Rückblick auf den Sommer 2003: Die deutschen Fußballfrauen holen ihren ersten Weltmeistertitel in einem turbulenten Bewerb, der aufgrund der Sars-Epidemie kurzfristig von China in die USA verlegt wird. "Ab in den Süden" ist der Hit des Sommers und hält sich zwölf Wochen lang auf Platz eins der österreichischen Charts. Der Sommer geht als Jahrhundertsommer in die Geschichte ein – aber nicht im positiven Sinne. In Portugal herrscht aufgrund von Waldbränden der Katastrophenzustand, auch Spanien und Südfrankreich kämpfen mit dem Feuer. Die extremen Temperaturen fordern allein in Europa 70.000 zusätzliche Hitzetote.

Wir schreiben das Jahr 2023: Diesmal dürfen die Spanierinnen über ihren ersten WM-Titel jubeln. "Ab in den Süden" ist längst aus den Charts verschwunden, aber noch immer machen sich tausende Österreicherinnen und Österreicher auf den Weg an die Strände in Italien oder Kroatien. Im Mittelmeerraum toben Waldbrände, viele Urlaubsorte steuern auf neue Temperaturrekorde zu. Der Juli ist der heißeste Monat seit Beginn der Messungen. Es gibt einige Parallelen zwischen den Jahren 2003 und 2023, aber auch einen großen Unterschied: Viele Staaten haben sich mittlerweile auf die hohen Temperaturen vorbereitet – mit sogenannten Hitzeschutzplänen.

Zwei Frauen sitzen auf einer Bank in einer Ecke auf den Straßen von Toulouse am 23. August 2023: Eine Frau hält einen Fächer, die andere hat eine Wasserflasche neben sich stehen und kramt in ihrer Tasche.
Der Klimawandel bringt mehr und längere Hitzewellen – für einige Menschen kann das gefährlich werden.
AFP/CHARLY TRIBALLEAU

Frankreich bereitet sich vor

Vor allem Frankreich gilt seit 2004 als Vorbild im Umgang mit der Hitze. Dort trifft jedes Jahr zwischen 1. Juni und 15. September automatisch der "Plan Canicule", ein 51-seitiger Hitzeaktionsplan in Kraft. Dieser besteht aus vier Stufen, bereits ab der dritten Stufe ("orange") treten die ersten Notfallmaßnahmen in Kraft. Städte und Gemeinden bieten dann gekühlte Räume an, in denen sich gefährdete Personen aufhalten können, die Klimatisierung von Krankenhäusern und Pflegeheimen wird verstärkt. Außerdem führen die französischen Departements seit 2003 ein Register mit allen alleinstehenden Personen über 60 Jahren. Bei einer Hitzewarnung für mindestens drei Tage und drei Nächte werden sie angerufen oder von Sozialarbeitern besucht und erhalten Hilfe im Umgang mit der Hitze.

Die höchste Warnstufe tritt schließlich bei Temperaturen über 40 Grad Celsius in Kraft. In diesem Fall können die Verantwortlichen in den Städten und Departements Veranstaltungen im Freien absagen und öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten schließen. Außerdem werden alle Krankenhäuser in Alarmbereitschaft versetzt und dürfen gegebenenfalls ihr Personal aus dem Urlaub zurückholen.

Der Grund für die strengen Vorkehrungen ist, dass Frankreich besonders hart von der Hitzewelle im Jahr 2003 getroffen wurde. Damals wurde zu spät reagiert, als die Leichenhallen bereits voll waren. 15.000 Menschen starben durch die Hitze, das Land stand unter Schock. Man habe jedoch aus den Fehlern gelernt: Der "Plan Canicule" geht dieses Jahr in die 20. Runde und wurde in der Zwischenzeit mehrfach evaluiert und überarbeitet. Auch das nördlich gelegene Großbritannien reagierte 2004 mit einem "Heatwave Plan". Ebenso lang gibt es die Hitzeaktionspläne in Spanien, Italien und der Schweiz. Aber wie sieht es in Österreich aus?

