Ein Arbeiter geht an einer Anlage in der Raffinerie Schwechat vorbei.
In der Raffinerie Schwechat sollen zunehmend petrochemische Grundstoffe wie Kunststoff hergestellt werden.
Heribert Corn

Die OMV müsse sich "radikal verändern". Diese Diagnose stammt von niemand Geringerem als dem Vorstandsvorsitzenden des heimischen Mineralölkonzerns, Alfred Stern. Im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht seines Unternehmens lässt er wissen: "Rational betrachtet kann es sich die OMV nicht leisten, weiterhin dasselbe Geschäftsmodell zu verfolgen." Allerdings könne die Veränderung nicht von heute auf morgen erfolgen. Der Konzern habe Verantwortung, Energie an Millionen von Kundinnen und Kunden zu liefern. Doch ob der Umstieg tatsächlich so schnell wie möglich vorangetrieben wird? Neue Zahlen sprechen eine andere Sprache.

So zeigt ein neuer Bericht des Hamburger Forschungs- und Beratungsbüros Energy Comment im Auftrag von Greenpeace: Der heimische Mineralölkonzern steckte 2022 nicht einmal ein Prozent seiner Investitionen in den Ausbau von Wind- und Solarenergie.

Sehr viel mehr Geld fließt in den Ausbau des Petrochemie-Geschäfts – in enger Zusammenarbeit mit dem österreichischen Kunststoffhersteller Borealis, an dem die OMV derzeit 75 Prozent der Anteile hält, will die OMV umsatteln. Erdöl und Erdgas sollen weniger als Benzin und Diesel verkauft werden, sondern stärker dafür genutzt werden, Grundstoffe für die Petrochemie zu produzieren, also etwa Kunststoffe. Das Motto: veredeln statt verbrennen.

Nur wenig in Recycling investiert

Bis 2027 kündigt die OMV an, 7,5 Milliarden Euro in die Erreichung der Klimaziele zu investieren. Ein Viertel davon soll in "recycelte und nachhaltige Rohstoffe" fließen. Durch den Umstieg auf Kunststoff und Recycling will die OMV klimaneutral werden. So weit die Ankündigung.

"Eine Analyse der Daten gibt Rätsel auf, wie das gelingen soll", sagt Lisa Panhuber von Greenpeace. So habe die Borealis auf der Hauptversammlung bekanntgegeben, dass 1,8 Prozent des Unternehmensgewinns in Lösungen für Recycling investiert wurden. Das sei verschwindend wenig, kritisiert Panhuber. Bis 2025 wolle die Borealis zwar 350.000 Tonnen recycelten Kunststoff verkaufen, doch das seien nur rund sechs Prozent der aktuellen Produktionsmenge. "Für die Dekarbonisierung ist das nicht genug", so Panhuber.

Kritisch sieht Greenpeace vor allem, dass die Borealis ihre Produktion stark ausweiten möchte. Von 5,8 Millionen Tonnen 2022 soll sie bis 2027 auf 6,9 Tonnen wachsen. Ein großer Teil der Anlagen werde Kunststoff auf Basis von Erdöl und Erdgas herstellen. Mit den Klimazielen seien die Pläne kaum vereinbar, so Panhuber.

Holt sich die Adnoc die Borealis zurück?

Unterdessen scheint auch die Strategie der OMV für den Umstieg auf Kunststoff ins Wanken zu geraten. Erst 2020 stockte der teilstaatliche Konzern seine Anteile an der Borealis von 36 auf 75 Prozent auf – diese kaufte er von der Abu Dhabi National Oil Company, kurz Adnoc. Der emiratische Energieriese ist weiterhin mit 25 Prozent an der OMV beteiligt. An der Borealis hält er insgesamt rund 43 Prozent.

Wie die OMV will sich auch die Adnoc als Chemiekonzern positionieren – und hat am Weltmarkt deutlich mehr Gewicht. Mitte Juli kündigte die OMV an, mit der Adnoc über eine Fusion ihrer Chemieunternehmen Borealis und Borouge zu verhandeln. Offen ist, welches Unternehmen dann das Sagen haben wird – und was das für die Dekarbonisierung der OMV bedeuten wird.

Auf Nachfrage lässt die OMV wissen: Der Stellenwert der Borealis für die OMV-Strategie sei unverändert. "Ein wesentlicher Bestandteil unserer neuen Strategie ist, ein führendes Unternehmen für nachhaltige Kraftstoffe, Chemikalien und Materialien zu werden", so die OMV.

Hohe Investitionen in Öl- und Gas

Bis 2030 will die OMV ihre Emissionen um 30 Prozent senken, für 2050 kündigt sie an, nur noch so viel CO2 auszustoßen, wie sie wieder aus der Luft holen kann. Ob diese Ziele eingehalten werden, bleibt abzuwarten.

Mit den bislang niedrigen Investitionen in die Dekarbonisierung ist die OMV keineswegs allein. Der Greenpeace-Bericht analysierte die Nachhaltigkeitsberichte von zwölf europäischen Mineralölunternehmen. Knapp 93 Prozent ihrer Investitionen flossen in Öl- und Gasprojekte. (Alicia Prager, 23.8.2023)