Nach Feierabend noch zwei Projekte beginnen, in der Früh direkt weitermachen, dann noch zwei Besprechungen leiten – und das jeden Tag. Wer sich maximal anstrengt, wird auch maximal erfolgreich werden: eine Denkweise, die bereits unter vielen Fachleuten als überholt gilt. Ein Umdenken findet in vielen Unternehmen auf unterschiedliche Weise statt.

Die 85-Prozent-Regel im Job kann zu besseren Ergebnissen führen
Hochengagierte Personen wollen meist alles und noch mehr im Job geben. Besser wären aber nur 85 Prozent von ihrem Maximum, sagen Fachleute.
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Die einen schenken den Mitarbeitenden Wellness-Apps zum Meditieren oder für Selfcare-Tipps, wie sie richtig abschalten. Andere bieten Yoga-Stunden an oder eine Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio als Benefit, für mehr Ausgleich. Anderswo gibt es Angebote für Gespräche mit Arbeitspsychologinnen. Trotzdem gehen viele Beschäftigte immer wieder an ihre Grenzen und überarbeiten sich völlig. Was also tun, um nachhaltig ein glückliches, leistungsstarkes Arbeitsleben zu führen?

Am besten nicht mehr 110 Prozent und mehr geben, sondern lieber nur noch 85 Prozent, sagen einige Karriereberaterinnen und Coaches. Auch der US-amerikanische Buchautor und Führungsexperte Greg McKeown argumentiert dies in einem kürzlich erschienenen Artikel der "Harvard Business Review". "Die 85-Prozent-Regel besagt, dass man sich nicht maximal anstrengen muss, um maximale Leistung zu erzielen. Wenn Sie sich ständig zu 100 Prozent anstrengen, führt das zu Burnout und letztlich zu weniger optimalen Ergebnissen", lautet McKeowns Credo.

Bremsen statt ausbrennen

Auch die Führungsstrategin und -coach Shade Zahrai sprach erst in einem Tiktok-Video davon, als leistungsorientierter Mensch nicht ständig alles und noch mehr geben zu wollen. Die "85-Prozent-Regel" sei deutlich erfolgversprechender, sagt sie und erklärt: Wer ständig jede Aufgabe perfekt erledigen und dann noch mehr schaffen wolle, werde im Endeffekt mit noch mehr Aufgaben beladen und irgendwann völlig erschöpft sein. Die Leistung werde nur schlechter. Wer aber konstant bei rund 85 Prozent seiner Leistungsstärke arbeite, könne mehr in weniger Zeit erledigen. Dann bleibe auch noch genügend Batterie, um mit einer bestimmten Aufgabe Top-Leistung zu erbringen.

Wie hält man gute Leistung? Mit konstant 85 Prozent Bemühung, sagt Shade Zahrai auf Tiktok.

Aber wie soll das gehen, wie sollen Menschen berechnen, wie sie 15 Prozent ihrer Anstrengung ablegen? Eine Formel legen die Fachleute mit dem Tipp natürlich nicht vor. Dafür kann aber die Wissenschaft einen Ansatz zur Erklärung liefern. Forschende der Universitäten von Arizona, Princeton und Brown haben gemeinsam mithilfe von Computersimulationen erforscht, wie stark Menschen sich beim Lernen anstrengen sollten. Die Ergebnisse führten zu der Regel: Wenn man nicht in 15 Prozent der Fälle scheitert, ist der Lernerfolg nicht optimal. Wer keine Fehler macht, lernt also nicht. Ihre Studie zeigte: Wer erfolgreich sein will, sollte 85 Prozent erfolgreich sein.

Natürlich bedeutet das jetzt nicht, dass Arbeitende herausfinden müssen, wann genau bei ihnen 85 Prozent erreicht sind. Dazu ist persönliche Leistung zu individuell und wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, innerlich und äußerlich. Was McKeown aber empfiehlt, ist, eine Arbeitskultur im guten Mittelmaß zu schaffen. Damit sollen langfristig tatsächlich bessere und glücklichere Teams entstehen. Was er vor allem Führungskräften empfiehlt:

In einer Untersuchung aus dem Jahr 2021 zu Burnout-Prävention fragte die Stress- und Resilienztrainerin Paula Davis Arbeitende nach Aspekten, die ihrer Meinung nach ihre psychische Gesundheit und ihr Wohlbefinden beeinträchtigen. Als häufigste Antwort kam das Gefühl, ständig auf Abruf sein zu müssen, unzumutbare Arbeitsbelastungen zu spüren, kaum Autonomie zu haben und ungerecht behandelt zu werden. Es sei somit wichtig, im ganzen Arbeitsumfeld etwas zu ändern und zurückzuschrauben, statt die Belastungen immer wieder einzeln ausgleichen zu wollen.

Oder sind die 85-Prozent-Arbeitenden einfach nur faul? Wenn man sich ansieht, wo die Regel eigentlich wirklich herkommt: Nein! Carl Lewis, ein neunfacher Olympiasieger im Sprint, war berüchtigt dafür, ein langsamer Starter zu sein. An der 40-Meter-Marke eines 100-Meter-Sprints fand sich Lewis regelmäßig am Ende der Gruppe wieder. Bis alle Läufer im Ziel waren, hatte Lewis jedoch in der Regel die Führung übernommen, was ihm den Spitznamen "Master Finisher" einbrachte. Sein Trainer wies ihn regelmäßig an, nicht mit 100 Prozent zu laufen, sondern nur mit 85. Die Idee dahinter: Bei 85 Prozent Anstrengung arbeitet man etwas unter seiner absoluten Leistungsgrenze, kann sich dadurch entspannen und seine Fähigkeiten ohne Einschränkungen ausführen. (mera, 13.8.2023)