Carrera, Modellauto, Rennbahn
Mit gekauften Boliden aus der Schachtel geben sich wahre "Carreraristi" nicht zufrieden. Zu ihrer Leidenschaft zählen auch das Pimpen und das Tunen.
Nathan Murrell

Flugs schlängelt sich die Straßenbahnlinie 4 vom Linzer Hauptbahnhof Richtung Leonding. Bei der Station Doblerholz heißt es aussteigen. Hier erwartet einen der weißmähnige Hüne Wolfgang Pussecker, Schichtarbeiter im Bereich Schwertransport und Logistik sowie Rennfahrer. Genauer gesagt Slotcar-Rennfahrer. Nach einem kräftigen Händedruck geht’s ein paar Meter zu Fuß durch die Vororte-Pampa, gesprenkelt mit Niederlassungen von Obi, Lidl, Admiral Wetten und anderen üblichen Verdächtigen in derlei Gegenden.

Der Rennstall des Slotcar-Clubs misst 55 Quadratmeter und befindet sich im ersten Stock eines würfeligen Neubaus. Im Erdgeschoß macht eine Firma in Flatscreens. Das Begrüßungskomitee im Club besteht neben Wolfgang Pussecker aus Helmut Hofstadler, Firmensanierer im Ruhestand, Roman Weber, pensionierter Sachverständiger im Kfz-Bereich, und einer lächelnden, blond gelockten jungen Frau in rotem Seidenkleid. Früher hätten manche Zeitgenossen wohl den Ausdruck Boxenluder in den Mund genommen. In ihrer Hand hält sie ein Schild mit der Aufschrift "Herzlich willkommen und gute Fahrt beim Modellauto-Slotcar-Club Pasching". Wer meint, die Frau in Form einer lebensgroßen Kartonfigur sei gehörig aus der Zeit gefallen, hat recht.

Von ihrem Platz aus blickt sie, und das wird schnell klar, auf ein Bubenreich. Dabei tut es nichts zur Sache, dass einer der Buben bereits 73 Lenze zählt. "Natürlich leben wir hier das Kind im Manne aus. Wäre doch schade, wenn man das verloren hätte", sagt Hofstadler. "Slotcarfahren hält jung, fördert die Konzentrationsfähigkeit und ist gut für den persönlichen Ausgleich. Ich bin seit 50 Jahren verheiratet", setzt er nach und grinst spitzbübisch. Man ist geneigt, ihm zu glauben. Voller Esprit legt er seine Erklärungen dar. Hofstadler bezeichnet das Herumflitzen übrigens als Sport, es gebe schließlich auch Weltmeisterschaften.

Wie es mit dem Frauenanteil in der Szene aussieht, möchte man wissen. "In unserem letzten Verein hatten wir ein Mädchen dabei", sagt der Chef des achtköpfigen Clubs, der im vergangenen Mai neu gegründet wurde und auf Zuwachs hofft. Warum Frauen so schwach bis gar nicht vertreten sind? "Das müssen Sie schon die Damen fragen. Wir sind für alles offen." "Insgesamt", so Hofstadler, "kenne ich nur drei Klubs wie den unseren." "Aber die Dunkelziffer ist sicher höher", setzt Pussecker nach, was er gerne tut.

Nun aber genug geschwätzt: Die 36,8 Meter lange, vierspurige Carrera-Rennbahn mit ihren Kurven, Achtern, Brücken und Unterführungen ist eine geschwungene große kleine Welt. Zu sehen sind die unterschiedlichsten Fahrzeuge diverser Gattungen wie GT oder DTM. Ferner entdeckt man bei genauerem Hinsehen Tribünen, Kameraleute, Sonnenschirme, leicht bekleidete Damen, ein Wäldchen, Hubschrauber, WC-Häuschen, eine hölzerne Getränkekassa und einen an der Wand befestigten Computerbildschirm, der die Rundenzeiten und andere Details zum Rennverlauf einblendet. Ein Rennstall für Gullivers.

