Sind hunderttausende Inflationsanpassungsklauseln in österreichischen Mietverträgen ungültig? Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom März dieses Jahres brachte diese Möglichkeit ins Spiel, und die Causa nimmt nun Fahrt auf. Am Mittwoch gab der Wiener Rechtsanwalt Oliver Peschel bekannt, dass er erste "Sammelklagen" dazu starten werde. Dafür sucht er nun betroffene Mieterinnen und Mieter, die Rückzahlungen von ihren Vermieterinnen und Vermietern einklagen wollen.

Zinshäuser in Wien
Wien
Ein Wiener Rechtsanwalt sammelt Klagen gegen Vermieter ein, weitere Prozessfinanzierer könnten in dieser Causa noch folgen.
Putschögl

Wie berichtet, hat der OGH im Frühjahr entschieden, dass eine Indexklausel dem Konsumentenschutzgesetz (KSchG) widerspricht, wenn sie nicht Mieterhöhungen innerhalb der ersten beiden Monate nach Vertragsbeginn ausschließt – was in kaum einem Mietvertrag der Fall ist. Da es hier "nur" um das KSchG geht, sind Mietverträge zwischen Privat und Privat nicht betroffen, es geht um gewerbliche Vermieter wie Zinshausbesitzer, Fonds oder Versicherungen.

"Das ist ausjudiziert"

Und der Fall ist für Peschel jedenfalls trotz eher vorsichtiger Äußerungen von Mieterschutzorganisationen eindeutig: "Ich bin nicht der Meinung, dass da noch viele Fragen offen sind", sagt er dem STANDARD. Es gebe mittlerweile zwei rechtskräftige OGH-Urteile, "das ist aus meiner Sicht ausjudiziert". Nachsatz: "Ich starte keine Sammelklage, wenn ich mir rechtlich nicht sehr sicher bin." Peschel hat Erfahrungen mit Sammelklagen, bisher aber nur im Bereich des Online-Glücksspiels und der Corona-Entschädigungsansprüche.

Mieterschützer sind deshalb eher noch skeptisch, weil die beiden OGH-Entscheide jeweils Verbandsklagen betrafen, für die eine ganz besonders strenge Auslegung von Klauseln gilt. Diese OGH-Urteile müssten erst noch in Individualverfahren bestätigt werden, hieß es etwa von der Mietervereinigung.

Peschel macht nun aber schon fleißig Werbung für seine Sammelklage, es gibt eine eigene Website dafür. Wenn jemand eine Rechtsschutzversicherung habe, dann sei das perfekt, denn dann sei das für den betreffenden Mieter komplett kostenfrei machbar. Menschen ohne Rechtsschutzversicherung bietet Peschel die Möglichkeit, mit Prozessfinanzierern zusammenzuarbeiten, wobei dann im Erfolgsfall ein Teil des zurückerstatteten Betrags an den Prozessfinanzierer abgeführt werden müsste.

Bis zu 30 Jahre zurück könne man Forderungen stellen, sagt Peschel. Und er ist sich auch sicher, dass er nur der erste Anbieter einer Sammelklage sein wird – "im Herbst werden wohl ein paar Prozessfinanzierer auf den Zug aufspringen". So wie das beispielsweise bei der Überprüfung von Altbaumieten längst der Fall ist.

ÖVI warnt und kritisiert

Beim Österreichischen Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI) warnt man indes vor einer "falschen Erwartungshaltung" – und kritisiert auch die Methoden Peschels. "Sowohl die betreffende Aussendung als auch der werbliche Auftritt im Internet in Kooperation mit geschäftssinnigen Prozessfinanzierern erwecken bei tausenden Mietern die Erwartung, dass ihre Wertsicherungsvereinbarung im Mietvertrag definitiv ungültig sei und die Beträge der letzten 30 Jahre zurückgefordert werden können", schreibt Geschäftsführer Anton Holzapfel in einer Aussendung. "Mehr als fraglich ist, ob der OGH das wirklich im konkreten Einzelfall auch so entscheiden wird."

Fraglich sei unter anderem, ob es wirklich 30 Jahre sind, die zurückverlangt werden könnten – oder nicht doch eher nur drei Jahre, wie dies im Mietrecht beispielsweise bei der Rückforderung von zu hohen Altbaumieten der Fall ist.

Der OGH habe zudem erst vor wenigen Jahren "das legitime Interesse des Vermieters bestätigt, dass bei Dauerschuldverhältnissen eine Wertsicherungsvereinbarung getroffen wird". Um die Erhaltung und Verbesserung der Gebäude zu sichern, sei eine Indexvereinbarung unumgänglich, argumentiert man im ÖVI.

Und Holzapfel weist noch auf einen sehr allgemeinen Umstand hin: die schon lange bestehende Rechtsunsicherheit im Mietrecht, mit der Immobilientreuhänder konfrontiert seien – insbesondere im Altbau mit seinem Richtwertsystem. "Es kann den Immobilientreuhändern kein Vorwurf mehr gemacht werden, wenn sie den Vermietern zum Abschluss von kurzfristigen Verträgen raten." Das "Damoklesschwert" der rückwirkenden Rechtsunwirksamkeit von "Klauseln, die jahrzehntelang nach bestem Wissen und Gewissen vereinbart wurden", mache langfristige Mietverträge "völlig unkalkulierbar".

95 Prozent aller Mietverträge

Die kommenden gerichtlichen Auseinandersetzungen werden aber in jedem Fall höchst spannend. Es werde wohl nun mindestens ein Jahr dauern, bis man ein OGH-Urteil in einem Individualverfahren habe, sagt Holzapfel.

Und der Wiener Rechtsanwalt Reinhard Pesek führt ein paar Punkte ins Treffen, die dafür sprechen würden, dass die Sache wohl doch noch nicht so eindeutig zu bewerten ist, wie das Peschel tut. Es komme wohl viel darauf an, was in einem Mietvertrag konkret geregelt ist bzw. wann ein Mietvertrag mit welcher konkreten Indexierung abgeschlossen wurde. Denn in einigen Fällen sei es quasi undenkbar, dass es in den ersten beiden Monaten nach Vertragsabschluss zu einer Erhöhung der Miete kommen könne – etwa bei einem datumsmäßig fixierten Erhöhungszeitraum. "Wenn beispielsweise im August ein Mietvertrag abgeschlossen wird, in dem steht, dass die Anpassung 'mit jedem Jänner' durchgeführt wird", sagt Pesek. Oder wenn bei einem Richtwert-Mietvertrag für eine Altbauwohnung eine Indexierung per VPI vereinbart sei, hier gehe sich eine Anhebung wegen der notwendigen Fristenläufe kaum innerhalb der ersten beiden Monate aus, sagt Pesek.

Es komme aber eben auf solche Details an. Genau deshalb werde wohl viel Arbeit auf den OGH zukommen, glaubt der Anwalt.

Doch es geht ja auch um sehr viel: 95 Prozent aller österreichischen Mietverträge könnten betroffen sein, sagt Holzapfel. Nur "kleine" Vermieter mit einer oder ein paar wenigen Wohnungen sind auf der sicheren Seite. Doch sobald jemand fünf Wohnungen oder mehr besitzt, gilt das Konsumentenschutzgesetz. (Martin Putschögl, 10.8.2023)