Eine Serie parlamentarischer Anfragen der Neos bringt die Transparenzpolitik der Regierung aufs Tapet. 167 Studien gaben die Ministerien zwischen Sommer 2022 und Sommer 2023 in Auftrag – aber nicht alle davon werden veröffentlicht.

Frage: Wie transparent geht die Regierung mit Studien um?

Antwort: Quantitativ betrachtet: zu 68 Prozent. Das ist jedenfalls das Ergebnis der Berechnung, die die Neos auf Grundlage der Anfragebeantwortungen aus den Ministerien angestellt haben. Demnach werden 19 Prozent der Studien nicht veröffentlicht, beim Rest fehlen Angaben der Ministerien. Die meisten Studien hat das Umweltministerium unter Leonore Gewessler (Grüne) in Auftrag gegeben, gefolgt vom Landwirtschaftsministerium von Norbert Totschnig (ÖVP), dann folgt das Gesundheitsministerium mit Ressortchef Johannes Rauch (Grüne).

Leonore Gewessler und Johannes Rauch sitzen im Parlament und schauen gemeinsam in eine Unterlage. 
Papiere, die nur die Regierung sehen soll: Umweltministerin Leonore Gewessler und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) haben zahlreiche Studien in Auftrag gegeben – und nicht alle davon veröffentlicht.
APA/ROLAND SCHLAGER

Frage: Aber Moment – gibt es nicht ein Verfassungsgesetz, das die Veröffentlichung von Regierungsstudien vorschreibt?

Antwort: Ja genau, zeitgleich mit der Reform des Parteiengesetzes im Vorjahr haben ÖVP, Grüne und SPÖ auch einen Zusatz im Bundesverfassungsgesetz beschlossen: "Alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe haben Studien, Gutachten und Umfragen, die sie in Auftrag gegeben haben, samt deren Kosten in einer für jedermann zugänglichen Art und Weise zu veröffentlichen, solange und soweit deren Geheimhaltung nicht gemäß Abs. 3 geboten ist."

Frage: Warum gibt es dann immer noch geheime Regierungsstudien?

Antwort: Das Gesetz hat Ausnahmen: Der im oben zitierten Text erwähnte Absatz drei ist das verfassungsmäßig festgeschriebene Amtsgeheimnis – wenn die Geheimhaltung einer Information notwendig ist, um die öffentliche Ordnung zu sichern, das wirtschaftliche Interesse einer Behörde zu wahren oder eine amtliche Entscheidung vorzubereiten. Die Ausnahmen nutzen öffentliche Stellen oft ausgiebig, um die Amtsverschwiegenheit mit Leben zu füllen – und das Gleiche passierte auch mehrfach bei den erwähnten Studien. So hält das Umweltministerium etwa eine Untersuchung der Anzahl von Gasheizungen in Fernwärmegebieten geheim, weil diese der "Vorbereitung eines Gesetzgebungsakts" diene.

Frage: Ist das legitim?

Antwort: Aus Sicht der Neos nicht. Vizeklubchef Nikolaus Scherak fordert im Gespräch mit der Austria Presse Agentur "absolute Transparenz". Die Bevölkerung habe die Studien mit ihrem Steuergeld bezahlt, "sie haben also ein Recht darauf, sie auch zu bekommen". Die Geheimhaltung der ÖVP-Ministerien überrascht Scherak nicht, aber "dass die Grünen es ihr gleichtun und ebenso auf die Veröffentlichungspflicht pfeifen, zeigt, dass sie den Anstand bei ihrem Eintritt in die Regierung an der Garderobe abgegeben haben".

Nikolaus Scherak vor einer rosa Wand mit Neos-Logos.
Nikolaus Scherak pocht auf umfassende Transparenz.
IMAGO/SEPA.Media

Frage: Gibt es eine allgemeine Regelung innerhalb der Regierung, wie mit dem Gesetz umzugehen ist?

Antwort: Der im Bundeskanzleramt angesiedelte Verfassungsdienst verschickte 2022 ein Informationsschreiben an alle Ministerien, das dem STANDARD vorliegt. Darin wird die Transparenzverpflichtung kritisiert, sie werfe "zahlreiche Auslegungsfragen auf". Und der Verfassungsdienst empfahl eine breite Auslegung der Ausnahmen: Die "Nichtbeeinträchtigung der 'Vorbereitung einer Entscheidung' ist in einem weiten Sinn zu verstehen und gilt nicht nur für die Erlassung eines Bescheides, sondern auch für sonstiges, insbesondere auch generelles oder informelles Verwaltungshandeln".

Frage: Hatte sich die Regierung nicht eigentlich schon auf die Abschaffung des Amtsgeheimnisses und eine Einführung eines Rechts auf Information für alle geeinigt?

Antwort: Ja, schon im Jahr 2021. Nach langen Verhandlungen hatten sich die Regierungsparteien auf einen Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz geeinigt. Dieser beinhaltet auch die Verpflichtung öffentlicher Stellen, in Auftrag gegebene Studien automatisch zu veröffentlichen.

Frage: Warum wurde das Informationsfreiheitsgesetz dann noch nicht beschlossen?

Antwort: Innerhalb der ÖVP wird das Gesetz blockiert. Schwarz geführte Bundesländer wollen die Transparenz nicht, ihr wichtigstes Argument ist der Verwaltungsaufwand für kleine Gemeinden. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bearbeitet ihre Parteikolleginnen und Parteikollegen seit Jahren, Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer hat sie schon überzeugt. Es sei das Ziel der Ministerin, mit einem adaptierten Entwurf "im Herbst in den parlamentarischen Prozess zu starten", heißt es auf STANDARD-Anfrage aus Edtstadlers Büro. Selbst wenn sich die Volkspartei bis dahin einig ist, hätte das Gesetz aber noch einen weiten Weg: Zuerst müssen die Grünen einem möglicherweise verwässerten Entwurf zustimmen, dann braucht das Gesetz auch eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat – realistischerweise also die Zustimmung der SPÖ. Denn die FPÖ hat schon deutlich signalisiert, kein Interesse an der Informationsfreiheit zu haben. (Sebastian Fellner, 17.8.2023)