Rund 14.000 Stellen sind im Tourismus offen. Das Personalproblem ist nicht gelöst, aber es wurde etwas kleiner.
APA/HELMUT FOHRINGER

Hochzint, Mitterhorn, Melkerloch – wer schweißgebadet die Passauer Hütte in den schroffen Leoganger Steinbergen erreicht, wird mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt. Die einzige bewirtschaftete Hütte in der Gegend thront inmitten steiler und imposanter Felsen auf 2051 Metern.

Wichtige Stützen

Babu kennt die Berge – und er liebt sie, gerade wegen ihrer Schroffheit. Er ist extremere Gebiete gewöhnt. Babu ist Nepalese. Im Himalaja, der "Wohnstätte des Schnees" und dem höchsten Gebirge der Welt, gehört ihm ein Gästehaus. Dort beherbergt er seine Besucher und Besucherinnen auf 3500 Meter Höhe, die Luft ist viel dünner als hier in Salzburg. Doch statt in seiner Heimat das nepalesische Nationalgericht Dal Bhat, Linsen und Reis, aufzutischen, kocht und serviert Babu seit Juni in den Salzburger Bergen den müden Wanderern dampfenden Schweinsbraten und molligen Apfelstrudel.

Er ist nicht der einzige Saisonarbeiter aus dem Himalajagebiet, der in Österreich eine Hütte bewirtet. "Ohne die Nepalesen gäbe es im Rax-Schneeberg-Gebiet keine Hütten mehr", sagt Marco Auer, Pächter vom Naturfreundehaus Knofeleben im Schneeberggebiet. "Unsere drei einzigen Fixangestellten kommen aus Nepal, ohne sie hätten wir schon aufgehört."

Die Branche floriert

Dem Tourismus fehlt nach wie vor das Personal – auch wenn das Wehklagen leiser, das Problem etwas kleiner geworden ist. 14.000 Stellen sind derzeit unbesetzt, im Vorjahr waren es um ein Drittel mehr. "Die Situation hat sich im Vergleich zum Vorjahr ein wenig entspannt", sagt die Ökonomin Anna Burton, die am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo zum Thema Tourismus forscht.

Der ist in Österreich ein wichtiger Wirtschaftsmotor. Nach den Corona-bedingten Einbrüchen der Urlauberzahlen 2020 und 2021 hat man im Vorjahr mit fast 40 Millionen Gästeankünften und knapp 137 Millionen Nächtigungen beinahe wieder Vorkrisenniveau erreicht, die direkte Wertschöpfung lag laut dem Tourismusbericht bei 20 Milliarden Euro. 2022 beschäftigte die Branche im Mittel 264.000 Menschen.

In diesem Jahr sind die Prognosen sogar noch besser. Selbst die deutlich gestiegenen Preise halten die Gäste nicht ab. Der Fremdenverkehr floriert – dass alles wie am Schnürchen läuft, wäre trotzdem übertrieben. In den Hotels sind die Rezeptionen oft unterbesetzt, es gibt nicht genug Reinigungskräfte, und auch für den Frühstücksservice fehlt Personal. Und wer abends auswärts essen gehen will, stellt womöglich fest, dass es schwieriger geworden ist, einen Tisch zu reservieren, weil Gaststätten einen zusätzlichen Ruhetag eingeführt haben oder weniger Gäste empfangen, da sie nicht genug Köche und Kellner haben.

Fix angestellt sind bei Marco Auer (li.) auf der Knofeleben nur noch Nepalesen. Ohne deren Hilfe hätte er bereits aufgehört.
Foto: Nina Nagy

Hüttenwirte aus Nepal

Ohne ausländische Arbeitskräfte stünde vieles still. Nur noch 44 Prozent der im Tourismus Beschäftigten haben eine österreichische Staatsbürgerschaft. Vor 15 Jahren waren es noch zwei Drittel. Um den Arbeitskräftemangel im Tourismus abzuschwächen, vergrößerte das Wirtschaftsministerium erst im Juni das Kontingent für Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter von außerhalb der EU um 898 Stellen. Doch trotz dieser Maßnahme sei es immer noch schwierig, ausreichend Saisonarbeiter zu finden.

Da helfen Projekte wie die Nepal-Hilfe Tirol, die der österreichische Bergsteiger und Unternehmer Wolfgang Nairz schon vor knapp 20 Jahren auf die Beine gestellt hat. Der heute 78-Jährige war zig Male in Nepal, hat dort viele Freunde und gilt unter Mount-Everest-Besteigern als Legende, seit er die Expedition für die Erstbesteigung ohne Sauerstoff geleitet hat. Seine Verbundenheit zu dem Land brachte ihn auf die Idee der Arbeitsvermittlung, von der beide Länder profitieren sollen. Als er damit startete, gab es zunächst nur zwei Hütten in Tirol, die Bedarf an Saisonarbeitern aus Nepal anmeldeten. Mittlerweile ist die Nachfrage groß. "Heuer arbeiten schon 30 Nepalesen in Tirol", sagt Nairz.

