Im Gastblog erklärt Rechtsanwältin Piroska Vargha, wo der Pass des Kindes im Fall gemeinsamer Obsorge zu verbleiben hat.

Es ist der Alltag vieler Kinder, deren Eltern nicht mehr zusammen sind. Jedes zweite Wochenende bei einem anderen Elternteil, eventuell ein Tag zusätzlich unter der Woche – je nach Abmachung und altersentsprechend individuell an das Kind angepasst. In den Schulferien und über die Feiertage werden oftmals Spezialregelungen getroffen, sodass etwa der Aufenthalt des Kindes im Sommer wochenweise geregelt wird. Naheliegend also, dass mit der gemeinsam gewonnenen Zeit auch der eine oder andere Urlaub im In- oder Ausland geplant ist.

Doch anders als Kleidungs- und Alltagsgegenstände, die auf beide Haushalte aufgeteilt oder bei jedem Haushaltswechsel mitgenommen werden können, stellt sich in Bezug auf Reisedokumente die Frage, wer diese aufzubewahren hat. Weiters ist zu klären, ob die Innehabung des Reisepasses durch einen Elternteil diesen auch dazu ermächtigt, dem eigenen Willen entsprechend über den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen.

Hand hält einen österreichischen Reisepass
Beide Elternteile dürfen den Reisepass des Kindes aufbewahren. Das bedeutet aber nicht, dass sie ohne Absprache mit dem Nachwuchs verreisen dürfen.
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Das Modell der gemeinsame Obsorge stellt meist den Regelfall dar, ungeachtet dessen, ob die Eltern verehelicht sind, in aufrechter Lebensgemeinschaft oder getrennt leben. Festzulegen ist, wo sich das Kind hauptsächlich aufhalten soll, möglich ist aber auch die Regelung in Form einer sogenannten Doppelresidenz, bei welcher das Kind seine Zeit zu gleichen Teilen bei dem jeweiligen Elternteil verbringt.

Beide Elternteile berechtigt

In einer unlängst ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH 28.2.2023, 4 Ob 6/23w) stellte dieser klar, dass beide Elternteile, ungeachtet des hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes, den Reisepass aufbewahren dürfen. Der faktische Aufenthalt des Kindes ist aber stets in Absprache mit dem anderen Elternteil zu koordinieren.

Im gegenständlichen Fall hat der Minderjährige zwei Staatsbürgerschaften, die Mutter ist das Domizilelternteil. Über den Antrag des Kindesvaters, einen der beiden Reisepässe des Minderjährigen bei sich zu behalten, hat das Erstgericht im Sinne der Kindesmutter entschieden, dass diese den Reisepass nur bei rechtzeitiger Information über die Details der bevorstehenden Auslandsreise herausgeben muss und der Vater den Reisepass nach der Auslandsreise der Mutter zurückzustellen habe. Anderes würde die Obsorge der Mutter nach dem Erstgericht einschränken.

Diese Rechtsmeinung vermochte das Rekursgericht und in weiterer Folge bestätigend auch der Oberste Gerichtshof nicht zu teilen und verwies auf die Rechtsänderung, die mit dem Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013 (KindNamRÄG 2013) einherging. Demnach steht das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei gemeinsamer Obsorge beider Eltern nicht mehr primär dem Domizilelternteil zu. Grundregel der gemeinsamen Obsorge sei nämlich, dass diese soweit tunlich und möglich einvernehmlich wahrzunehmen ist.

Bei der Aufbewahrung der Reisedokumente ist nach der Rechtsprechung darauf abzustellen, wem das Aufenthaltsbestimmungsrecht zukommt. Da dies bei der gemeinsamen Obsorge auf beide Elternteile zutrifft, sind auch beide gleichberechtigt, die Reisedokumenten des Kindes zu verwahren.

Keine Einschränkung oder Erweiterung der Obsorge

Aufgrund der bei der gemeinsamen Obsorge herrschenden wechselseitigen Informationspflicht geht mit der Innehabung des Reisedokuments daher eben genau keine Einschränkung oder Erweiterung der Obsorge ein. Ein Einvernehmen über den Aufenthaltsort des Kindes kann nämlich nur erzielt werden, wenn die Eltern einander alle wichtigen Informationen zur Verfügung stellen. Dazu gehören bei einer Auslandsreise typischerweise Informationen über Reiseziel, Reisedaten (einschließlich der verwendeten Transportmittel) und Zweck der Reise.

Somit darf der Kindesvater einen der Reisepässe des Minderjährigen bei sich behalten, der andere verbleibt bei der Kindesmutter. Im Regelfall wird lediglich ein Reisepass vorhanden sein – es bleibt auch in dieser Entscheidung offen, bei welchem Elternteil dieser zu verbleiben hätte. Klargestellt wurde dennoch, dass er von beiden Elternteilen aufbewahrt werden darf.

Diese Entscheidung zeigt jedenfalls, dass die Verwahrung der Reisedokumente durch einen Elternteil nichts daran ändert, dass eine Auslandsreise des Kindes stets nur im Einvernehmen mit dem anderen mitobsorgeberechtigten Elternteil entschieden werden darf. Sollte es dennoch zu diesbezüglichen Streitigkeiten zwischen den Eltern kommen und wird keine einvernehmliche Lösung gefunden, steht es ihnen jederzeit frei, eine Verfügung des Gerichts nach § 181 Abs 2 ABGB zu beantragen. Eine Kindeswohlgefährdung muss dafür nicht vorliegen. (Piroska Vargha, 11.8.2023)