Im Gastblog schreibt Christian Allner über die Tätigkeit des Übersetzens im Hinblick auf die Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI).

Erst Google Translate, DeepL und Co – nun die KI. Automatische Übersetzungsprogramme und -algorithmen setzen den Übersetzerinnen und Übersetzern seit Jahren arg zu; auch Zahlen bestätigen das. Allein im großen Nachbarland Deutschland hat die Anzahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Dolmetscherinnen und Dolmetscher sowie Übersetzerinnen und Übersetzer von 2017 bis 2021 um acht Prozent abgenommen. Gleichzeitig nahm aber, zumindest in Österreich, der Umsatz der Branche Übersetzen und Dolmetschen vor allem in den 2010er-Jahren zu.

Österreich war zur Leipziger Buchmesse im April 2023 offizielles Gastland. Dabei hat auch Traduki eine große Rolle gespielt. Traduki ist ein Übersetzungsnetzwerk und auch ein zivilgesellschaftliches Projekt mit europapolitischer Komponente; bestehend aus 18 Partnern aus Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz sowie aus sämtlichen Ländern des früheren Jugoslawiens und aus Albanien, Bulgarien und Rumänien. Es fördert den Dialog innerhalb der südosteuropäischen Länder und auch mit dem deutschsprachigen Raum. Was 2008 als Experiment begann, hat heute für viele Modellcharakter für multilaterale internationale Kulturarbeit und baut grenzüberschreitend Brücken in unübersichtlichen Nachbarschaften – das meinten Ralf Beste und Christoph Thun-Hohenstein, Vertreter des deutschen Auswärtigen Amtes und des österreichischen Außenministeriums bei einer Podiumsdiskussion der Messe. Doch auch zur Buchmesse war sie spürbar, diese Angst und Unsicherheit: Werden professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer durch ChatGPT und Co bald arbeitslos sein?

Roboter wechselt Sprachen
Was passiert mit Übersetzerinnen und Übersetzern, wenn die Arbeit zunehmend von Algorithmen übernommen wird?
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Es kommt auf die Übersetzung an

Die Übersetzung beispielsweise von Fachtexten, Auslandskorrespondenz oder Webseiten wird auch weiterhin von menschlichen Arbeitskräften übernommen. Auch wenn künstliche Intelligenz beeindruckende Arbeit leistet, gibt es hier klare Grenzen. Denn künstliche Intelligenz kann auch weiterhin keine kulturellen Unterschiede erkennen. Genauso wenig können vor allem die generativen, vortrainierten Transformator-Systeme, kurz GPT (englisch für "generative pre-trained transformers") auch mit syntaktischen Besonderheiten oder alternativen Grammatiken umgehen.

Diese Systeme können nur eine Variante standardisierter Sprache erlernen. So können KI-Übersetzungen weiterhin nicht mit einem professionellen Übersetzungsbüro mithalten, welches im Gegensatz zur künstlichen Intelligenz beglaubigte Übersetzungen wie Zeugnisse, Geburtsurkunden und Führerscheine oder juristische Übersetzungen wie Urteilstexte, Bilanzen oder die AGB eines Unternehmens anfertigen darf. Daneben inkorporieren menschliche Übersetzerinnen und Übersetzer auch landestypische Elemente wie die etwa 8.000 bis 45.000 Austriazismen; also typische Ausdrücke und Wörter, die so nur im österreichischen Deutsch Anwendung finden.

Belletristik, Sachbücher, Gebrauchstexte oder Verbrauchstexte und, ja, auch Bilder und Grafiken müssen übersetzt werden (dieser letzte Fachbereich nennt sich übrigens Bildlinguistik). Und Übersetzen muss man generell feingliedriger unterscheiden: Denn neben der Translation gibt es auch die Transkreation. Translation ist das einfache und simple Übersetzen, quasi Wort für Wort – so wie es aktuell die meisten GPT-basierten Modelle tun. Transkreation ist das sinngemäße Übersetzen unter Rücksichtnahme kultureller, sprachlicher oder gesellschaftlicher Besonderheiten und Eigenarten.

Das Erkennen von zweideutigen Textpassagen, dialektalen Besonderheiten, Sprichwörtern oder landesüblichen Floskeln, die nur mangelhaft in andere Sprachen übertragbar sind, ist etwas, was Translationsprogramme nur ungenügend beherrschen, weswegen menschliche Transkreation immer wieder vonnöten ist.

