"Zweifel ist unser Produkt, denn er ist das beste Mittel, um mit den Fakten zu konkurrieren, die in den Köpfen der Öffentlichkeit existieren." Festgehalten wurde dieser Satz im Jahr 1969 in einem Dokument der Brown and Williamson Tobacco Company, einer Tochtergesellschaft von British American Tobacco. Es war die Zeit, in der die Tabakindustrie bemüht war, die Gefahren des Rauchens zu negieren und das Suchtpotenzial von Nikotin herunterzuspielen, um keine finanziellen Einbußen oder Imageschäden hinnehmen zu müssen.
Heute wissen wir um die gesundheitsschädigenden Effekte von Zigaretten. Der Informationsstand der Gesellschaft und der Grad der Aufklärung haben sich verändert, während eines gleich blieb: Nach wie vor ist das Streuen von Zweifeln eine populäre Strategie, wenn es um bewusste Desinformation der Öffentlichkeit oder das Entfachen von Kontroversen geht. Was vor mehr als 50 Jahren für die Tabakindustrie funktionierte, wirkt noch immer – und zwar bei der heißumkämpften Thematik des Klimawandels. Auch hier heißt die Formel: Zweifel schüren, wo eigentlich wissenschaftlicher Konsens herrscht, und die öffentliche Meinung dadurch in die gewünschte Richtung lenken. Jahrzehntelang lautete die Strategie der fossilen Industrie, den Klimawandel zu leugnen. Unangenehme Erkenntnisse wanderten in Schubladen und wurden unter Verschluss gehalten.
Demaskierte Strategien
Der Ölkonzern Exxon verfügte Ende der 1970er über präzise Prognosen zur Erderwärmung, 1986 warnten hausinterne Forscher von Shell vor drohenden Dürren und Überschwemmungen. Die Aufforderung, unverzüglich zu handeln, stieß auf taube Ohren. Auch Forschende selbst waren und sind oft Erfüllungsgehilfen der Industrie, wie Publikationen zeigen. Häufig liegt ihr Fachbereich weit abseits des Themas, zu dem sie sich mit Nachdruck äußern. Eine andere Methode, um Skepsis zu nähren, war und ist es, Forschende und deren Arbeit zu diskreditieren. Der Bluthund der Klimawandelleugner hieß um die Jahrtausendwende Marc Morano. Er war unter anderem auf Mission gegen Michael Mann, der im Hockeyschläger-Diagramm den Temperaturverlauf der vergangenen tausend Jahre auf der nördlichen Hemisphäre darstellte. Nach Hetzkampagnen zog Mann wegen Drohungen gegen ihn und seine Familie mehrmals um, Häme und Anfeindungen begleiteten ihn weiterhin.
Seither hat das Geschäft mit dem Zweifel in puncto Klimawandel aber eine Evolution durchlaufen: Statt zu leugnen, wird heute beschwichtigt. In einer aufsehenerregenden Studie identifizierten Forschende 2020 jene Kommunikationsstrategien, die sie "Discourses of Climate Delay" nannten. Diese "Diskurse der Verzögerung" erkennen den Klimawandel zwar an, rechtfertigen aber Untätigkeit. Die Gruppe ordnete die zwölf identifizierten Verzögerungsstrategien vier Kategorien zu. Punkt eins ist das Umlenken von Verantwortung, etwa auf andere Nationen oder auf das Individuum, Stichwort: ökologischer Fußabdruck. Punkt zwei ist das Drängen auf nicht-transformative Lösungen, hier findet sich oft auch der Verweis auf künftige technologische Maßnahmen. Punkt drei betont die Nachteile von Klimaschutzmaßnahmen, seien sie sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Natur. Punkt vier rechtfertigt die Resignation, da Wandel unmöglich sei oder schon zu spät komme.
