Nehammer auf Geldschein
Bundeskanzler Karl Nehammer meint, dass Bürgerinnen und Bürger ein Recht auf Bargeld haben. Nun soll ein entsprechendes Verfassungsgesetz her.
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Schon lange ist die angeblich notwendige Rettung des Bargelds ein populäres Motiv der Politik in Österreich, insbesondere jener der FPÖ und der ÖVP. Wenn dann noch eine schwache allgemeine Nachrichtenlage, die der Hochsommer bedingt, dazukommt – dann ist wieder einmal die Zeit reif für eine große Bargeldinitiative.

Eine ebensolche startete Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Freitagmorgen, wie DER STANDARD am Donnerstagabend in seiner Onlineausgabe als erstes Medium vermeldete.

Cash-Festspiele

"Die Menschen in Österreich haben ein Recht auf Bargeld", ließ der Kanzler die Bevölkerung unter anderem per Presseaussendung wissen. Es brauche deshalb "einen unmissverständlichen Rechtsrahmen, um es entsprechend abzusichern". "Immer mehr Menschen haben Sorge, dass das Bargeld als Zahlungsmittel in Österreich eingeschränkt werden könnte."

Zentrales Element der Nehammer’schen Initiative für das Bare: Der Schutz von ebenjenem soll in der Verfassung verankert werden. Dazu werde man versuchen, sich Mehrheiten auf parlamentarischer Ebene zu suchen, erklärte der Kanzler. Ein logischer Partner wäre die FPÖ, die traditionell für den Erhalt des Bargelds lobbyiert.

Allzu schnell ist nun mit einem Abflauen der Cash-Festspiele nicht zu rechnen. Ein "runder Tisch" steht ebenso an wie eine "Taskforce". Das Finanzministerium unter Magnus Brunner (ÖVP) wird im Auftrag des Kanzleramts die Angelegenheit weiterverfolgen. Für einige Schlagzeilen ist gesorgt, jedenfalls den restlichen Sommer lang.

Wozu das alles?

Fragt sich nur: Wozu das alles? Hat die EU das Ende des Bargelds verkündet? Haben sich einflussreiche Wirtschaftslenker dafür ausgesprochen? Oder die wichtige Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt?

Nichts dergleichen – eher im Gegenteil: Sowohl die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) als auch die EZB haben sich mehrmals dezidiert für den Erhalt des Bargelds ausgesprochen. Darüber hinaus hat erst im Juni die EU-Kommission in Brüssel – also ausgerechnet jene Behörde, die viele Menschen als Feindin des Bargelds im Verdacht haben – ein Gesetzespaket für das Bezahlen mit Münzen und Geldscheinen präsentiert: Damit will die Kommission eine Grundversorgung und Mindestakzeptanz von Bargeld in der Union sicherstellen. Im Grunde plant Brüssel also das, was der Kanzler nun in Österreich in Verfassungsrang heben will.

Kommt Nehammers Vorstoß also wirklich völlig aus dem Nichts? Nicht ganz. Große Internetkonzerne und Zahlungsabwickler weltweit gelten ebenso wie mächtige Kartenunternehmen tatsächlich als Befürworter einer möglichen Bargeldabschaffung – auch wenn diese gar nicht im Gespräch ist und nichts darauf hindeutet, dass Forderungen in diese Richtung von politischer Seite nachgegeben wird. Der Hintergrund: Diese Unternehmen gehen nicht nur bei jeder Barzahlung leer aus, sondern sie erhalten auch keine Daten über Zahlungsströme, auf denen ihr Geschäftsmodell zum Gutteil beruht.

Rückgang beim Bargeld

Dazu kommt eine weitere Tatsache: Die Bevölkerungen in der Eurozone verwenden immer weniger Bargeld. Zwischen 2016 und 2022 ist der Anteil der Barzahlungen in der Eurozone von 79 auf 59 Prozent gesunken. Vor allem die Corona-Pandemie – konkret die irrationale Angst, dass sich mittels Gebrauchs von Cash Covid-Viren übertragen könnten – hat diese rasante Entwicklung stark unterstützt.

Das heißt, eine gewisse Sorge ist durchaus begründet – konkret, dass mehr und mehr Geschäfte oder Lokalitäten einen Weg einschlagen, den heute bereits einige wenige gehen: Sie könnten aus Gründen von Praktikabilität und Kosten keine Scheine und Münzen mehr akzeptieren.

Ebendies verhindern soll das neue EU-Gesetz. Es sieht als Mindestvorgabe vor, dass Einrichtungen der Grundversorgung – etwa Apotheken und Trafiken – neben Karten auch Cash akzeptieren müssen. Darüber hinaus können die Staaten die Vorgabe auf Wunsch aber strenger gestalten. Auf Basis des EU-Gesetzes könnte Österreichs Regierung also jede einzelne Gaststätte im Land zwingen, Bares zu akzeptieren – theoretisch. Praktisch stellt sich die Frage, ob das nicht die Vertragsfreiheit verletzt und somit ein Grundprinzip des Zivilrechts. Dieses Problem besteht beim EU-Gesetz ebenso wie beim angedachten österreichischen Weg einer Verfassungsänderung.

