Fairbuds XL über einem Lattenzaun
Die Fairbuds XL kommen in der Signature-Variante in Grün mit orangen Sprenkeln und Highlights daher.
DER STANDARD/Zellinger

Eines muss man Fairphone lassen: Nicht jeder hat den Mut, ein Flaggschiff-Produkt in Armeegrün mit orangenen, weißen und blauen Sprenkeln darauf auf den Markt zu werfen. Die Farbwahl der Fairbuds XL sollte aber nicht die einzige mutige Entscheidung der Niederländer sein. Aber leider zünden nicht alle kreativen Ideen.

Hersteller Fairphone hat setzt, wie bei den Smartphones auch, auf Nachhaltigkeit. So sind 80 Prozent des verwendeten Plastiks recycelt, das verwendete Aluminium wird sogar zu 100 Prozent wiederverwertet. Für die Earbuds musste die niederländische Herstellerfirma noch einige Kritik einstecken: Diese sind zwar aus Recyclingmaterial hergestellt, aber kaum reparierbar. Das soll sich nun beim großen Bruder, den Fairbuds XL ändern. Jedes einzelne Bauteil von der Ohrmuschel zum Schaltkreis soll austauschbar sein.

Im Onlineshop des Herstellers kann man die einzelnen Teile nachbestellen. So gibt es die Ohrpolster um 15 Euro, ein Ersatz des rechten Lautsprechers kostet rund 80 Euro. Damit die Fairbuds aber reparierbar sind, müssen sie auch zerstörungsfrei zu öffnen sein und das erwies sich im Test als Kinderspiel: Mit einem Schraubendreher und ein wenig Geschick lassen sich die Fairbuds in ihre Einzelteile zerlegen. Klugerweise hat der Hersteller auf Kleber weitgehend verzichtet. Damit keine unschönen Kratzer entstehen, empfiehlt es sich dennoch, auf ein Reparaturset mit Öffnungswerkzeugen für Smartphones zurückzugreifen.

Improvisationstalent

Notfallreparaturen kann man wahrscheinlich sogar improvisieren: Das Verbindungskabel zwischen den einzelnen Lautsprechern ist ein handelsübliches USB-C-Kabel. Theoretisch kann man die Fairbuds sogar benutzen, wenn man den Akku ausbaut oder dieser den Geist aufgibt. Dafür ist lediglich ein Adapter von USB-C auf Klinke (und ein Gerät mit einem solchen Anschluss) nötig. Die Rauschunterdrückung wird aber deaktiviert. Sollte einmal der Akku defekt sein, kann man so zumindest die Lieferzeit überbrücken. Fein.

Die geöffneten Fairbuds XL
Mit wenigen Handgriffen kann man den Akku wechseln. Drei Schrauben später gelangt man an die inneren Bauteile.
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Erstaunliche Sprachqualität

In den Fairbuds XL sind insgesamt sechs Mikrofone verbaut. Zwei befinden sich in der linken Ohrmuschel, vier Stück in der rechten. Diese verrichten ihren Dienst auch bei Sprachaufnahmen oder Telefonaten ganz hervorragend. Abgesehen von den bei solchen Geräten üblichen leisem Hintergrundrauschen sind alle Sprachaufnahmen klar, verständlich und wirken natürlich.

Kräftiges Noise-Cancelling

Das Active Noise-Cancelling (ANC) erweist sich im rund sechswöchigen Test als durchaus kraftvoll und eliminiert zuverlässig das Rauschen eines CPU-Kühlers unter Volllast oder das Rattern der U-Bahn. Gleichzeitig hält sich der für manche Menschen unangenehme Druck auf das Trommelfell im absolut erträglichen Rahmen. Dem Noise-Cancelling kommt natürlich auch die passive Komponente eines starken Kopfbügels und dicker Earpads zugute. Letztere bestehen aus grünem Kunstleder, das zwar hervorragend isoliert, bei 30 Grad Hitze aber zu schwitzenden Ohren führt. Das mag Geschmackssache sein, aber langfristig stünde wohl ein Wechsel zu textilen Ohrpolstern an.

Ein Blick auf das technische Datenblatt macht klar, dass diese nicht vom Recyclinghof stammt: Als Audio-Codec stehen AAC, SBC und aptX HD zur Wahl. Der 800 mAh-Akku liefert Energie für 30 Stunden ohne, 26 Stunden mit ANC. Das ganze ist darüber hinaus nach IP54-Standard spritzwassergeschützt. Vor allem letzteres ist beeindruckend, argumentieren viele Hersteller die Notwendigkeit von Verklebungen der einzelnen Bauteile mit dem nötigen Nässeschutz.

Mehr Mut zum Joystick

Wirklich positiv ist uns im Test der kleine kupferfarbene Joystick an der rechten Ohrmuschel aufgefallen. Bewegt man den Stick nach oben, wird die Lautstärke erhöht, bei einer Bewegung nach rechts, wird der nächste Song gespielt, nach links der vorherige und schiebt man den kleinen Stick nach unten wird – erraten! – die Lautstärke verringert. Gleichzeitig lässt sich der Stick drücken, was als Ein- und Ausschalter dient. Keine unmöglich zu merkenden Tipp- und Streichelkommandos mehr. Diese Wohltat wirft die Frage auf, warum andere Hersteller die Idee noch nicht längst aufgegriffen und zahlreich kopiert haben.