Homogenisierung von Sprache

Man kann KI-Übersetzungen vorwerfen, dass sie nur die standardisierte Form einer Sprache darstellen. Doch was ist eine standardisierte Form? Wären das also BBC-Englisch, deutsches Hochdeutsch oder österreichisches Deutsch mit einem Wiener Einschlag? Wie definiert eine Sprache einen Standard? Vor wenigen Jahrzehnten noch konnte man Serbokroatisch studieren, aber seit den Jugoslawienkriegen der 1990er-Jahre gibt es diese Sprache nicht mehr, und sie wird teils durch die Kombination Serbisch/Kroatisch/Bosnisch oder ähnliche Varianten ersetzt. Ähnlich verhält es sich mit teils propagandistisch bis weltpolitisch bedeutsamen Fragen nach der Eigenständigkeit von Sprachen und damit auch der Eigenständigkeit von Nationen und Staaten. Ein Witz unter uns Linguisten und Linguistinnen geht der Frage nach, was eigentlich eine Sprache ausmache. Die darauf zu gebende Antwort "Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Flotte" wird dem Sprachwissenschafter Max Weinreich zugeschrieben. Sollten KI-Systeme also immer nach der Hauptstadt gehen und österreichisches Deutsch etwa auf Wiener Schmäh übersetzen? Durch die zunehmende Dominanz von maschinellen Übersetzungen könnte die Vielfalt der regionalen Dialekte und Mundarten allmählich verlorengehen, die eine Sprache erst bereichern und vielschichtig machen.

Seit der Globalisierung gibt es die Debatte um den Tod von Dialekten und ganzen Sprachen – und nicht nur Wissenschafter und Wissenschafterinnen beschwören das Aussterben der Dialekte: Bereits 2014 wollte das österreichische Bildungsministerium die Heimatsprache vor dem Aussterben retten. Lehrpersonal wurden ermutigt, im Unterricht beispielsweise Austriazismen zu verwenden.

Die Gefahr der Homogenisierung der Sprache durch KI-Übersetzung ist natürlich nicht nur auf Österreich beschränkt, sondern betrifft auch andere Länder und Regionen auf der ganzen Welt. Die Kultur und Identität eines Landes werden stark durch seine Sprache geprägt, und daher ist es wichtig, die sprachliche Vielfalt zu bewahren und zu schützen. Das führt uns aber auch zu Themen der Konservierung von Sprachen wie Kulturen – das andere Extrem. Das würde den Rahmen dieses Beitrags aber sprengen, weswegen folgender vor allem online kursierender Witz über die Essenz des Britischen eine Zusammenfassung bieten soll: "Als Brite geht es darum, mit einem deutschen Auto zu einer irischen Themenkneipe zu fahren, dort belgisches Bier zu trinken und dann zu Hause indisches Essen zu bestellen, um auf einem schwedischen Sofa vor einem japanischen Fernseher zu sitzen und amerikanische Sendungen zu schauen."

Synthese aus Mensch und Maschine?

Indem man sich bewusst ist, wie die Verwendung von maschinellen Übersetzungen die sprachliche Vielfalt beeinflussen kann, können Menschen in Österreich bewusstere Entscheidungen darüber treffen, wann und wie sie KI-Übersetzung einsetzen. Zwar macht die moderne Technik das Leben leichter, doch ist künstliche Intelligenz noch nicht so ausgereift, dass Unternehmen komplett auf menschliche Arbeitskräfte verzichten können. Dabei ist die Nachfrage für Fachübersetzungen durch die anhaltende Internationalisierung und Globalisierung deutlich gestiegen. Die englische Sprache ist dabei keineswegs die einzige Sprache, in den Texte übersetzt werden müssen. Immer häufiger ist es der Wunsch, Texte auch in asiatische Sprachen wie Indisch, Chinesisch oder Japanisch zu übersetzen. Denn hier gibt es für Unternehmen in Deutschland ebenso einen großen Absatzmarkt, der nur mit der richtigen Textsprache erreicht werden kann.

Auch das Übersetzen aus sogenannten kleinen Sprachen wird wichtiger. Nicht nur in der Literaturlandschaft, auch im wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Kontext sind Übersetzungen in größere Sprachräume zwar noch immer wenig präsent und ihre Perspektiven oft genug eine Leerstelle in der Vielfalt, aber sie finden zunehmend Berücksichtigung. Automatisierte und KI-Systeme brauchen viel Input, viele Daten und verbrauchen viel Strom und Rechenpower. Kleine Sprachen mit verhältnismäßig wenigen Sprechern würden also kaum den infrastrukturellen Aufwand der meist internationale operierenden Konzerne lohnen, aber wären vielleicht eine Lösung für das Dilemma, vor dem gerade menschliche Übersetzer und Übersetzerinnen stehen? Die Europäische Union hat 24 Amtssprachen. Zwar existiert kein Österreichisch (es wird einfach als Deutsch geführt), aber beispielsweise Maltesisch und Irisch, welche je nur wenige zehntausend Sprecher haben. Künftig könnte ein Dolmetscher- oder Übersetzungsbüro statt Englisch, Französisch oder Spanisch sich stärker auf Albanisch, Amharisch, Dari-Persisch oder Luxemburgisch fokussieren oder auf einzelne Dialektvarianten, um einen Marktvorteil gegenüber den elektronischen Massenübersetzern zu gewinnen. (Christian Allner, 13.9.2023)