Wie schlimm kann das werden? Diese Frage stellen sich derzeit viele Beobachter der Vorgänge am kreditfinanzierten Immobilienmarkt. Denn mit den rasch steigenden Zinsen hat sich der Wind zuletzt gedreht. Die Preise für Eigenheime, angeheizt durch Corona, waren zuvor schon sehr hoch; die strengen Kreditvergaberichtlinien ließen die Transaktionen dann ziemlich einbrechen. Doch die Preise sind zumindest bisher nicht in dem Ausmaß gesunken, wie von der Branche befürchtet und von Wohnungssuchenden erhofft worden war.

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Die Last der Kredite kann den Traum vom Eigenheim schon mal platzen lassen.
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Viele Verkäufer sind nicht bereit, ihre Preisvorstellungen zu überdenken, daher klaffen die Wünsche von Käuferinnen und Verkäufern derzeit oft weit auseinander. Sprich: Wer nicht verkaufen muss, tut es meist auch nicht. Und weil auch die Neubauproduktion stark eingebrochen ist, glauben viele sogar schon wieder an ein baldiges neuerliches Ansteigen der Immobilienpreise. Etwa die Fachleute des deutschen Ifo-Instituts, die kürzlich für Österreich in den nächsten zehn Jahren einen Preisanstieg von jeweils 6,9 Prozent vorhersagten. Allerdings: nicht inflationsbereinigt.

Realer Rückgang der Immopreise

Die Teuerung in Österreich ist aber eben auch im EU-Vergleich sehr hoch, nämlich aktuell bei sieben Prozent, und das ist ein wichtiger Faktor. Das bedeutet nämlich, dass die Immobilienpreise real sinken. Denn ein Haus, das im Vorjahr um 400.000 Euro angeboten wurde und heuer noch immer um diesen Preis auf dem Markt ist, hat durch die hohe Inflation relativ zu den Einkommen in der Zwischenzeit deutlich an Wert verloren, erklärt Raiffeisen-Analyst Matthias Reith.

Laut seinen Beobachtungen hat sich der Markt seit Beginn des Jahres zweigeteilt: Neue Wohnungen sind in Wien um 1,7 und im Rest Österreichs um 3,5 Prozent teurer geworden, gebrauchte Immobilien im Schnitt aber um 5,7 bzw. um 2,9 Prozent billiger. Weil es also bei Neubauten bisher jedenfalls nominell noch zu keinen Preisrückgängen kam, ist der Gesamtmarkt nicht so stark zurückgegangen wie erwartet. Die hohen Baukosten sowie die Kosten für energetisch hohe Standards müssten im Neubau direkt an die Käuferinnen weitergegeben werden, erklärt der Experte. Ältere Wohnungen sind hingegen auch deshalb unter Preisdruck, weil bei vielen eine teure Erneuerung des Heizsystems ansteht.

Preisrückgang

Dieses und nächstes Jahr zusammengenommen, rechnet Reith mit einem Preisrückgang von rund zehn Prozent. Auf ein Niveau wie vor der Pandemie werden die Immobilienpreise aber nicht mehr fallen. Seit dem ersten Quartal 2020 sind Häuser und Wohnungen um rund 29 Prozent teurer geworden.

Doch der Markt hat sich nicht nur zweigeteilt, sondern auch gedreht – "vom Verkäufer- hin zum Käufermarkt", sagt Christoph Kirchmair. Auch er beobachtet als Geschäftsführer des Kreditvergleichsportals Infina den Markt mit Argusaugen. Der sei aktuell "hochkomplex", sagt er dem STANDARD. Einerseits würden Transaktionen derzeit meist nur unter massiven Preisabschlägen zustande kommen, auf der anderen Seite würden trotz der hohen Zinsen für Wohnkredite von aktuell zwischen 3,75 (fix) und 4,75 Prozent (variabel) auch schon wieder "die Schnäppchenjäger lauern". Bei sieben Prozent Inflation sei ein vierprozentiger Kredit nämlich kein so schlechtes Geschäft, und es gebe genügend Menschen mit Geld.

Wer schon in den vergangenen Jahren eine Immobilie mit variablem Kredit finanziert hat, hat es aber schwer. Besonders für Menschen, die derzeit gerade noch so über die Runden kommen, könnte es schon bald düster aussehen. Denn die Kreditrate stieg zuletzt in vielen Fällen gleich um einige Hundert Euro pro Monat – und bei den Zinsschritten dürfte das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sein. "Ein halbes Jahr bis ein Jahr halten viele Kunden das aus", sagt Kirchmair. Denn bevor der Immo-Kredit nicht mehr bedient werden kann, wird oft auf anderes verzichtet, etwa Urlaub oder Restaurantbesuche. "Doch mit der Zeit wird der vorhandene Puffer sukzessive abgebaut."

