Bis Sonntag ist noch viel zu tun. Etliche Haushalte müssen Birgit Müller, Gabriele Handl und ihre Mitstreiter der Bürgerinitiative Berndorf noch ansteuern und ein Infoblatt in den Briefkasten stecken. Am Sonntag findet eine Volksbefragung zur Umwidmung und Bebauung zweier Naherholungsgebiete statt. Die Bürgerinitiative Berndorf kämpft seit eineinhalb Jahren dagegen.

Birgit Müller (links) und Gabriele Handl sind in der Bürgerinitiative Berndorf.
Birgit Müller (links) und Gabriele Handl (rechts) von der Bürgerinitiative Berndorf vor der Wankenwiese. Dort, wo heute die Hirse wächst, soll der erste Bauabschnitt entstehen.
Standard

Der Kremesberg und die Wankenwiese sollen zu Bauland werden – obwohl im Ort bereits rund 60 Hektar an gewidmetem Bauland zur Verfügung stehen und die Bevölkerungszahl leicht rückläufig ist. Gegen das Vorhaben hat sich heftiger Widerstand formiert. Im Ort kennt man derzeit fast kein anderes Gesprächsthema. "Nein zur Verbauung der Wankenwiese und des Kremesbergs" ist an vielen Stellen im Ort plakatiert. Längst geht es um mehr als zwei Grünflächen. Nicht wenige meinen: Am Sonntag geht es um die Zukunft von Berndorf.

Der verantwortungsvolle Umgang mit Boden beschäftigt die Menschen auch außerhalb des Triestingtals. Denn die Versiegelung von Böden schreitet rasant voran, obwohl zubetonierte Flächen dem Klima schaden, weil sie sich im Sommer aufheizen und Regenwasser bei Starkregen nicht abfließen kann. Doch das Bewusstsein dafür fehlt in vielen Gemeinden immer noch. Vor wenigen Wochen erst sorgte die Gemeinde Grafenwörth für Aufregung, in der Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl – er hat sein Amt mittlerweile ruhend gestellt – als Bürgermeister an Immobiliendeals verdient hat.

Berndorf Grünfläche
Wo noch Grünland ist, soll bald gebaut werden - zumindest wenn es nach dem Gemeinderat geht.
Zoidl

Das Problem, gegen das Initiativen wie jene in Berndorf Sturm laufen, ist nicht nur die fehlende Transparenz in vielen Gemeindeämtern: Werden Grundstücke von Grünland in Bauland umgewidmet, sind sie auf einen Schlag ein Vielfaches wert. Mit den richtigen Mehrheiten im Gemeinderat können Bürgermeister so Grünland zu Gold und Grundstücksbesitzer reich machen. Gleichzeitig wird Bürgerinitiativen oft vorgeworfen, sie würden nur eine Verbauung ihrer eigenen Nachbarschaft verhindern wollen. Auch in Berndorf sind viele, die sich gegen die Projekte wehren, Anrainerinnen und Anrainer. Und manche fühlen sich überrumpelt, wie viele andere Gemeinden im Umland von Wien, weil sie langsam Teil des Speckgürtels werden.

91 Reihenhäuser geplant

Rund 6.700 Bewohnerinnen und Bewohner dürfen am Sonntag ihre Stimme abgeben. Noch ist die Wankenwiese im Ortsteil St. Veit, auf der drei bis vier Hektar verbaut werden sollen, grün und wird gern zum Gassigehen mit dem Hund genutzt. Doch der gemeinnützige Bauträger Atlas mit Sitz in Wiener Neudorf plant hier 91 Reihenhäuser in vier Bauetappen. Bereits im Frühjahr sollte die Wankenwiese umgewidmet werden, was die Bürgerinitiative mit einer Unterschriftenaktion verhindert hat.

Bürgermeister Franz Rumpler (ÖVP) wünscht sich Wohnmöglichkeiten für junge Familien.
Bürgermeister Franz Rumpler (ÖVP) wünscht sich Wohnmöglichkeiten für junge Familien.
Standard

Doch das Projekt ist längst auf Schiene: Mit den Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern gibt es laut dem Projektentwickler "rechtskräftige Kaufverträge", die Kaufpreise seien ausbezahlt worden, und die Grundbucheintragung sei im Laufen.

Was in der Gemeinde außerdem für Unmut sorgt: Viele Berndorferinnen und Berndorfer fanden am selben Tag in ihren Postkästen die amtliche Information der Gemeinde über die Volksbefragung – und einen Flyer des Bauträgers mit seinem geplanten Projekt auf der Wankenwiese. "Das war nicht gewollt", betont Bürgermeister Franz Rumpler (ÖVP), man habe offenbar denselben Zusteller. Auf dem Postwurf wird ein "vollkommen ökologischer und klimafreundlicher Wohnpark" versprochen, "der jungen Familien eine leistbare und sichere Wohnzukunft sichern soll".

Aufgelöste Verträge

Der zweite Stein des Anstoßes ist der Kremesberg – dabei handelt es sich um das vielleicht schönste Platzerl im Ort, ein Naherholungsgebiet, das vom Ort aus über eine kurvige Straße erreichbar ist und von dem man bis zum Schneeberg sieht. 3,6 Hektar sollen hier umgewidmet werden. Mit dem Eigentümer, dem lokalen Forstunternehmer Johann Mehlstaub, ist der Bürgermeister familiär verbunden, Rumpler betont aber, dass dieses Projekt – wie auch die Wankenwiese – auf seinen Vorgänger im Amt, einen SPÖ-Bürgermeister, zurückzuführen ist.

