"Ich kann mich noch genau an meinen ersten Comic erinnern. Mein Vater ist spätabends von einer Geschäftsreise aus Frankreich zurückgekehrt und hat mir einen Lucky Luke-Band unter den Kopfpolster gelegt. Ich war damals fünf Jahre alt, konnte also noch nicht lesen, aber die schöne Aufmachung mit dem Hardcover und den dicken Seiten hat mich fasziniert. Ich habe viele Stunden mit dem Buch verbracht und bin in diese Bilderwelt eingetaucht. Seither haben mich Comics nicht mehr losgelassen.

Comic-Buchhändler Sebastian Broskwa in Wien.
Paradies: Sebastian Broskwa in seinem Comic-Laden Pictopia in der Liechtensteinstraße.
Gerald Zagler

Nun vertreibe ich seit fast 20 Jahren Comics in Österreich, und seit über zehn Jahren führe ich den Laden Pictopia Comics hier im neunten Bezirk in der Liechtensteinstraße. Sie können bei uns den neuen Asterix kaufen, Kinder-Comics, Superhelden-Titel oder eine Auswahl an Mangas – die boomen besonders bei Teenagern. Mein Fokus im Sortiment liegt aber auf Graphic Novels oder, besser noch, Autorencomics, also Comics mit anspruchsvollen Inhalten für Erwachsene, die sehr aufwendig gemacht sind. Persepolis zum Beispiel oder Maus, die hier oben im Regal stehen, sind Klassiker in dem Genre. Außerdem arbeite ich eng mit der österreichischen Comic-Szene zusammen, die sich zum Glück immer stärker behauptet. Österreich ist mittlerweile eine Comic-Nation.

Klein, aber fein

Weil mein Geschäft sehr klein ist, kann ich mir den Luxus leisten, sehr genau reinzulesen in die Bücher. Die bildliterarische Qualität muss stimmen. Wie gut transportieren die Illustrationen die Story, und wie gut ist die Story selbst? Das sind die Kriterien, nach denen ich aussuche. Meine Stammkundschaft weiß mein Sortiment zu schätzen. Ich freue mich immer, wenn ich die Leute, die hierherkommen, beraten kann.

Ob es früher besser war? Nein. Finanziell ist es immer eng, jetzt besonders durch die Teuerung, aber ich verkaufe heute hundertmal mehr als zu Beginn, weil einfach das Segment etablierter ist. Zum Glück hat ein Kulturwandel stattgefunden. Die Akzeptanz ist größer. Inzwischen lesen auch immer mehr Frauen Comics. Zum Comic-Geschäft bin ich über Umwege gekommen. Ich habe nicht wirklich gewusst, was ich beruflich machen möchte, habe Psychologie studiert, daraufhin in der Meinungsforschung und für die Werbung gearbeitet. Diese Jobs haben mich aber nie wirklich erfüllt.

Als ich zu Beginn meines Studiums in Wien das erste Mal in einen richtigen Comic-Laden reingelatscht bin, dachte ich mir: wow! In den 1990er-Jahren sind Comics nämlich noch als Kindereien abgetan worden, auch in meinem Freundeskreis. Das Angebot für Teenager und Erwachsene war wirklich mies. Dort im Laden sind sie aber plötzlich vor mir gelegen: Sin City, Watchmen, Black Hole und viele andere Kultklassiker, die mich interessiert haben. Diese Fundgrube ist zu meinem Refugium geworden, ich habe dort mein Zweitstudium absolviert sozusagen.

Auf Comic-Mission

Mir ist bewusst geworden, dass die Ablehnung damals ein Unsinn war. Viele Menschen waren einfach zu borniert, um sich mit Comics zu beschäftigen. Ich habe mich darüber auf einschlägigen Websites mit anderen Enthusiasten vor allem aus Amerika ausgetauscht: Klar war, dass die Bücher und Hefte rausmussten aus den Comic-Shops und rein in normale Buchhandlungen. Also habe ich bei deutschen Comic-Verlagen angefragt, ob ich ihre Bücher in Österreich vertreiben soll. Ich bin in Buchhandlungen gegangen und habe Graphic Novels angeboten, also Comics für Erwachsene. Zu Beginn habe ich noch nebenberuflich gearbeitet, aber bald schon ist es immer mehr geworden, und Comics wurden zu meinem Hauptjob. Ich kann davon leben. Mit zwei Kindern ist das Geld aber schon etwas knapp.

Black Hole von Charles Burns – "Eine intensives Coming-Of-Age-Meisterwerk über Teenage Angst, Body Horror und Suchtdruck. Es liest sich wie Franz Kafka, wenn dieser Comics gezeichnet hätte – nur besser."
Reprodukt
Der Kaiser Maximilian I. von Giulio Camagnis –"Die inspirierte Comic-Biografie beeindruckt durch ihre historische Seriosität, erzählerische Vielschichtigkeit und zeichnerische Eleganz."
Bahoe Books
Die Katze des Rabbiners von Joann Sfar –"Der Kater des Rabbiners frisst dessen Papagei und kann fortan sprechen: jüdisch, quirlig, philosophisch und rotzfrech."
Avant-Verlag
Persepolis von Marjane Satrapi –"Die junge Iranerin Marjane Satrapi lebt unter den Repressionen der islamistischen Diktatur als sich plötzlich die Möglichkeit eines Wienaufenthalts ergibt."
Edition Moderne
Die Goldgruber-Chroniken von Nicolas Mahler –"Hochkomisch erzählt Nicolas Mahler von seinen frühen Jahren als Comiczeichner. In Wien der 1990er-Jahren wurde er sowohl von der Literaturwelt als auch von der Kunstszene abgelehnt."
Reprodukt
Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens von Ulli Lust – "Eine rasante autobiografische Erzähung, wie Ulli Lust als Wiener Punkmädel im Jahr 1984 dem Winter die Stirn bot und ohne Geld und Papiere über die Grüne Grenze nach Italien verschwand."
Avant-Verlag

Beruflich bin ich viel unterwegs, in Buchhandlungen, die von uns kaufen, oder auf Messen. Wir beliefern auch Bibliotheken, gehen in Schulen und organisieren Veranstaltungen mit Autorinnen und Autoren, die neue Bücher herausbringen. Das Schönste an meiner Arbeit ist, den Menschen Comics näherzubringen, ihnen zu zeigen, wie vielfältig und faszinierend Comics sind. Ich kann mich noch an eine junge Buchhändlerin erinnern, der ich irgendwann Autorencomics gezeigt habe. Sie ist später zu mir gekommen und hat gesagt, dass sie zur Vollblut-Comic-Leserin geworden ist. Sie hat zudem selbst begonnen, Comics zu zeichnen. Das sind die besten Momente, wenn ich in anderen eine solche Begeisterung auslösen kann.

Meinen ersten Lucky Luke-Band habe ich übrigens immer noch zu Hause, zwar schon komplett zerfetzt vom vielen Lesen, aber noch funktionstüchtig." (Gerald Zagler, 27.8.2023)