 "Die Menschen in Österreich haben ein Recht auf Bargeld. Es braucht einen unmissverständlichen Rechtsrahmen." Karl Nehammer

Überhaupt wirft der österreichische Vorstoß heikle europarechtliche Fragen auf. Österreich hat nämlich seit der Euro-Einführung 1999 keine eigene Währung mehr. Die Entscheidung, ob und wie viele Euro-Geldscheine gedruckt werden, trifft die EZB. Sollte in mehreren Jahrzehnten die Zentralbank – theoretisch – zum Schluss kommen, dass die Eurozone kein Bargeld mehr braucht, weil kaum noch jemand damit bezahlt, dann wird eine solche Verfassungsbestimmung zum Problem. Entweder muss sie dann mit Zweidrittelmehrheit gestrichen werden, oder Österreich müsste wieder den Schilling einführen. Auf eigene Faust Euro-Scheine zu drucken wäre nicht möglich.

Das nächste Problem mit der möglichen Verfassungsänderung hängt mit dem EU-Plan einer Obergrenze für Barzahlungen zusammen. Dies soll helfen, organisierte Kriminalität, Geldwäsche und Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Über die EU-Verordnung wird gerade intensiv verhandelt, und sie könnte mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Im Gespräch ist eine Grenze zwischen 7.000 und 10.000 Euro. Österreich hat in dieser Materie kein Vetorecht. Eine Verfassungsbestimmung, die eine solche Obergrenze ausschließt, wäre dann obsolet, weil das EU-Recht Vorrang hätte.

Kickl auf Münze
Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl klimpert laut mit dem Erhalt von Bargeld. Der Kanzler habe ihm die Idee abgekupfert, meint er.
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Wie realistisch ist der Vorstoß?

Doch ehe all diese Dinge schlagend werden, stellt sich zunächst die Frage: Kommt die Verfassungsänderung überhaupt? Immerhin bräucht es dafür eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, über die die türkis-grüne Regierung nicht verfügt.

Die FPÖ, die möglicherweise mitstimmen könnte, lässt dies in ersten Stellungnahmen zur Causa offen – und wirft Nehammer vielmehr "Ideendiebstahl" vor. Steht doch das Thema Bargeld seit langer Zeit oben auf der blauen Agenda. "Weil die FPÖ derzeit in Umfragen klar führt, Wahlen unaufhaltsam näherrücken und Nehammer und seiner Partei das Wasser bis zum Hals steht, wird halt abgekupfert, dass es ärger nicht mehr geht", kommentiert Parteichef Herbert Kickl den Vorschlag in einer Aussendung. Darüber hinaus haben die Freiheitlichen starke Zweifel daran, dass es Nehammer mit seinem Vorstoß tatsächlich auch ernst ist.

Kritik von allen Seiten

Kaum positiver fallen die Reaktionen der anderen Parteien aus. Die SPÖ ortet "eine plumpe Sommerlochdebatte", sagt Klubobmann Philip Kucher und fordert stattdessen Bankomaten in jedem Dorf in Österreich. Die Neos sprechen fast wortgleich von einer "populistischen Scheindebatte": "Wir leben in einer Zeit mit einer enormen Inflation, in manchen Bereichen einer Rezession, im Gesundheits- und Bildungssystem kracht es, die Herbstlohnrunde steht an", sagt Vizeklubchef Nikolaus Scherak zum STANDARD. "Und der Kanzler erklärt uns, was normal sein soll, und will das Bargeld in die Verfassung schreiben."

Bleiben die Grünen, immerhin der Partner der ÖVP in der Regierung. Im Regierungsprogramm aus dem Jahr 2020 hat man sich gemeinsam auf ein "Bekenntnis zum Erhalt des Bargelds im Rahmen der geltenden Geldwäschebestimmungen" verständigt. Dennoch war Nehammers nunmehriger Vorstoß laut STANDARD-Informationen nicht mit dem Juniorpartner akkordiert. Auf Anfrage äußern sich die Grünen entsprechend skeptisch: "Jeder hat die Freiheit, so zu bezahlen, wie er oder sie möchte. Diese Freiheit ist mit den derzeit bestehenden Gesetzen gut abgesichert", sagen die Grünen. Sie betonen außerdem, dass Bargeld "auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen" werde: "Bargeld bleibt, darüber gibt es überhaupt keine Diskussion – weder in Europa noch in Österreich."

Dies räumte – wenn auch indirekt – sogar das Bundeskanzleramt per Presseaussendung Freitagfrüh ein Stück weit ein. "Widersprüchliche Informationen und Berichte" würden "Unsicherheit schüren", heißt es darin reichlich kryptisch.

Welche Berichte? Welche Widersprüchlichkeiten? Das wird nicht näher ausgeführt. (Sandra Schieder, Joseph Gepp, Eric Frey, 4.8.2023)