Wer in einer größeren Wohnhausanlage wohnt, kennt die Nachbarinnen und Nachbarn, die mit den ersten Sonnenstrahlen blank ziehen und sich in den Liegestuhl auf dem Balkon legen. In Reihenhaussiedlungen wiederum springen Poolbesitzerinnen und Poolbesitzer ganz ohne Badekleidung ins Wasser. Neugierige Blicke über die Thujenhecke werden ignoriert.

So weit, so unspektakulär. Verboten ist das Nacktsein auf dem Balkon im Garten genauso wenig wie in der eigenen Wohnung. Wer will, kann den ganzen Urlaub im Adams- oder Evakostüm auf Balkonien verbringen: Nicht nur das Sonnenbad, auch Blumengießen, Kaffeetratsch und – für die Mutigen – Grillen lassen sich nackt erledigen. Schwierig wird es allerdings dann, wenn sich ein Nachbar oder eine Nachbarin davon gestört fühlt. Kann einem die Nachbarschaft das Sonnenbad verbieten?

Nacktsein ist auf dem Balkon und im Garten natürlich erlaubt - zwischenmenschlich schwierig wird es aber, wenn sich der Nachbar gestört fühlt.
Nacktsein ist auf dem Balkon und im Garten natürlich erlaubt – zwischenmenschlich schwierig wird es aber, wenn sich der Nachbar gestört fühlt.
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Das ist eher unwahrscheinlich, hängt aber von den Umständen ab und erfordert einiges an Aufwand. In einem Mietshaus könnten die Nachbarn den Vermieter bitten, sich in der Causa einzuschalten. Unleidliches Verhalten ist ein Kündigungsgrund, und anstößiges Verhalten falle in diese Kategorie, argumentieren Fachleute. Ganz so einfach ist es dann aber auch nicht: Denn ob Nacktheit heute noch als anstößiges Verhalten gewertet werden kann, hänge vom Einzelfall ab, sagt die Juristin Simone Brunnhuber von FSM Rechtsanwälte.

Nichts Greifbares

Spielt der Vermieter nicht mit, wird es für Mieterinnen und Mieter, die sich gestört fühlen, schwieriger: Bei einer Geruchsbelästigung – etwa beim Kettenrauchen auf dem Balkon – könne man auf dem zivilrechtlichen Weg mit einer Unterlassungsklage kontern. Bei Nacktheit gibt es aber keine Immission, "nichts Greifbares", wie Brunnhuber sagt, daher fällt diese Option weg.

Handelt es sich beim Nackten um einen Wohnungseigentümer, sei wiederum eine Ausschlussklage wegen anstößigen Verhaltens denkbar. Für die braucht es aber wiederum eine Mehrheit der Eigentümergemeinschaft – und die lässt sich in Wohnhäusern schon bei weitaus weniger kontroversiellen Themen nur sehr schwer finden. Sowohl die Kündigung des Mietvertrags als auch eine solche Ausschlussklage für einen Wohnungseigentümer würden in der Rechtsprechung zudem sehr streng gehandhabt, "das ist ein enormer Eingriff", sagt Brunnhuber. Dass nacktes Sonnenanbeten dafür reicht, darf also bezweifelt werden.

Denkbar sei auch, mit der Verletzung öffentlichen Anstands zu argumentieren, sagt der Jurist Oliver Leitner von FSM Rechtsanwälte. Darauf steht eine Geldstrafe. Auch hier gehe es aber um den konkreten Fall: "Neben einer Schule oder einem Kindergarten oder an einer stark frequentierten Straße wird das eher zutreffen als am kaum besiedelten Stadtrand von Wien", sagt Leitner.

Der nackte Vermieter

Insgesamt hat sich die Rechtsprechung mit den Jahren geändert. Nicht nur in Österreich, sondern offenbar auch in Deutschland, wo Anfang des Jahres das Oberlandesgericht Frankfurt ein spannendes Urteil fällte. Dort zog der Vermieter selbst blank und nahm im Hof eines Büro- und Wohnhauses regelmäßig ein Sonnenbad. Die Büromieter des Hauses reduzierten die Miete daraufhin eigenmächtig. Bei Gericht bekamen sie nicht recht.

Anders verhält sich die Sache, wenn die Nachbarn nicht nur nackt auf dem Balkon sind, sondern sexuell provozierende Handlungen setzen, "die als sexuelle Belästigung oder öffentliche geschlechtliche Handlungen zu werten sein könnten", sagt Leitner. Darunter fällt nicht nur Geschlechtsverkehr, sondern auch provokante Selbstbefriedigungshandlungen. In einem solchen Fall können Nachbarn Anzeige erstatten – auf sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen stehen laut Strafgesetzbuch grundsätzlich bis zu sechs Monate Gefängnis oder eine saftige Geldstrafe. Eine Kündigung des Mietvertrags aufgrund des erwähnten unleidlichen Verhaltens könnte ebenso folgen.

Streiten kann dauern

Ein wirklicher Zankapfel dürften Nackte in Wohnhäusern nicht sein: Beim größten Vermieter des Landes, Wiener Wohnen, sind keine Beschwerden diesbezüglich bekannt. Zum Ausleben der Freikörperkultur hätten die Wienerinnen und Wiener wohl ausreichend Gelegenheit in den entsprechenden Bereichen in der Lobau und auf der Donauinsel, heißt es auf STANDARD-Anfrage.

Klar ist: Rechtsstreitigkeiten mit den Nachbarinnen und Nachbarn sind zäh – und bis es Klarheit gibt, ist der Sommer vorbei, und der Nackerte hat sich längst etwas übergezogen. Was zwischenmenschlich der beste erste Schritt ist: einfach mal beim Nachbarn anläuten, wenn man sich gestört fühlt – und sich wiederum was überziehen, wenn die Nachbarn mit Gesprächsbedarf vor der Tür stehen. Ein Sichtschutz kann generell Wunder wirken. So klappt es mit dem Urlaub auf Balkonien. (Franziska Zoidl, 25.8.2023)