Die 36,8 Meter lange, vierspurige Carrera-Rennbahn mit ihren Kurven, Achtern, Brücken und Unterführungen ist eine geschwungene große kleine Welt.
Die 36,8 Meter lange, vierspurige Carrera-Rennbahn mit ihren Kurven, Achtern, Brücken und Unterführungen ist eine geschwungene große kleine Welt.
Nathan Murrell

Faserpistolen aus der Enterprise

Dann geht’s ans Eingemachte. Die Rennfahrer reinigen mit Klebeband die Reifen, nehmen ihre selbstgebauten Regler in die Hand, die viererlei Befehle ausführen. Gas geben, Ansprechverhalten, sprich "Giftigkeit" erhöhen, drosseln und bremsen.

Die Ampel schaltet auf Grün, die Augen der Männer picken auf ihren Bolidchen. Ihre Regler halten sie wie Faserwaffen aus dem Raumschiff Enterprise, schließlich entscheidet das pistolenartige Ding das Rennen. "Und Talent und Übung und Konzentrationsfähigkeit. Es geht darum, das Modellauto im Grenzbereich zu bewegen, den optimalen Bremspunkt zu bestimmen und seinen Rhythmus zu finden", erklärt Pussecker während des ersten Boxenstopps. Das schnellste Auto, gefahren wird im Maßstab 1:32, bringt es auf 40 Meter in sieben Sekunden. Umgerechnet auf den Maßstab 1:1 ergibt das laut Hofstadler 658 km/h.

Die Flitzer zischen bissig über die Strecke. Zu hören ist ein gleichmäßiges, feines Sausen. Das Auge des Besuchers hat Mühe mitzuhalten, und man wundert sich, was die Fliehkraft doch für ein faszinierend Ding ist. Die Autos scheinen trotz ihres Speeds auf der Bahn zu kleben. Schließlich gelingt Hofstadler mit seinem weißen Nissan R390 Gt 1 Le Mans auf Spur zwei eine Rekordrunde in 6,798 Sekunden.

"Die Kunst ist es, nicht aus den Kurven zu fliegen. Wie im echten Leben", sagt Roman Weber trocken. Passiert es doch, und es passiert nicht selten, kommt zumindest auf der Rennstrecke eine lange Stange mit Greifarm am Ende zum Einsatz, der das Wägelchen von der Piste birgt. Namen hat die Strecke noch keine. Es gibt auch keine Pussecker-Schikane oder Hofstadler-Gerade. Kann ja noch kommen.

Basteln, fahren, diskutieren

Die Carrerabahn steht mittlerweile für Generationen für eine Erinnerung an einen Weihnachtsabend, an dem freudig das Paket mit den Autos und Schienen ausgepackt wurde, um allerdings schon nach den Feiertagen am Dachboden zu landen und dort das weitere Dasein zu fristen. Auch aus diesem Grund, sagen die drei Männer, machen Vereine Sinn. Hier gibt es fixe Abende. Hier werden Rennen gefahren, man frönt der Besserwisserei und trinkt wohl auch mal ein Bierchen. Unterschieden werden die "Carreraristi" in reine Fahrer, Elektronikfreaks sowie Bastler und Schrauber. Manche haben von allem etwas. Aber eher selten.

"Geht nicht gibt’s nicht", sagt Pussecker, "egal ob es um Relais-Bausteine oder um die Verkabelung unter dem Tisch geht". "Es geht auch ums Diskutieren", sagt Pussecker. Apropos: Beim Herumflitzen wird der Ton mitunter schon etwas ruppiger. Vor allem wenn es ums Reglement geht und hier 15 Leute aufkreuzen und um den großen Preis von Leonding fighten. "Wenn einer die Mindestbodenfreiheit von einem Millimeter um ein Zehntelmillimeter unterschreitet, fährt er nicht mit. Basta." Man glaubt Pussecker. Circa 24 Stunden verbringt der harte Kern des Clubs hier pro Woche an der Rennstrecke. Clubabende finden an jedem Freitag ab 19 Uhr statt. Die späteste Sperrstunde, erinnert sich Roman Weber, war um halb vier Uhr morgens.

