Energierechnungen zu verstehen ist fast eine Wissenschaft – was kein großes Problem war, solange die Energie billig war und die Angelegenheit von den meisten Menschen als nicht besonders wichtig erachtet wurde. Mittlerweile jedoch sind die Preise in die Höhe geschossen und für viele zum echten Problem geworden. DER STANDARD bekommt zahlreiche Zuschriften von Leserinnen und Lesern, die Unklarheiten in ihren Rechnungen orten oder sonstige Fragen zum Thema Energieversorger haben. Hier versuchen wir sie zu beantworten. Der zweite Teil (zum ersten geht es hier) handelt von intransparenten Fernwärme-Rechnungen.

Müllverbrennungsanlage der Wien Energie in der Spittelau: Christoph S. hat versucht, seine Fernwärme-Rechnung zu verstehen – und ist kläglich daran gescheitert.
IMAGO/CHROMORANGE

Frage: Man wolle die Kunden "vor besonders hohen Preisen schützen", hieß es in einem Brief, den der städtische Versorger Wien Energie mit der letzten Jahresabrechnung an viele Fernwärme-Kundinnen und -Kunden schickte. Deshalb habe man "rückwirkend einen Preisdeckel bei 120 Euro / Megawattstunde (MWh) eingezogen". Die Aktion galt für die Heizsaison 2021/22, der Deckel endete demnach im August 2022. Doch für Christoph S., einen Fernwärmekunden aus Wien, ist der Deckel nicht verständlich. Wenn er anhand der Zahlen seiner Rechnung nachrechnet, komme er auf einen viel höheren Preis pro MWh als 120 Euro, schreibt er dem STANDARD. "Außerdem verstehe ich nicht, wo sich überhaupt in der Rechnung die 120 Euro finden sollen." Christoph S. hat die offenen Fragen um den Deckel darüber hinaus zum Anlass genommen, um überhaupt einmal zu versuchen, die Rechnung nachzuprüfen und nachzuvollziehen – und ist an diesem Vorhaben kläglich gescheitert. Was steckt hinter alldem?

Aus der Fernwärme-Jahresabrechnung:
Aus der Fernwärme-Jahresabrechnung: "Um Sie vor besonders hohen Preisen zu schützen", zieht die Wien Energie einen Preisdeckel von 120 Euro ein.
privat

Antwort: Kein Wunder, dass Christoph S. scheitert. Energierechnungen sind ohnehin kompliziert, jene für Fernwärme gelten als besonders intransparent, wie etwa die Arbeiterkammer regelmäßig beklagt. Insofern muss man etwas ausholen, um das Problem von S. aufzurollen – und die komplexe Welt der Fernwärme-Abrechnung besser zu verstehen.

Rund bei der Hälfte der Fernwärme-Verträge der Wien Energie haben die Kunden keine fixierten Preise, sondern es handelt sich um sogenannte indexierte Lieferverträge, erklärt eine Unternehmenssprecherin dem STANDARD. Das bedeutet, die Preise schwanken Monat für Monat anhand bestimmter Indizes, etwa des Gaspreisindexes oder der Inflationsrate. Eben bei diesen indexierten Verträgen hat die Wien Energie den besagten Preisdeckel von 120 Euro pro MWh eingezogen. Alle Summen, die darüber hinausgehen, sind also nicht zu bezahlen. (Zum besseren Verständnis sei hinzugefügt, dass der Wien-Energie-Deckel nichts mit staatlichen Deckeln und Bremsen zu tun hat, sondern ein Schritt ist, den das Unternehmen für seine Kunden gesetzt hat.)

Allerdings: Wichtig ist dabei zu beachten, dass sich der Deckel nicht auf den gesamten Preis bezieht, sondern lediglich auf einen Teil davon: den sogenannten Arbeitspreis. Das sind die verbrauchsabhängigen Kosten, die direkt für die Energie anfallen, die in eine Wohnung geliefert wird. Daneben gibt es noch verbrauchsunabhängige Kosten wie Netzgebühren für die der Deckel nicht gilt. Dies erklärt zunächst einmal, warum der Preis pro Megawattstunde höher sein kann als 120 Euro, trotz des Preisdeckels.

In einer kleingedruckten Tabelle weiter hinten in der Abrechnung von Christoph S. findet sich dann auch der Deckel von 120 Euro, nach Monaten aufgeschlüsselt. Konkret weist seine Rechnung in zehn von zwölf Monaten einen Arbeitspreis von 120 Euro aus. Heißt, in diesen Monaten ist die Wien Energie auf diese Summe hinuntergegangen.

Offen bleibt dabei allerdings eine wichtige Frage: Wie viel hat der Energieversorger nun nachgelassen? Wie hoch lag der ursprüngliche Preis, auf den der Rabatt gewährt wurde? Dies erschließt sich aus der Rechnung nicht. "Die vertraglich vereinbarten Preise sind nicht ersichtlich", schreibt die Wien Energie auf Anfrage des STANDARD. Man vergibt also Rabatte, verrät aber deren Höhe nicht.

Aber nicht nur die Höhe der Nachlässe bleibt ein Geheimnis. Auch etwas weit Grundsätzlicheres lässt sich aus der Rechnung nicht herauslesen: Wie viel Fernwärme wird überhaupt zu welchem Preis verrechnet? Immerhin: Weil der Preis von Monat zu Monat schwankt, müssten Kunden wissen – um die Rechnung prüfen zu können –, wie viel Wärme etwa im Oktober im Vergleich zum November geliefert wurde. In der Rechnung jedoch findet sich keine Liefermenge pro Monat, sondern nur eine Gesamtaufstellung für die ganze Heizsaison. Wenn Christoph S. also seine Preise weder nachvollziehen noch mit Liefermengen abgleichen kann, gibt es dafür einen guten Grund: Es ist einfach nicht möglich.

Sind Kunden mit indexierten Lieferverträgen demnach darauf angewiesen, dem Energielieferanten zu vertrauen, dass sie die richtigen Preise bekommen? Nein, beteuert die Wien Energie: Im Kundenservice können die sogenannten Basisunterlagen zur jeweiligen Rechnung angefordert werden – aus denen lassen sich unter anderem die Liefermengen pro Monat eruieren.

Außerdem gibt es die sogenannten Großkundenverträge. Sie enthalten mehr Informationen als gewöhnliche Abrechnungen für Privatkunden, beispielsweise zu genauen Liefermengen und Preisklauseln. Die Großkundenverträge sind jene Vereinbarungen, die der jeweilige Immobilieneigentümer, Bauträger oder die Hausverwaltung mit dem Versorger abschließt. Immerhin sind diese Großkunden die eigentlichen Abnehmer; einzelne Wohnungsbesitzer und -mieter erhalten dann nur Teilmengen der gelieferten Energie.

Informationen über die Ausgestaltung von Großkundenverträgen samt allen Unterlagen und Abrechnungen müssen Hausverwaltungen auf Bitte von Mietern und Wohnungseigentümern vorweisen, erklärt die Mietervereinigung auf Anfrage desSTANDARD. Weigern sie sich, können Bewohner ein sogenanntes Legungsverfahren anstoßen. Dabei unterstützen etwa die Mietervereinigung oder die Mieterhilfe. (Joseph Gepp, 16.8.2023)