Wer ist schuld an der Klimakrise? Und wer muss jetzt handeln? Die Politik, indem sie Gesetze beschließt, die die Welt nachhaltiger machen? Oder jeder Einzelne, indem er weniger Fleisch isst und öfter das Auto stehen lässt? "Man kann das nicht trennen", ist Ursula Baatz überzeugt. Sie ist promovierte Philosophin und Achtsamkeitstrainerin und sagt: "Tatsächlich geht es um eine tiefgreifende Änderung in allen Bereichen." Nicht minder relevant als strukturelle Veränderungen sei also das persönliche Handeln.

Menschen wünschen sich ein gutes Leben, sagt die Wiener Philosophin. Die Vorstellungen, wie dieses gute Leben aussehen kann, seien derzeit sehr stark geprägt von Werbung und sozialen Medien. Sie vermitteln: Nur wer in den Urlaub fliegt, wird sich richtig gut erholen. Nur wer in einem Einfamilienhaus lebt, hat wichtige Lebensziele erreicht. Nur wer dies oder jenes hat, wird wirklich glücklich. Von diesen Vorstellungen gelte es Abschied zu nehmen, sagt Baatz, und genau hier kommt die Achtsamkeit ins Spiel. Welche Rolle sie in Zeiten der Klimakrise einnimmt, lehrt Baatz gemeinsam mit dem Politikwissenschafter Patrick Scherhaufer in einem Seminar beim Forum Alpbach.

Fröhliche junge Frau mit blonden haaren, im unscharfen Hintergrund grüne Bäume
Weniger ist oft mehr: Diese Erkenntnis ist in Zeiten der Klimakrise besonders relevant.
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Weniger ist mehr

Es gebe immer mehr Forschung dazu, dass Achtsamkeit für ein grundlegendes Wohlbefinden hilfreich ist. Durch sie lerne man, auf das Wesentliche zu fokussieren, sich nicht blenden zu lassen und sich selbst Pausen zu gönnen. Aktuell würden vielen Menschen Auszeiten schwerfallen: "Es braucht einen ständigen Erregungspegel, und nichts zu tun ist ganz schwierig." Ständig beschäftigt zu sein sei eine Art "gesellschaftliches Kommando", merkt Baatz. Die Devise: "Sei nützlich, tu was, genieße etwas, konsumiere etwas." Hier gelte es, sich seine eigenen Bedürfnisse klarzumachen. Was brauche ich wirklich? Und worauf kann ich daher womöglich verzichten? Diese Fragen würden derzeit viel zu selten gestellt.

Bewegungen wie etwa nachhaltiges Reisen oder Slow Food bewertet die Philosophin als positiv. Durch Slow Food lerne man, Geschmäcker wieder wahrzunehmen und genauer darauf zu achten, woher etwas kommt und wie es hergestellt wurde. Nachhaltiges Kaufen macht deutlich, dass es vielleicht gar nicht das hundertste T-Shirt in derselben Farbe braucht.

Was macht mich lebendig?

Doch wo fängt Achtsamkeit an? "Immer bei sich selbst", sagt Baatz. "Wichtig ist zu lernen: Was macht mich lebendig?" Das kann zum Beispiel die Erkenntnis sein, dass frühes Schlafengehen besser entspannt als abends fernzusehen. Oder auch, dass ein Wanderwochenende womöglich erfüllender ist als ein Kluburlaub mit Animation.

Achtsamkeit funktioniere jedoch "nicht auf Knopfdruck". Vielmehr müsse sie geübt und erprobt werden. Zum Beispiel durch die Aufmerksamkeit auf den Atem und die Gefühle und Gedanken, die gerade kommen und gehen. Der gute Rat ist, klein anzufangen und die Übungen täglich in den Alltag einzubauen. "In kleinen Dosen zu üben hat wirklich einen Effekt, und zwar längerfristig." Zehn Minuten pro Tag still zu sitzen und sich bloß auf die eigene Atmung zu konzentrieren sei bereits ein Anfang. Dadurch lerne man, seinen eigenen Körper und sein eigenes Leben wieder wahrzunehmen und auch zu merken, wo es vielleicht zwickt oder schmerzt. Außerdem reduziere es Stress.

Wanderer auf dem Großvenediger, Nationalpark Hohe Tauern, grüne Wiesen
Ein Wanderurlaub ist möglicherweise erfüllender sein als ein Kluburlaub, merkt Baatz an.
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Ein angenehmer Nebeneffekt: Man trainiert, spontane Gefühle erst einmal zu beobachten und nicht gleich überstürzt auf jeden Reiz zu reagieren. Dadurch werde man "viel handlungsfähiger, weil man zur Ruhe kommt und erst überlegt, was die passende Antwort auf eine Situation ist".

Konsequenzen bewusstmachen 

Achtsamkeit führe aber nicht nur zur Reduktion auf das Wesentliche und zu einer besseren Selbstwahrnehmung. Sie sorge auch dafür, sich der Konsequenzen des eigenen Handelns bewusster zu werden. Durch Achtsamkeit "entsteht eine Wahrnehmung davon, dass ich in meiner Existenz abhängig bin von den Gegebenheiten um mich herum, beispielsweise von der Luft oder vom Wasser", erklärt Baatz. "Es wird klar, wie sehr wir eigentlich auf das angewiesen sind, was um uns herum ist."

Es gebe Studien, die zeigen, dass Achtsamkeit den Blick öffnet – für das, was wir in vielen Situationen ausblenden, weil wir so abgelenkt sind, "dass wir nicht wahrnehmen, was Sache ist".

Achtsamkeit in der Politik

Achtsamkeit sei allerdings nicht nur auf der persönlichen, sondern ebenso auf der politischen Ebene zentral. In Großbritannien haben Parlamentarierinnen und Parlamentarier Achtsamkeitskurse zunächst zur eigenen Entspannung besucht. Danach hätten sie sich aber auch besser auf die wichtigen Themen konzentrieren und mit anderen Ansichten umgehen können, erklärt Baatz. "Denn um überhaupt neue Wege finden zu können, muss man erst einmal zur Ruhe kommen. Ansonsten dreht man sich gedanklich nur im Kreis und vergisst, wo man hinmöchte."

Auch für österreichische Politikerinnen und Politiker wären solche Achtsamkeitskurse nicht schlecht, meint Baatz. Doch selbst wenn sie sich bloß ab und zu gemeinsam ruhig hinsetzen und der Gegenseite mehr zuhören würden anstatt zu streiten, wäre bereits viel gewonnen. Schlussendlich könne man "niemandem kommandieren, achtsam und ein netter Mensch zu sein", räumt die Philosophin ein.

Indem sie dabei hilft, stärker wahrzunehmen, was jetzt gerade stattfindet, sei Achtsamkeit übrigens auch ein wirksames Mittel gegen die Klimaangst, also die lähmenden Ängste vor den Folgen der Klimakrise. Sie ermöglicht, mit starken negativen Gefühlen besser umzugehen.

Dennoch: "Achtsamkeit ist kein Allheilmittel und geht auch nicht von heute auf morgen", sagt Baatz. Wenn man jedoch bereit ist, sich darauf einzulassen, "ändert sich etwas zum Besseren". (Lisa Breit, 28.8.2023)