Demo für früheren Kohleausstieg in der Lausitz, Deutschland. 
Proteste gegen herrschende Strukturen sind nicht das Problem, das wird allerdings derzeit oft vermittelt.
IMAGO/Andreas Franke

Die Kritik an der Kritik hat Hochkonjunktur. Wie gegen Politik oder Praktiken vorgegangen wird, die offenkundig unterdrückerisch bis zerstörerisch sind, wird in den Vordergrund gezerrt – nicht das, wogegen protestiert wird. Die Klimaproteste zum Beispiel. Offenbar haben wir endlos Zeit, darüber zu reden, ob die aktuellen Proteste von Klimaaktivist:innen konstruktiv sind oder vor allem für die autofahrende Bevölkerung eine arge Zumutung, weil diese im Stau steht. Zusätzlich zu den anderen Staus. Man muss sich vorstellen: Die Ozeane sind dieses Jahr so warm wie noch nie. Oder: Die Wahrscheinlichkeit ist gestiegen, dass die Strömung im Atlantik vor einem Kipppunkt steht – das sind nur zwei jüngere Meldungen, die eine jahrzehntelange inexistente Klimapolitik aufzeigen. Aber nein, man verrenkt sich lieber den Nacken, um daran vorbei- und zu Protestformen hinzuschauen, die einem nicht in den Kram passen.

Seit Ewigkeiten belegt

Im Grunde sind das alles andere als subtile oder neue Ablenkungsmanöver und Verdrängungsmechanismen, die aus anderen Bereichen längst vertraut sein müssten. Aus der Geschlechterpolitik zum Beispiel: Ähnlich wie die Klimakrise ist auch die Benachteiligung von Frauen seit Jahrzehnten belegt. Doch anstatt breiter Kritik daran, dass die Politik zahlreiche Vorschläge von Expert:innen noch immer nicht berücksichtigt, werden jene, die, die etwas tun wollen, diskreditiert. Ein Vorstoß der FPÖ-Frauensprecherin Rosa Ecker ist ein Beispiel dafür: Sie hat im März eine Petition gegen die "Genderpolitik" im Parlament eingebracht. "Der derzeitige Gender-Hype hat inzwischen eine Dimension erreicht, die den Frauen in Österreich aber rein gar nichts bringt", schreibt Ecker in einer aktuellen Aussendung.

Alles nur Kinkerlitzchen

"Genderhype". "Klimahysterie". Das sind Kampfbegriffe gegen Maßnahmen, die man für sinnlos hält, für übertrieben, für lästig und wenig zielführend. Man müsste auf Altersarmut schauen, auf die Teuerung und die "tatsächlichen" Herausforderungen, vor allem für Frauen auf dem Land. Ja, muss man. Nie hat jemand behauptet, ein Gendersternchen würde den Gender-Pension-Gap wirksam bekämpfen. Aber es ist eine Möglichkeit, als Einzelne etwas gegen die männliche Überrepräsentation zu tun – die letztlich wiederum sehr wohl mit "harten" geschlechterpolitischen Themen zu tun hat, etwa der Bewertung von Arbeit. Von unsichtbarer unbezahlter Arbeit und sichtbarerer einflussreicher Arbeit, die noch immer zu einem größeren Teil Männern vorbehalten ist.

Man kann vieles als Kinkerlitzchen abtun und von "echten" Problemen versus Spinnereien oder Übertreibungen sprechen. Allerdings ist Letzteres oft genau das, was Menschen selbst in die Hand nehmen können. Entweder um auf arge politische Versäumnisse hinzuweisen, so wie diverse Aktionen gegen die vorherrschende Klimapolitik. Oder mit anderen Ideen, wie diskriminierungsfreier Sprache, die auch jeder umsetzen kann.

Genau dagegen wird aber fleißig mit "Maß und Ziel", "Hausverstand" oder "normal halt" polemisiert. Letztlich lenkt aber das von den "echten Problemen" ab und diskreditiert genau das, was wir dringend brauchen. Das Engagement aller. (Beate Hausbichler, 2.8.2023)