Ungewöhnliche Lösungen

Wie Babu, den Saisonwirt auf der Passauer Hütte. Für ihn bedeuten die Sommermonate in Österreich einen guten Verdienst. Denn in Nepal ist dann Regenzeit, die Bergsteiger bleiben aus, die Hüttenwirte haben Pause. Babu kommt seit 2017 von Juni bis September nach Österreich, nur während der Pandemiejahre hat er ausgesetzt. Es gefällt ihm hier: "Österreich ist großartig, die Leute sind liebenswert – und im Sommer hätte ich zu Hause ohnedies keine Arbeit."

Die Nepal-Hilfe Tirol ist ein kleines, unkonventionelles Projekt. Aber solche zunächst ungewöhnlich anmutende Lösungen braucht es in einer Branche, die viel von ihren Mitarbeitern verlangt, aber ihnen zumindest monetär lange nicht viel zu bieten hatte.

Der Mitarbeiter ist König

Tatsächlich hätten die Betriebe aus Corona gelernt, sagt Wifo-Forscherin Anna Burton: "Es ist einiges in Bewegung gekommen, nicht nur um offene Stellen zu füllen. Mit der Pandemie sind viele Unternehmen draufgekommen, dass sie auch etwas davon haben, wenn sie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen längerfristig halten können." Die Betriebe versuchten jetzt, den Mitarbeitenden besser entgegenzukommen, sagt Burton. Und tatsächlich ist die Zahl der offenen Stellen im Tourismus schneller gefallen als in der gesamten Wirtschaft.

Positiv habe sich ausgewirkt, dass an den Arbeitszeitmodellen geschraubt wurde, sagt die Wifo-Forscherin. So sei etwa die Teilzeitquote auf 41,8 Prozent gestiegen. Das ist nicht nur höher als in anderen Branchen, die bei 31,2 Prozent liegen, sie ist auch stärker gestiegen. Sie kenne ein Hotel, das mittlerweile zehn verschiedene Arbeitszeitmodelle hat, sagt Burton. Die Personalnot macht auch sonst einiges möglich: Manche Arbeitgeber bewerben ihre Betriebe mittlerweile nicht nur für Gäste, sondern gezielt auch für potenzielle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie locken mit vernünftigen Wohnmöglichkeiten, gemeinsamer Teilhabe an vergünstigten Sport- und Freizeitaktivitäten und organisieren, wenn es möglich ist, auch Kinderbetreuungsangebote. Sogar lange schier undenkbare Ideen wie Jobsharing werden in manchen Betrieben mittlerweile erprobt.

Das sind freilich Einzelfälle. Nicht jeder Wirt hat die Möglichkeit, eine Mitarbeiterwohnung anzubieten, oder kann sich verschiedene Arbeitsmodelle leisten. Vor allem, wenn alles teurer wird, Energie, Lebensmittel, Personalkosten. Während die einen mehr Goodies bieten, schrauben sie andere zurück.

Reduktion in der Küche

Johann Spreitzhofer betreibt ein Landhotel in St. Kathrein am Offenegg, nordöstlich von Graz. Spreitzhofer vertritt die Hoteliers als Fachverbandsobmann in der Wirtschaftskammer. Er bestätigt, was mancher Gast schon selbst erlebt hat: Einige Betriebe schränken ihr Angebot ein. Mancherorts wird nur noch bis 20 oder maximal 21 Uhr gekocht, während man früher die Küche bis 22 Uhr für die Gäste offenhielt. Bei vielen sei auch die Speisekarte geschrumpft – wieder auf ein Normalmaß, räumt Spreitzhofer ein: "Über 16 verschiedene Rostbraten, das braucht kein Mensch. Jetzt gibt es oft nur noch zehn Hauptgerichte." Weg von der Quantität, mehr Fokus auf die Qualität, die Entwicklung sieht Spreitzhofer in Summe positiv. Andere Häuser hätten das À-la-carte-Geschäft überhaupt sein gelassen und kümmern sich dafür verstärkt um die Hotelgäste. "Man kann so einiges einsparen – auch ohne, dass die Gäste das merken", beteuert Spreitzhofer.