Ein kreuzförmiges Display einer Apotheke in Chamonix, Frankreich, zeigt eine Temperatur von 33 Grad Celsius. Im Hintergrund ist der Mont Blanc zu sehen. Aufgenommen am 23. August 2023.
Seit 2004 gilt in Frankreich ein nationaler Hitzeplan, der vor allem vulnerable Gruppen schützen soll. Am Mittwoch zeigte dieses Thermometer in Chamonix nahe dem Mont Blanc 33 Grad.
REUTERS/CECILE MANTOVANI

Keine einheitliche Strategie

Das föderale System macht es hierzulande schwieriger, eine einheitliche Strategie auf die Hitzegefahr zu entwickeln. "Die Vorbereitung auf Hitzebelastungen liegt vor allem in der Verantwortung der Bundesländer", teilt das Gesundheitsministerium auf Anfrage des STANDARD mit. Begründet wird dies mit den "geografischen und klimatischen Besonderheiten" der einzelnen Regionen. Zwar ist Frankreich wesentlich größer und hat ebenfalls Gebiete mit unterschiedlichen klimatischen Gegebenheiten, im Gegensatz zu Österreich ist die Grande Nation aber zentralstaatlich organisiert – und hat dadurch einen entscheidenden Vorteil, wenn es darum geht, konsequent auf die Hitze zu reagieren. Expertinnen und Experten sprechen sich deshalb für eine gemeinsame Linie aus, so auch Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien: "Es wäre sinnvoll, eine einheitliche Strategie zu haben."

Zwar existiert streng genommen seit 2017 auch hierzulande ein "Gesamtstaatlicher Hitzeschutzplan", erstellt unter der damaligen Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ). Zu vergleichen mit den mehrstufigen Warnsystemen in Frankreich oder Spanien ist das achtseitige Dokument jedoch nicht. Der österreichische Hitzeplan sieht lediglich vor, dass die ZAMG, seit Anfang 2023 unter dem Namen Geosphere Austria, die Bevölkerung über ihre Internetseite vor anbahnenden Hitzewellen warnt. Ebenso stellt das Gesundheitsministerium auf ihrer Website Informationen zur Verfügung, wie man sich bei Hitzewellen richtig verhält, und richtet "im Bedarfsfall" ein Hitzetelefon ein. Dieses wurde heuer bereits am 20. Juni aktiviert, als sich die erste Hitzewelle des Jahres angebahnt hat.

Zwei Menschen suchen Abkühlung unter einer Nebendusche während einer Hitzewelle in der Wiener Innenstadt am 21. August 2023
In Österreich gibt es bislang keine nationalen Maßnahmen gegen die Hitze.
REUTERS/JULIA GEITER

Aber: Im Hitzeplan ist eben auch festgehalten, dass die meisten Zuständigkeiten bei den Ländern liegen. So liegt es etwa in der Verantwortung der Länder, Einrichtungen wie Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Apotheken, Einsatzorganisationen, Kindergärten und Schulen zu informieren. Und auch die Entscheidung, wann welche weiterführenden Maßnahmen ergriffen werden, ist ganz den Bundesländern überlassen – und da gibt es von Region zu Region mitunter große Unterschiede.

Bundesländer im Süden gehen voran

In Österreich ist die Steiermark der Vorreiter: Dort wurde 2011 der erste heimische Hitzeplan ausgearbeitet. Das mittlerweile 94-seitige Papier diente auch dem Nachbarbundesland Kärnten als Vorbild, das seit 2013 einen eigenen Hitzeplan besitzt. In den folgenden Jahren zog Wien mit einem Hitzeaktionsplan nach, seit 2020 hat auch Vorarlberg eine eigene Strategie. Die anderen Bundesländer hinken dagegen nach. In Oberösterreich wird man lediglich auf eine Seite mit Tipps zur Abkühlung weitergeleitet. Das Land Tirol bewirbt ein Rezeptheft der Agrarmarketing Tirol mit "leichten Sommerspeisen" wie mariniertem Graukäse mit Knäckebrot oder Erdäpfel-Tacos und verweist auf den gesamtstaatlichen Hitzeplan. In Salzburg und dem Burgenland fehlen offizielle Anlaufstellen vollkommen.