Die ersten Rennbahnen dieser Art brachte 1957 die englische Firma Scalextric auf den Markt. Später kamen unter anderem hinzu: Carrera, Märklin, Faller, Arnod oder Gama. Der Name Carrera hat sich dabei gewissermaßen verselbstständigt und wurde schon vor Jahrzehnten zum Deonym für Slotcarbahnen, also zu einem Markennamen, der sich als Bezeichnung für eine Produktgruppe durchgesetzt hat, ähnlich wie Uhu, Tixo oder Tempo. Auch deshalb ist an dem Schriftzug Carrera beim SCC Pasching kein Vorbeikommen. "Wer weiß schon, was Slotcars bedeutet", sagt Helmut Hofstadler. Wie er Slotcars ins Deutsche übersetzen würde? "Schlitzautos". Der Slotcarbereich von Carrera basiert auf der 1920 gegründeten Blechspielwarenfabrik JNF. 1957 übernahm Hermann Neuhierl, der Sohn des Firmengründers, das Unternehmen. 1963, also vor 60 Jahren, begann er mit der Produktion seiner Carrera-Autorennbahnen und erwarb bei Porsche die Lizenz für den Markennamen Carrera.

Im Laufe der Jahrzehnte kam es zu verschiedenen Turbulenzen, die letztendlich 2021 in der Umfirmierung zu Carrera Toys GmbH unter dem Dach der Carrera Revell Group mündete. Die Marke beherrscht mit 98,1 Prozent den deutschen Markt für Slotcars. Laut einer Studie von Icon Kids zählt Carrera zur Top Five der beliebtesten Spielzeugmarken. Das Wort Carrera stammt übrigens aus dem Spanischen und bedeutet "Rennen". "Und der Wettkampf", so Hofstadler, "ist das Salz in der Suppe". Es gebe sogar 24-Stunden-Rennen. "Aber nicht bei uns", so Pussecker

Helmut Hofstadler, Wolfgang Pussecker und Roman Weber in ihrem Bubenreich, wo es in der Hitze des Gefechts schon mal ruppig zugeht.
Helmut Hofstadler, Wolfgang Pussecker und Roman Weber in ihrem Bubenreich, wo es in der Hitze des Gefechts schon mal ruppig zugeht.
Nathan Murrell

Österreich, so Hofstadler, befinde sich in Sachen Slotcars im Gegensatz zu Deutschland, der Schweiz oder Spanien in der Steinzeit. Warum das so ist, weiß er nicht. Dabei sollte er es wissen, wurde er doch bereits 1967 Welser Stadtmeister in Sachen Slotcarrennen. Stolz hält der Slotcar-Dinosaurier, wie er sich selbst bezeichnet, dem Besucher den dazugehörigen Zeitungsausschnitt unter die Nase. Auf seinem T-Shirt prangt der Schriftzug "Fast & Furious". Nomen est omen. Er selbst besitzt 200 Slotcars, zum Teil Raritäten wie einen Carrera 124 aus dem Jahre 1968. Einen VW-Käfer, das Auto seiner Jugend, hat er schlichtweg selbst nachgebaut. "Schon mit 15 hab ich zerlegt und zusammengebaut, was die anderen weggeschmissen haben", sagt er mit stolzer Brust.

Kein Spielzeug

Alle Wagen werden gepimpt, getunt und umgebaut. Es werden Reifen gebastelt oder Zahnräder gefräst. "Mit einem Carrera-Auto aus der Schachtel hast hier kein Leiberl. Das ist nur Spielzeug", sagt der Auskenner, wenngleich er erwähnt, dass manche Originale zu kostbar sein, um mit ihnen zu fahren.

Auch wegen der Leidenschaft für die Bastelei kommt bei den Slotcarpiloten nur wenig Begeisterung für die seit 2007 entwickelten digitalen Systeme von Carrera auf. "Beim analogen System fährt jedes Slotcar mit einem eigenen Stromkreis und wird mittels Regler direkt gesteuert, beim digitalen fahren alle Slotcars mit demselben Stromkreis und werden über die Elektronik im Fahrzeug gesteuert." Das sei eher für das einsame Herumdüsen in den eigenen vier Wänden und fernab der Circuit-Atmosphäre eines Clubs geeignet.

Als man, nachdem die Zielflagge geschwenkt wurde, wieder in der Straßenbahnlinie 4 sitzt, fällt einem das Zitat von Niki Lauda ein, der gesagt haben soll: "Ich habe es satt, blöd im Kreis zu fahren." Das dürfte den drei Herren in Linz wohl nicht so bald über die Lippen kommen. (RONDO, Michael Hausenblas, 18.8.2023)