Gastbeitrag: Michael Schiffinger
Geschlechtsbezogene Unterschiede bei Karriere und Karriereerfolg und hier insbesondere beim Einkommen sind ein kontrovers diskutiertes Thema mit verschiedenen Ursachenzuschreibungen wie offenkundiger Diskriminierung, Unterschieden etwa in Ausbildung oder Persönlichkeit oder ungleichen Berufs- und Lebensentwürfen.
Wir sind einigen dieser Zuschreibungen anhand einer Mehrkohortenstichprobe von WU-Graduierten (Abschluss um 1990, 2000 und 2010) nachgegangen. Konkret haben wir Einkommensunterschiede über die ersten zehn Karrierejahre für vier Szenarien "virtueller Gleichstellung" zwischen Frauen und Männern untersucht. Neben der jeweiligen Gesamtstichprobe als Ausgangsszenario waren das Frauen und Männer mit möglichst gleichen Personenmerkmalen, bezogen auf Persönlichkeitseigenschaften, soziale Herkunft und Studienerfolg, mit möglichst gleichen Jobmerkmalen punkto Beschäftigungsumfang, Innehaben einer Leitungsfunktion und Unternehmensgröße und mit möglichst gleicher privater Situation. Konkret: dem Fehlen von Kindern und Ehe bzw. einer Beziehung mit gemeinsamem Haushalt.
Denn während etwa höhere Führungsmotivation oder Wochenarbeitszeit bei Frauen wie Männern einkommensförderlich sind, lässt sich auch für unsere Stichprobe ein unterschiedlicher Effekt insbesondere von Kindern auf das Einkommen beobachten: im Schnitt einkommensmindernd bei Frauen ("motherhood penalty"), aber tendenziell einkommenssteigernd bei Männern ("fatherhood bonus"). Dazu hatten alle Personen eine Kombination all dieser "virtuellen Gleichstellungen", sprich: gleiche Personen- und Jobmerkmale und nur Kinder- und Ehelose.
Unterschiede werden größer
Es lassen sich zwei zentrale Ergebnisse beobachten:
1. Beim Einstiegseinkommen ergeben sich in allen Kohorten noch keine nennenswerten Unterschiede. Diese bauen sich erst über die Zeit auf und führen in der Gesamtstichprobe zu einer Einkommenseinbuße der Frauen von durchschnittlich knapp einem Viertel im Vergleich zu den Männern. Hier zeigt sich in den jüngeren Kohorten kein Schließen der Einkommensschere, im Gegenteil.
2. Die Auswirkungen der oben genannten "virtuellen Gleichstellungen" bezüglich Personen-, Job- und Familienmerkmalen sind jeweils ungefähr gleich und isoliert betrachtet eher bescheiden. In Kombination führen sie allerdings zu einer deutlichen Schließung (wenngleich nicht zu einem Verschwinden) der Einkommensschere, insbesondere bei den jüngeren Kohorten.
"Androgynisierung" als Erfolgsstrategie
Zu guter Letzt haben wir jenseits der Unterscheidung zwischen Frauen und Männern auch den Geschlechtsrollentypus als potenziellen weiteren Einflussfaktor der Einkommensentwicklung untersucht, konkret vier diesbezügliche Ideal- oder Klischeetypen:
Während in der 1990er-Kohorte demnach vor allem feminines Auftreten finanziell sowohl bei Frauen als auch bei Männern abgestraft wurde, schneidet in den beiden jüngeren Kohorten besonders bei den Frauen der undifferenzierte Geschlechtsrollentypus am schlechtesten ab. Bei den Männern liegen undifferenzierter und femininer Typus durchgängig auf ähnlichem (und vergleichsweise geringerem) Einkommensniveau, während androgyner und maskuliner Typus die Einkommensführerschaft innehaben. Letzteres allerdings nur in den beiden älteren Kohorten; in der 2010er-Kohorte fällt der maskuline Typus punkto Einkommen vornehmlich bei den Männern auf das Niveau von feminin und undifferenziert. Der androgyne Typus setzt sich in dieser jüngsten Kohorte hingegen bei Frauen wie bei Männern von den anderen drei nach oben ab.
Insgesamt lässt sich folgendes Fazit ziehen (abgesehen von "Androgynisierung" als potenzieller Erfolgsstrategie): Die kinderlose Singlefrau mit ähnlichem Background und ähnlichen Jobmerkmalen wie ihr männliches Pendant lukriert heutzutage mehr denn je fast das gleiche Einkommen. Für die "typische Frau da draußen" gilt das hingegen weit weniger und auch weniger als früher. (Michael Schiffinger, 31.8.2023)