"Ganzes Ausmaß 2024 sichtbar"

Kommt dann beispielsweise noch Arbeitslosigkeit dazu, dann kann sich das Einkommen einer Kreditnehmerin oder eines Kreditnehmers schlagartig dramatisch reduzieren. "Das ganze Ausmaß dieser Probleme werden wir wohl erst 2024 sehen", glaubt Kirchmair. Aktuell sei es noch eher ruhig an dieser Front.

Auch in den Kreditinstituten, wo es bisher zu keinen vermehrten Kreditausfällen kam. Ganz im Gegenteil, der Anteil an sogenannten Non-Performing-Loans (NPL) ist auf Rekordtief. Dabei handelt es sich um Kredite, deren volle Rückzahlung unwahrscheinlich ist oder bei denen seit mehr als 90 Tagen keine Tilgung stattfand. Laut der Oesterreichischen Nationalbank war schon 2022 die Ausfallquote von Krediten so niedrig wie seit Jahren nicht. Raiffeisen-Analyst Reith erwartet auch nicht, dass sich die Lage zuspitzen wird.

Boom der Zwangsversteigerungen?

Infina-Chef Kirchmair aber schon. "Man versucht jetzt noch, Zwangsversteigerungen zu vermeiden, um einen Dominoeffekt zu verhindern." Denn Abverkäufe zu niedrigen Preisen würden sich in den Transaktionsstatistiken niederschlagen und so den realen Preisverfall anheizen. "In sechs Monaten wird sich die Lage aber ordentlich verschärft haben", glaubt Kirchmair. Staatliche Eingriffe wie eine gesetzliche Stundungsmöglichkeit eines Kredits, bereits im ersten Corona-Jahr zeitlich befristet umgesetzt, könnten aus seiner Sicht notwendig werden. "Der Tsunami wurde durch die Zinswende schon ausgelöst."

Kommt es also recht bald zu massenhaften Zwangsversteigerungen? Im ersten Halbjahr 2023 wurden jedenfalls schon um 13 Prozent mehr Termine dafür anberaumt, wie das Portal Dein Immocenter jüngst bekanntgab. Eine Zwangsversteigerung findet dann statt, wenn Eigentümerinnen und Eigentümer ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können.

"Banken sind grundsätzlich sehr zurückhaltend bei Zwangsversteigerungen", meint aber auch Andreas Ederer, Teamleiter Immobilienfinanzierungen bei der Vergleichsplattform Durchblicker. In der Regel versuche man, mit Kundinnen und Kunden eine andere Lösung zu finden.

Umschuldungen

Bernd Lausecker, Experte für Finanzdienstleistungen beim Verein für Konsumenteninformation (VKI), erwartet das schlicht und ergreifend auch von den Banken: "Die müssen sich schon was überlegen, wenn es zu schwierigen Situationen kommt." Von Sonderkonditionen über Stundungen bis zur Unterstützung bei der Umschuldung sollten da alle Register gezogen werden. "Es ist ja niemandem geholfen, wenn die Bank dem Kreditnehmer das Häuschen wieder wegnimmt, das sie ihm zuvor finanziert hat."

Umschuldungen sind jedenfalls gerade das große Thema, sagen Ederer und Kirchmair. Beide empfehlen auch grundsätzlich den Umstieg von einem variablen auf einen Fixzinskredit, man müsse dabei aber das Gesamtpaket beachten, sagt Kirchmair: "Rückzahlungsmodell, Restlaufzeit, Vertragsgestaltung." Und natürlich muss, wer jetzt umschuldet, auch die strengeren Kreditvergaberegeln einhalten. Das kann für Menschen, die Einbußen beim Einkommen hatten, schwierig werden. "Eine Bank muss sich das natürlich genau anschauen, ob es eine positive Prognose gibt, und im Fall des Falles den neuen Kredit eventuell im Rahmen des Ausnahmekontingents gewähren", sagt Lausecker. Dafür seien diese Kontingente geschaffen worden.

Die Anfragen nach Umschuldungen häufen sich jedenfalls – und sie klingen bisweilen schon recht dramatisch, sagt Ederer. "Oft wird betont, dass sofort etwas passieren muss, weil man sich eine weitere Erhöhung der Zinsen nicht mehr leisten kann." (Martin Putschögl, Bernadette Redl, Franziska Zoidl, 5.8.2023)