"Bezahlst du bar oder mit Karte?", fragt uns der Bundeskanzler in einem Video, das er in sozialen Medien gepostet hat. Es geht um Karl Nehammers Kampf für das Bargeld. Denn "immer wieder hört man, das Bargeld soll abgeschafft werden". Nachdem Nehammer mit dieser Wischiwaschi-Formulierung ohne Beleg gleich im dritten Satz offenbart, dass seine Ansprache ein Nichtthema behandelt, können wir uns wie viele andere auf die Form seiner Darbietung konzentrieren: Der Kanzler duzt.

Screenshot aus einem Video von Karl Nehammer. Der Kanzler fragt:
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) duzt die Bevölkerung in einem Video. Der Beginn einer kleinen egalitären Revolution?
Screenhot Twitter

Das regt manche auf, den meisten ist es wohl wurscht, in weiten Teilen Tirols und Vorarlbergs wusste man bisher gar nicht, dass man auch "Sie" sagen kann. Je nachdem, wo man lebt, ist das Du-Wort nur vertrauten Menschen vorbehalten, die förmliche Anrede hebt man sich für jene auf, zu denen man eine gewisse Distanz wahren will. Zum Beispiel Regierungsmitglieder. Kaum jemand außerhalb der ÖVP würde auf die Idee kommen, den Kanzler zurückzuduzen, das gibt dem Ganzen eine gewisse Asymmetrie.

Eine egalitäre Vision für Nehammer

Gesellschaftliche Hierarchien sind in der ÖVP-Ideenwelt fest verankert, deswegen ist es unwahrscheinlich, dass eine egalitäre Vision Nehammer zum "Du" getrieben hat. Aber wie fortschrittlich wäre es, wenn der Kanzler eine gesellschaftliche Entwicklung anstoßen würde, an deren Ende das Ende der förmlichen Anrede stehen würde? Wo wir es wollen, können wir Distanz dann immer noch mit Taten wahren (man kann sich auch siezend verhabern) und im Gegenzug künstlich geschaffene Gefälle loswerden (keiner Maturantin ist zuzumuten, ihren Lehrer zu siezen, während er sie duzt).

Ja, das wäre nur ein kleiner Schritt für die Republik. Aber er würde ihr sicher mehr bringen als Nehammers Bargelddebatte. (Sebastian Fellner, 14.8.2023)