Eine bundesweite Vereinheitlichung der Hitzestrategien ist laut Gesundheitsministerium dennoch nicht geplant. Der aktuelle Hitzeplan und die Hitzepläne der Bundesländer würden aber regelmäßig in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe, der AG Hitze, diskutiert und überarbeitet. Denn auch hierzulande setzt die Hitze den Menschen Jahr für Jahr mehr zu. 2022 zählte die Ages 231 hitzebezogene Todesfälle, eine Studie im Fachmagazin "Nature Medicine" kam sogar auf 419 Hitzetote. Laut einer Prognose könnte diese Zahl bis 2030 auf über 1.100 Hitzetote anwachsen. Zu den besonders gefährdeten Personen zählen ältere Menschen, Säuglinge und Kinder, Schwangere, Menschen mit chronischen Krankheiten oder in bestimmten Berufen. Vor allem am Arbeitsplatz brauche es dringend Anpassungen an die Hitzebelastung – und zwar für alle Berufe, fordert Umweltmediziner Hutter.

Information als Kernpunkt

Doch was sollte eine österreichische Hitzestrategie nun unbedingt beinhalten? Laut Hutter ist besonders die Information der Bevölkerung ein zentraler Punkt. Vor allem sozial Schwache und ältere Menschen sind schwer erreichbar, gehören aber zu den größten Risikogruppen. "Hier muss man sich gut überlegen, wie man die Informationen zu den Menschen bekommt", fordert Hutter. Auch über den Schutz von obdachlosen Menschen vor der Hitze werde aktuell noch zu wenig nachgedacht. "Die Hitze deckt die Schwachpunkte in unserer Gesellschaft auf", sagt der Umweltmediziner.

Hutter findet das französische Modell, wo alleinstehende Personen ab 60 Jahren angerufen oder von Sozialarbeitern besucht werden, zwar vorbildlich, es sei aber auch aufwendig und ressourcenintensiv. Es helfe bereits, wenn jeder und jede nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf ältere und alleinlebende Menschen in der eigenen Nachbarschaft schaut. Beim Nachbarn anzuklopfen, den Raum zu verdunkeln und einen Krug mit Wasser hinzustellen seien einfache, aber effiziente Maßnahmen.

Ein Junge trinkt bei Sonnenschein aus einer Wasserflasche
Im Sommer sollten mindestens 1,5 bis drei Liter getrunken werden, empfiehlt das Gesundheitsministerium. Besonders Kinder und ältere Menschen neigen jedoch dazu, viel zu wenig zu trinken.
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Darüber hinaus müsse sich die Politik ebenfalls überlegen, wie sie erwirken kann, dass die Menschen die Hitze auch ernst nehmen. Das sei laut Hutter auch eine Kommunikationsfrage: "Die Wichtigkeit muss an alle vermittelt werden. Es wird teilweise immer noch geleugnet, dass wir immer mehr Hitzetage haben." Dem widersprechen aktuelle Zahlen, nach denen Hitzewellen in Österreich verglichen mit der Zeit vor 1990 um rund 50 Prozent häufiger und ein paar Tage länger geworden sind. Die aktuelle Hitzewelle dauere etwa in Innsbruck bereits seit 15 Tagen an. "Nur zu sagen, die Politik muss etwas tun, reicht nicht. Die Bevölkerung muss auch mitspielen", findet Hutter.

Weniger Hitzetote

Wie viel die Hitzepläne bringen, hat sich bereits wenige Jahre nach dem Jahrhundertsommer gezeigt. Während der 18-tägigen Hitzewelle 2006 wurden in Frankreich dreimal weniger Hitzetote verzeichnet als prognostiziert. Vor allem bei älteren Personen ist eine weitaus geringere Sterblichkeit festgestellt worden. Auch in Italien, Spanien und England wurden in den Jahren, nachdem die nationalen Hitzepläne in Kraft getreten waren, ähnliche Entwicklungen beobachtet.

Mit dem Ringen um eine bundesweit einheitliche Linie ist Österreich allerdings nicht allein: Auch in Deutschland gelten derzeit noch von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Regeln. Im Juni verkündete Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), dass ein gesamtstaatlicher Hitzeplan gerade in Arbeit sei. Im Herbst soll außerdem eine "Statuskonferenz" stattfinden, um für den Sommer 2024 besser gerüstet zu sein. Vielleicht ringt sich bis dahin auch Österreich zu einer gemeinsamen Strategie durch. (Theresa Scharmer, 26.8.2023)