So euphorisch sieht das nicht jeder Gast. Der Tourismus- und Freizeitforscher Peter Zellmann verbringt seinen Urlaub gerade in Kärnten am Ossiacher See – und er erhebt Einspruch. Der Gast merke sehr wohl, dass ein Arbeitskräftemangel herrscht, wenn auch vielleicht nicht in den großen Betrieben. Zellmann berichtet von kurzfristig geschlossenen Kantinen am See, von Betrieben, die ihre wöchentlichen Ruhetage schon einmal auf drei ausdehnen, von kürzeren Betriebszeiten sowieso.

Wo der Tourismusforscher urlaubt, arbeiten besonders viele Beschäftigte aus Ungarn. Von dort kommt der Großteil der ausländischen Beschäftigten im österreichischen Tourismus, gefolgt von Menschen aus Deutschland, Rumänien, der Slowakei und der Türkei. Der Anteil anderer Nationalitäten ist kleiner als drei Prozent.

Babu Tamang macht Apfelstrudel mit einer Kollegin
Babu Tamang hat in Leogang Apfelstrudel kennengelernt – und serviert diesen nun auch in Nepal.
Babu Tamang

Auf Saison und zurück

Die Sorge, dass Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Corona fernblieben, die habe sich nicht bewahrheitet, sagt die Wifo-Forscherin Burton. Dafür sorge schon das Lohngefälle. Langfristig auf diese Karte zu setzen wäre allerdings kurzsichtig, meint sie. Denn auch in den Nachbarländern in Osteuropa fehlen bereits die Beschäftigten – und das Lohnniveau steigt. Viele werden künftig auch in ihrer Heimat einen passenden Job finden.

Der Tourismusforscher Peter Zellmann findet, die Betriebe hätten viel zu lange das System mit den Saisonniers aufrechterhalten. Nur manchmal geht es eben nicht ohne sie. Marco Auer, der Pächter im Naturfreundehaus Knofeleben im Schneeberggebiet, wüsste gar nicht, was er ohne seine Saisonniers täte. "So tüchtige und nette Leute finde man hierzulande kaum", sagt er, "das ist ein echtes Glück." Er habe mit den Nepalesen "nicht nur Arbeitskräfte, sondern Freunde" gefunden. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Dawa Tenji Tamang etwa kommt schon das zwölfte Jahr in Folge: "Die Unterschiede sind so groß, sie sind nicht in ein paar Sätze zu fassen", meint er, "aber ich fühle mich wohl."

Vorbei mit günstig

Von Freundschaft will Tourismusforscher Zellmann gar nicht reden. Ihm würden schon eine ordentliche Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Branche reichen. Zellmann ortet eine Art Klassengesellschaft. "Ein Drittel der Betriebe, Vier-Sterne- und Vier-Sterne-plus-Häuser, hat das sehr gut gelöst", ein weiteres Drittel biete akzeptable Konditionen. Aber ein Drittel, vor allem kleinere Betriebe in der Gastronomie, da lasse schon noch einiges zu wünschen übrig.

Der steirische Hotelier und Kammerfunktionär Spreitzhofer beobachtet: "Betriebe die ganz günstig angeboten haben, die mit einer ganz knappen Kalkulation, die gibt es halt nicht mehr." Wer ein Menü unter zehn Euro anbiete, der handle fahrlässig, sagt er. So könne man keinen Betrieb finanzieren. Vor allem jetzt, wo so "Grauslichkeiten" wie gestiegene Energiekosten, höhere Löhne und höhere Warenpreise zu verdauen wären.

Lückenhafte Reihe von Arbeitskräften
In der Gastro ist mittlerweile nicht mehr der Kunde König, sondern die Arbeitskraft.
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Apfelstrudel im Himalaja

Die Branche hätte ohnehin kräftig an der Preisschraube gedreht, stellt Forscher Zellmann fest. 20 Prozent mehr im Schnitt würde alles kosten. Einen Teil davon müsse man auch an die Beschäftigten weitergeben. "Vor allem um jene mit abgeschlossener Lehre müssen wir uns mehr kümmern. Jeder sagt, er zahlt eh über Kollektivvertrag, aber für die zweite Ebene, die Lehrlinge, gilt das nicht." Das System der geringfügigen Beschäftigung gehöre überdacht, Praktikanten würden ausgebeutet, immer noch, der Kollektivvertrag sei nach wie vor zu niedrig – immer noch. "Wir sind im vorigen Jahrhundert, was den Tourismus betrifft."

Der Nepalese Babu hat daran bislang wenig auszusetzen, im Gegenteil. Er nimmt einiges von seiner Saisonarbeit in Österreich mit nach Nepal – nicht nur seinen Verdienst. Babu serviert Apfelstrudel nämlich nicht nur in den Salzburger Bergen, sondern mittlerweile auch in seinem Gästehaus im Himalaja-Gebiet. (Regina Bruckner, Andreas Danzer, Andras Andras Szigètvari, 20.8.2023)