Skepsis bringt Stimmen
Geht es um Verzögerung, sieht Klimawissenschafter Daniel Huppmann derzeit zwei Handlungsstränge, erklärt er im STANDARD-Gespräch. "Einerseits wird bezweifelt, dass der Klimawandel mit den Extremen zu tun hat, die wir gerade beobachten können, etwa Hitzewellen, Waldbrände und Überschwemmungen", sagt der Forscher des International Institute for Applied Systems Analysis. "Dazu gesellt sich das Infragestellen von Klimaschutzmaßnahmen, parallel wird auf Maßnahmen verwiesen, die erst in einigen Jahren schlagend werden können." Das sind etwa grüner Wasserstoff, CO2-Abscheidung und -Speicherung und die von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) angepriesenen E-Fuels. Zwar seien diese Technologien künftig wichtig, bestätigt Huppmann, doch: "Sie werden mit dem Hintergedanken verkauft, jetzt nichts tun zu müssen, und das widerspricht dem Wissensstand."
Die Politik zieht in vielen Fällen Profit daraus, Fakten zu verzerren und wissenschaftlich gesichertes Wissen anzufechten. Stark verbreitet ist diese Methode in der rechten Szene. Von Brasilien über die USA bis Europa steht der Klimaschutz unter Beschuss rechtsgerichteter Politpersönlichkeiten und Parteien. Sowohl die AfD als auch die FPÖ verkaufen Klimaschutz als Schikane gegenüber der Bevölkerung, die Klimabewegung als etwas von Eliten Erdachtes. Derart verpackt liefert das Thema die Basis, um für die Rechte des Volkes einzutreten. Oder wie es Huppmann formuliert: "Um den kleinen Mann mit dem großen Auto zu beschützen." Das Ausmaß solcher Taktiken wird ihm zufolge in Zukunft steigen, stehen doch massive finanzielle Interessen im Hintergrund. "Ölkonzerne, Auto- und Bauindustrie verstehen es, die emotionale Klaviatur optimal zu bespielen, etwa mit der Auto- oder Schnitzeldebatte als Ausdruck der geraubten Freiheit", sagt er.
Bremsen und twittern
Speziell die fossile Industrie geht raffiniert vor, wenn es um die Wahrung ihres Geschäftsmodells geht. Eine im März veröffentlichte Studie analysierte mehr als 25.000 Twitter-Posts von Shell, Exxon Mobil, BP und Total Energies. Die größte Überraschung: Erneuerbare Energien und Erdgas wurden auffallend oft gemeinsam genannt. Letzteres wird dabei als Notwendigkeit zur CO2-Reduktion verkauft. Für die Forschenden ist klar, dass Erdgas dadurch ein grüner Anstrich verpasst werden soll – mit dem Ziel, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu festigen und einen Wandel des Energiesystems zu behindern.
Die Wirkmacht solch sprachlicher Einfassungen ist nicht zu unterschätzen. "Entgegen herkömmlichen Mythen treffen Menschen politische, ökonomische und soziale Entscheidungen nicht aufgrund von Faktenlagen", schreibt etwa die Linguistin Elisabeth Wehling in ihrem Buch "Politisches Framing". Entschieden werde auf Basis von Frames – also gedanklichen Deutungsrahmen. Das 2016 erschienene Werk stieß in Fachkreisen gleichsam auf Lob und Kritik. Kontrovers diskutiert wurde auch ein 2019 veröffentlichtes Framing-Manual, das Wehling im Auftrag der ARD erstellte. Obwohl sie dadurch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, war sie keineswegs die erste Wissenschafterin, die sich dem Thema widmete. Die ersten Forschungsarbeiten dazu erschienen in den frühen 1980er-Jahren. Frames lenken unser Denken und Handeln, ohne dass wir es merken, denn 98 Prozent unseres Denkens finden unbewusst statt. Trotzdem bewerten und agieren wir aufgrund dieser Frames. Sie erklären teils auch die Gewalt, die dem Klimaaktivismus entgegenschlägt. Werden Menschen als Klimaterroristinnen und -terroristen bezeichnet, aktiviert auch das einen Frame: Terrorismus ist eine lebensbedrohliche Gefahr, gegen die man sich zur Wehr setzen darf. So werden Worte tatsächlich zur Waffe. (Marlene Erhart, 21.8.2023)