Die Kritik von Walter Ruck, Chef der Wiener Wirtschaftskammer und des ÖVP-Wirtschaftsbunds, fiel deutlich aus. Der Adressat: pikanterweise niemand Geringerer als sein eigener Landesparteiobmann, Karl Mahrer. Dessen inhaltliche Linie stellte Ruck nun öffentlichkeitswirksam infrage. Als Oppositionspartei könne man Stimmenmaximierung betreiben oder versuchen, Verantwortung zu tragen, sagte er dem "Kurier": "Ich bin der Meinung, dass der derzeitige Weg der Wiener ÖVP keines der beiden Ziele erreichen wird."

Wiens Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck sieht in Parteichef Karl Mahrers Videos "wenig Konstruktives".
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Doch das war nicht alles. Ruck benannte sogar konkret, was ihn stört: die polarisierenden Videoaktionen am Brunnenmarkt und auf der Mariahilfer Straße, mit denen Mahrer zuletzt Aufmerksamkeit suchte – und sie auch bekam. Der Kammerpräsident kann daran nur "sehr wenig Konstruktives" erkennen. Doch warum tut Ruck das? Und wird er für Mahrer zum Problem?

Türkise und schwarze Querschüsse

Auf offener Bühne Kritik ausgerichtet zu bekommen ist für den früheren Wiener Landespolizeikommandanten, der 2021 die Landes-ÖVP übernahm, nicht neu. Noch kein Jahr ist her, dass sich Mahrers türkiser Klubchef im Gemeinderat, Markus Wölbitsch, auf Facebook eine Rückbesinnung auf jene "Mitte-rechts-Politik" wünschte, für die die Volkspartei 2020 in Wien gewählt worden sei. Das Posting habe ihm "nicht gefallen", gab Mahrer später offen zu.

Karl Mahrer ist seit 2021 Landesparteiobmann der Wiener ÖVP. Kritik hört er nicht zum ersten Mal.
Christian Fischer

Auch jetzt, angesichts der Unmutsäußerungen aus der schwarzen Kammer, wird seitens der Parteizentrale unumwunden eingeräumt, dass Rucks Kritik hart sei. Um sie sogleich ins Positive umzumünzen: In der ÖVP sei es eben möglich, seine Meinung zu äußern, sagt Peter Sverak, Landesgeschäftsführer der Wiener Volkspartei zum STANDARD. Man habe verschiedene Flügel mit unterschiedlichen Ansichten, genauso wie gemeinsame Grundwerte, die die Partei einen.

Nicht zuletzt sei der Wirtschaftskammerpräsident für seine Direktheit bekannt: "Walter Ruck ist so. Er sagt einem solche Dinge auch ins Gesicht. Diese Kritik und dieses Feedback halten wir aus." Erfahrung mit Rucks Direktheit machten auch schon andere Obleute der Wiener ÖVP: Auch gegen Blümel leistete sich Ruck den einen oder anderen Affront. Aber wieso?

Fast schon Tradition

Ruck, der seit 2014 an den Spitzen von Wiener Wirtschaftskammer und -bund steht, gilt als großer Freund des politischen Konsenses. Wenn schon nicht innerhalb der eigenen Partei – dann zumindest im Wiener Rathaus. Der Draht des Bauunternehmers zu Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) gilt als exzellent. Die beiden treten regelmäßig gemeinsam öffentlich auf. Und lassen sich auch gerne zusammen fotografieren – Bilder von Ruck und Mahrer sind dagegen kaum zu finden. Wobei beide betonen, ein freundschaftliches Verhältnis zu pflegen.

Frühlingserwachen in den Wiener Kaffeehäusern: Einer der vielen gemeinsamen Auftritte von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck.
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Rucks Nähe zur SPÖ hat auch ein Ziel: Sein präferiertes Regierungsmodell für Wien sei eine rot-schwarze Koalition, wird ihm nachgesagt. Selbst wolle er jedoch nicht in eine solche Stadtregierung, versicherte er stets. Wohl mit ein Grund dafür: Ruck regiert bereits in der Wirtschaftskammer. Auf Basis einer satten Mehrheit – und daher deutlich friktionsfreier als im Rathaus. War die Wiener ÖVP auf der Suche nach einer neuen Führung, dann war Rucks Name meist einer der ersten, der fiel. Mehr als Spekulationen ergaben sich aber nicht.

Mit Rucks Rolle in der Wirtschaftskammer erklärt – oder entschuldigt – man jedenfalls auch in der ÖVP Rucks jüngste Äußerungen. In seiner Funktion als Wirtschaftskammerpräsident habe Ruck eine ganz andere Aufgabe als Mahrer auf seinem Posten als Oppositionschef im Rathaus,

"Walter Ruck ist in einer regierenden Rolle. In dieser muss sich um den Wirtschaftsstandort Wien kümmern", sagt Landesgeschäftsführer Sverak. "Es wäre komisch, wenn der Wirtschaftskammerpräsident von Wien Oppositionspolitik machen würde." Soll heißen: Aus Interesse für seine Vorhaben und Anliegen ist es für Ruck schlicht praktisch, sich ein wenig von der angriffigen ÖVP abzugrenzen und damit subtil Signale in Richtung SPÖ auszusenden. Des guten Drahtes wegen.

Umfragetief

Hinter vorgehaltener Hand stößt diese Strategie im ÖVP-Rathausklub zwar nicht nur auf Verständnis: "Wir brauchen das passende Angebot für unsere Wählerinnen und Wähler – und nicht für die SPÖ", sagt etwa ein Mandatar, der nicht namentlich genannt werden möchte. Insgesamt dürfte sich die Aufregung über Rucks Äußerung dort aber in Grenzen zu halten: Man sei das eh schon gewohnt, so der Tenor.

Ein größeres Problem als Walter Ruck dürften für Karl Mahrer die Umfragen sein. In einer Onlinebefragung im Auftrag von W24 im Juni kam die Wiener Volkspartei auf 13 Prozent – hinter FPÖ (20 Prozent) und SPÖ (40 Prozent). Bei der Gemeinderatswahl 2020 konnte die ÖVP noch rund 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler von sich überzeugen. (Stefanie Rachbauer, 24.8.2023)