Die Gräben am Arbeitsmarkt werden tiefer. Das klassische Paradoxon verschärft sich – großer Mangel an Fachleuten plus wachsender Bedarf an Spezialisten (etwa für die grüne Transformation) bei gleichzeitig zunehmender Arbeitslosigkeit für eher leicht zu tauschende Belegschaften (etwa via Zeitarbeitsfirmen Beschäftigte im Bereich Bau und Industrie). Und im Streit um Leistung, abgearbeitet am Aufreger Arbeitszeitverkürzung, werden die Fronten härter.

Ein Mann montiert Photovoltaik-Platten auf einem Dach
Nicht nur in der Photovoltaik fehlen die Fachleute – die gesamte grüne Transformation ist gebremst durch das Fehlen von Fertigkeiten.
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Hier jene, die Arbeitszeitverkürzung verlangen oder "freiwillig", wie Arbeitsminister Martin Kocher das nennt, nur wenige Stunden in Teilzeit der Firma widmen wollen. Das sind die, von denen Bundeskanzler Karl Nehammer sagt, sie hätten die "Balance", die anderen die "Work". Dort jene, die mit ihrem Vollzeitjob (oft in der niederschwelligen Versorgung anderer) nicht durchkommen. Es sind regelrechte Feindbilder entstanden im Streit um die Arbeitszeit, vor allem um die Frage ihrer Verkürzung, die sehr klar politischen Lagern und Bünden zugeordnet werden können. Es wird ein heißer Verhandlungsherbst werden – aber es geht doch um viel mehr.

Privilegierte und Abgehängte

Wenn die einen arbeiten, wenn, wann und von wo aus sie wollen, während die anderen leider rausfliegen oder sich von Jobtrends wie "Gib nie mehr als 85 Prozent" verhöhnt fühlen, weil sich ihre variablen Immo-Kredite gerade verdoppelt haben, dann sind das ausgesprochen schlechte Vorboten. In Unternehmen verlangt das einen Spagat innerhalb der Belegschaft, der nicht zu machen ist. Es werden wohl Kernbelegschaften in abgesicherten Fixverträgen reduziert und mehr Satellitenarbeiter auf Projektbasis entstehen. In der Gesellschaft droht ein weiterer Schritt der Fragmentierung und der Entsolidarisierung. Wir laufen Gefahr, mehr und mehr Menschen abzuhängen, weil sie nicht das können, was gefragt ist, mit Digitalisierung und der Integration künstlicher Intelligenz in den Job nicht zurechtkommen.

Das AMS als One-Stop-Shop

Wir stehen vor Themen im Arbeitsmarkt, die weit über den populistisch geführten Diskurs Arbeitszeit hinausgehen. Es geht jetzt schnell mit dem Wandel, und da ist mehr gefragt als Säbelrasseln vor den bevorstehenden Kollektivrunden. Auch wenn Stagflation und Zukunftsängste teilweise die hochfliegenden Ansprüche der neuen Arbeitswelt nach weniger bremsen und sich so manche Arbeitgeber darüber freuen mögen: Ohne großen Plan für ein umfassendes und fortlaufendes Re- und Upskilling-Angebot an möglichst viele Menschen wird mit Sicherheit wahr, wovor die Wirtschaftskammer so gerne anlässlich des Themas weniger Arbeitsstunden warnt – der großflächige Wohlstandsverlust.

Wir brauchen dringend eine transparente, leicht zugängliche Struktur der Weiterbildung mit zukunftstauglichem, inklusivem Förderregime. Ein leicht erreichbares Netzwerk der Anlaufstellen als One-Stop-Shop. Die bundesweite Basis müsste nicht erfunden werden – das Arbeitsmarktservice AMS verfügt längst darüber. Fehlt nur noch die gemeinsame Zukunftsvision. Dann könnten die jeweiligen Branchen vernünftig über eine Arbeitszeit verhandeln, von der mehr Stunden in die Weiterbildung fließen. (Karin Bauer, 14.8.2023)