An Bedienelementen gibt es lediglich einen zweiten Knopf, über den man zwischen Rauschunterdrückung, Hear-Through oder die Manipulation der Umgebungsgeräusche ganz abschalten kann.

Der Klangteppich

Bislang hinterlassen die Fairbuds XL also einen durchaus positiven Gesamteindruck. Leider können die Kopfhörer aus den Niederlanden diese Qualität beim Klang nicht ganz halten. Der Hersteller verspricht, dass man gemeinsam mit Audiogerätehersteller Sonarworks die Vorlieben von 150.000 Userinnen und Usern ausgewertet und den Klang entsprechend angepasst hat.

Die Resultate werden dem Anspruch leider nicht gerecht: Klanglich bewegen sich die Fairbuds XL nicht auf Augenhöhe mit der Konkurrenz. Die Musik wirkt leicht hallend, distanziert und insgesamt wenig kraftvoll. Im Remaster von Queens "Bohemian Rhapsody" klingt Freddie Mercury, als stünde er einige Meter hinter dem Mikrofon. Bei Minute 2.30 franst seine Stimme sogar hörbar aus, kurz darauf vibriert Brian Mays Gitarrensolo gar kratzig in den Gehörgang. Vor allem die Höhen scheinen gerne einmal sprichwörtlich abzurauschen, während die Bässe eher unbeeindruckend bleiben. Der Effekt war mit ausgeschaltetem Noise-Cancelling nicht mehr ganz so stark, aber immer noch hörbar. Immerhin sind die Mitten klar.

Daran konnten leider auch die Equalizer der zugehörigen App nichts ändern. Diese bietet nicht viel mehr als einige EQ-Voreinstellungen namens Amsterdam, Tokio, Boston und Kopenhagen. Wählt man eine davon an, ändert sich der Klang aber nur minimal – wenn überhaupt. Im jüngsten Update hat Fairphone einen manuellen Equalizer nachgeliefert, eine richtige Entscheidung, denn ein guter Teil der Kundschaft wird angesichts der mageren Optionen wohl selbst Hand anlegen wollen.

Ein Screenshot der Fairbuds App
Die App bietet eine Übersicht über die Ersatzteile und einige EQ-Voreinstellungen.
Screenshot Fairbuds App

Zusätzlich dient die App als Webshop: Hier kann man eine Explosionszeichnung der Fairbuds aufrufen und Ersatzteile gleich nachbestellen.

Fazit: Nachhaltig, fair, kratzig

Das alte Headset auf meinem Büroschreibtisch wäre schon fast im Müll gelandet, hätte es nicht eine Zweitverwertung als Ersatzgerät für Videokonferenzen gefunden, denn technisch ist es in Ordnung. Vor einigen Jahren begann sich aber das Kopfband aufzulösen und ich habe es notdürftig mit Klebeband umwickelt. Das sieht nicht nur unschick aus, es ist auch klebrig und ein bisserl grauslig. Ein 10-Euro-Schaden hätte bald dafür gesorgt, dass ein 150 Euro teures Gerät den Weg zum Recyclinghof antritt. Umso mehr kann man den Ansatz von Fairphone schätzen, beinahe jedes Teil der Fairbuds XL austauschbar zu machen. Bis hin zur internen Verkabelung lässt sich jedes Element mit wenigen Handgriffen ersetzen. Das Plastik der Kopfhörer stammt übrigens aus dem Ozean, nachhaltig sind die Over-Ears aus den Niederlanden also zweifelsohne.

Zerlegte Fairbuds
Clever: Als Verbindung zwischen den beiden Lautsprechern dient ein handelsübliches USB-C-Kabel
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Dazu kommt noch ein Joystick als intuitives Bedienelement, den sich andere Hersteller nur zu gerne abschauen dürfen, ein wirklich mächtiges Noise-Cancelling und sehr guter Tragekomfort, Multipoint, modernste Codecs und ein leistungsstarker Akku für 26 Stunden Hörgenuss mit ANC. Was gibt es daran nicht zu lieben? Nun ja, es ist leider der Klang, der im Test einiges zu wünschen übrig lässt und sich wie ein dünner und ausgefranster Teppich und ein wenig kratzend ins Ohr legt. Aber ein audiophiles Publikum ist wahrscheinlich ohnehin nicht die primäre Zielgruppe der Fairbuds XL.

Wer nachhaltig produzierte und einfach reparierbare Kopfhörer sucht und mit einem Sound der Kategorie "irgendwie eh okay" leben kann, findet mit den Fairbuds XL sicher langjährige Begleiter. Der von Fairphone aufgerufene Preis von 250 Euro erscheint aber deutlich zu hoch gegriffen, und auch der Straßenpreis von 220 Euro ist gefühlt noch ein wenig über der Schmerzgrenze. Tipp: auf eine Aktion warten, zuschlagen und hoffentlich auf viele Jahre glücklich sein. (Peter Zellinger, 19.8.2023)