Und auch die Vorverträge zwischen Eigentümer und Gemeinde, in denen unter anderem festgelegt wurde, dass die Gemeinde ein Grundstück für einen Hochwasserschutz umsonst bekommt, wenn die Widmung am Kremesberg entsprechend geändert wird. Seit heuer sind diese Verträge aufgelöst und die Umwidmung vom Tisch, betont der Bürgermeister, "momentan", setzt er nach, "ich weiß nicht, was in drei oder vier Jahren ist".

In Berndorf wird derzeit viel diskutiert. Im Bild: Bürgermeister Franz Rumpler und Birgit Müller von der Bürgerinitiative.
In Berndorf wird viel diskutiert. Im Bild: Bürgermeister Franz Rumpler und Birgit Müller von der Bürgerinitiative.
Standard

Der Grundstückseigentümer Mehlstaub bestätigt, dass die Umwidmung des Kremesbergs aktuell vom Tisch sei, und unterstellt einigen Mitgliedern der Initiative in einem Interview mit der "NÖN" Egoismus – sie würden sich nur gegen die Projekte wehren, da sie selbst Anrainer der zwei Grundstücke seien oder den Zuzug im Raum Berndorf gering halten wollen. Auch der Bürgermeister sieht hinter der Bürgerinitiative "Eigeninteressen", die mit guter PR aufbereitet worden seien.

In Berndorf scheiden sich schon bei der Fragestellung auf dem Stimmzettel, der am Sonntag in den Wahllokalen aufliegen wird, die Geister. Die Bürgerinitiative kritisiert Suggestivfragen, weil gefragt wird, ob die Gemeinde die Schaffung von "leistbarem, möglichst klimafreundlichem Wohnbau" ermöglichen soll. Die Formulierung wurde so vom Gemeinderat beschlossen, betont der Bürgermeister. Man sei davon überrumpelt worden, berichten Mitglieder des Gemeinderats.

Viel Bauland

Die Zahlen zeigen: In Berndorf fehlt es nicht an schon ausgewiesenem Bauland, ganz im Gegenteil: Bis 2050 habe man Reserven im Umfang von rund 60 Hektar, rund 33 davon verfügbar, die Zahlen stammen aus dem Örtlichen Entwicklungskonzept. Es gibt in der Gemeinde sogar Projekte, die baubewilligt sind – und noch nicht gebaut werden. Ein großer Teil der Baulandgrundstücke sei privat, die Gemeinde habe keinen Zugriff darauf, sagt Rumpler.

Weiteres Grünland umzuwidmen sei daher laut Initiative gar nicht nötig – Rumpler wiederum berichtet von zahlreichen Anfragen von jungen Familien im Gemeindeamt, denen ihre Genossenschaftswohnung zu klein werde und der passende Wohnraum fehle: "Ein normales Einfamilienhaus ist für Normalverdiener nicht mehr leistbar", sagt er, mit den Reihenhäusern der Genossenschaft sei der Einstieg leichter. Die Preise dafür stehen derzeit aber noch nicht einmal fest.

"Total verbaut"

Der Ort beschäftigt mittlerweile auch die Landespolitik. Berndorf sei ein bezeichnendes Beispiel für das Versagen der Raumordnungspolitik in Niederösterreich, sagt Grünen-Chefin Helga Krismer: Am klimafreundlichsten sei es, gar nicht zu bauen. Werde auf Bauland länger nicht gebaut, sollte rückgewidmet werden, fordert sie. Den Kremesberg in Berndorf kennt Krismer aus persönlichen Gründen sehr gut und findet: "Es kann nicht sein, dass irgendein Raumplaner nach einer Umweltprüfung befindet, dass das Baulandentwicklungsgebiet ist."

Rund 6.700 Menschen dürfen am Sonntag in Berndorf abstimmen.
Rund 6.700 Menschen dürfen am Sonntag in Berndorf abstimmen.
Standard

Im Gegenteil dazu habe die Wankenwiese immerhin innerörtlichen Charakter, dennoch kritisiert die Grüne, dass sie "total verbaut" werden soll. "In 30 bis 40 Jahren", sagt sie, "wenn auch die Sommer auf dem Land extrem heiß sind, wird sich niemand mehr wohlfühlen, wenn er dort in seiner Wohnung in einem dicht verbauten Gebiet sitzt."

Ergebnis ist nicht bindend

Sogar der Bürgermeister selbst scheint nicht so ganz an einen Erfolg an der Wahlurne zu glauben. Gegnerinnen und Gegner würden sich immer leichter mobilisieren lassen. Das Ergebnis der Volksbefragung ist aber nicht bindend. Was passiert bei einem Nein der Berndorferinnen und Berndorfer? "Dann wird sich die Politik damit befassen müssen", sagt Rumpler.

Bei der Bürgerinitiative freut man sich, wenn am Sonntag die viele Arbeit der letzten Wochen und Monate vorbei ist: "Aber eigentlich ist unsere Arbeit nie vorbei", sagt Birgit Müller. Sie könnte recht behalten. (Bernadette Redl, Franziska Zoidl, 1.9.2023)