anderen EU-Ländern an Bord der Maschine nach Frankreich waren. Nach Informationen des französischen Generalstabs sollte noch ein weiterer Flieger in der Nacht nach Frankreich abfliegen. Auch ein drittes Flugzeug sollte demnach für die Evakuierung genutzt werden können. Etwa 500 bis 600 Französinnen und Franzosen sind den Angaben zufolge im Land. Andere Europäerinnen und Europäer, die das Land verlassen wollten, könnten mitkommen, hatte es geheißen.

Auch die USA bereiten sich vor, Teile ihres diplomatischen Personals zu evakuieren. Die US-Botschaft im Land soll aber weiterhin offen bleiben, teilten Angehörige der US-Behörden unter Wahrung ihrer Anonymität der Nachrichtenagentur Reuters mit.

Auswirkung auf Migration noch nicht absehbar

Währenddessen wächst die Angst vor einer verstärkten Migrationsbewegung in Richtung Europa. "Die Situation ist im Moment noch nicht absehbar, aber Krisenerscheinungen können natürlich auch zu einem Stillstand von Migration führen", sagte Olaf Bernau, Soziologe und Autor, der seit 13 Jahren zur Region Westafrika mit Schwerpunkt auf Migration in Niger und Mali arbeitet, am Mittwoch in einem Online-Hintergrundgespräch.

Laut dem deutschen Experten, der Mitbegründer des transnationalen Netzwerks Afrique-Europe-Interact ist, ist eine rasche Zunahme von Flüchtlingen denkbar, weil sich in Momenten von Krisensituationen und politischen Umbrüchen oftmals viele Menschen auf den Weg machen und fliehen. Durch harte Grenzschließungen der Nachbarländer wäre aber auch ein akuter Stillstand der Bewegung möglich. Flüchtlinge könnten die Grenzen nicht mehr passieren und dadurch im Niger "hängenbleiben".

Migranten als Druckmittel verwenden

Der Niger gehört zu den Haupttransitländern Afrikas. Migration sei daher nichts Neues für den Sahel-Staat, sagte Bernau. Schon seit Jahren gebe es zwischen dem Niger und der EU einen Deal, durch den das westafrikanische Land Migration in Richtung Mittelmeerraum verhindere. Dieses Abkommen lasse befürchten, dass die Putschisten Migrantinnen und Migranten als Druckmittel verwenden könnten. Die aktuellen Machthaber hätten sich zu diesem Thema noch nicht geäußert.

Die verhängten Sanktionen des regionalen Wirtschaftsblocks Ecowas hält Bernau für bedenklich. "Diese Maßnahmen waren keine gute Idee. Sie sind jetzt im Moment der Auslöser, warum sich viele Menschen hinter den Putschisten versammeln und sie unterstützen." Der prowestliche Kurs des gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum sei von den Militärs lange mitgetragen worden. Nun entfachten die Militärs aber ein "nationalistisches Feuer", das durch die Sanktionen der Ecowas begünstigt werde.

Die Französin Raissa Kalembho erreicht mit ihren Kindern den Paris Flughafen Charles de Gaulle.
Die Französin Raissa Kalembho erreicht mit ihren Kindern den Paris Flughafen Charles de Gaulle.
EPA/TERESA SUAREZ

Insgesamt konnten nach Angaben aus dem Außenministerium in Wien vom Mittwoch bisher drei Österreicher aus dem Niger sicher außer Landes gebracht werden. "Mein Dank gilt unseren italienischen und französischen Partnern für die Hilfe bei der Evakuierung", sagte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zur APA. Aktuell sind noch vier Österreicher mit Aufenthaltsort Niger beim Ministerium registriert. Mit den im Niger Verbliebenen bestehe laufend direkter und persönlicher Kontakt zu Entwicklungen und weiteren Möglichkeiten, sie bei einer sicheren Ausreise zu unterstützen, so das Außenministerium.

Luftgrenzen fast gänzlich wieder offen

Unterdessen hat Niger die Land- und Luftgrenzen zu fünf Nachbarstaaten wieder geöffnet. Einer der Putschisten erklärte am Dienstag im nationalen Fernsehen, dass die Grenzen zu Algerien, Burkina Faso, Libyen, Mali und dem Tschad "ab heute" wieder offen seien. Alle Land- und Luftgrenzen des Landes waren am Abend des Putsches geschlossen worden. Zudem ernannte die Junta neue Gouverneure für die acht Regionen des Landes.

Die Grenzen zu den Ecowas-Staaten Benin und Nigeria blieben zunächst jedoch geschlossen. Die westafrikanische Staatengemeinschaft hatte den Putschisten am Sonntag ein Ultimatum gestellt, mit dem sie die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung im Niger gefordert und mit einem gewaltsamen Eingreifen gedroht hatte.

Ultimatum läuft aus

Eine nigerianisch geführte Delegation der Ecowas befindet sich derzeit in Niger, um mit den Putschisten zu verhandeln, sagte Abdel-Fatau Musah, Ecowas-Kommissar für politische Angelegenheiten, Frieden und Sicherheit, am Mittwoch. Alle Optionen seien auf dem Tisch, auch die militärische. Ein militärisches Eingreifen sei die letzte Möglichkeit, man sei aber auch darauf vorbereitet, sagte Musah in Nigerias Hauptstadt Abuja. "Wir müssen zeigen, dass wir nicht nur bellen, sondern auch beißen können."

Am Sonntag läuft das Ultimatum der Ecowas aus, welche die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung im Niger gefordert und mit einem gewaltsamen Eingreifen gedroht hat. Am Mittwoch wurde bekannt, dass Nigers Nachbarstaat Nigeria die Stromlieferungen an Niger über die Birnin-Kebbi-Übertragungsleitung gestoppt habe. Alle 15 Ecowas-Staaten stoppten einstweilen alle finanziellen Transaktionen und kommerzielle Flugverbindungen mit Niger.

In der vergangenen Woche hatten Militärs im Niger geputscht und den seit 2021 amtierenden Präsidenten Mohamed Bazoum festgesetzt. Ende der Woche erklärte sich dann der bisherige Chef der Präsidentengarde, General Abdourahamane Tiani, zum neuen Machthaber. Nach Mali und Burkina Faso ist der Niger bereits der dritte Staat in der Sahelzone, der seit 2020 einen Staatsstreich erlebt hat. (APA, Reuters, 2.8.2023)