In den 30er-Jahren entwickelte der deutsche Sozialforscher Erich Fromm den Typus des "autoritären Charakters". Viele Menschen seien der Freiheit nicht gewachsen und flüchteten sich daher in Konformismus, Untertanengeist, Ressentiments, abergläubische Einstellungen und (rassische) Stereotype, Ablehnung von allem Fremden. Werden sie selbst Teil der Macht, leben sie ihre Rachefantasien an Schwächeren aus. Obwohl das regelmäßig in der Katastrophe endet, wählen autoritäre Charaktere immer wieder entsprechende Parteien.

Die FPÖ ist die Partei des autoritären Charakters. Es gibt diese Tendenzen auch in anderen Parteien. Aber die FPÖ verkörpert den autoritären Charakter geradezu idealtypisch – in ihrem Personal wie in ihren Wählern.

Herbert Kickl
Die ÖVP will zwar nicht mit Parteichef Herbert Kickl koalieren, aber mit der FPÖ. Das kann nur schiefgehen.
APA/HELMUT FOHRINGER

In Europa ist die FPÖ durch zwei neuere Entwicklungen ein Sonderfall: Erstens rückt sie unter Herbert Kickl an den alleräußersten Rand und greift immer mehr auf ihre deutschnationalen und nationalsozialistischen Wurzeln zurück. Zweitens führt sie seit geraumer Zeit in den Umfragen und stellt daher den Kanzleranspruch.

Eine Machtübernahme, aber auch nur eine Regierungsbeteiligung durch die FPÖ wäre eine ernste Gefahr für die Demokratie in Österreich (und nebenbei für unseren Wohlstand, denn die FPÖ ist zu allem auch noch inkompetent). Die Beweise für die neue Hemmungslosigkeit der FPÖ sind erdrückend, zuletzt das Video der Jungen FPÖ, wo Jung-FPÖler beim Stichwort "Wir wollen Zukunft" den Blick hinauf zum "Führerbalkon" am Wiener Heldenplatz richten. Und Kickl wollte als Innenminister den Verfassungsschutz mitsamt dem Rechtsextremismusreferat zerschlagen.

Eine, wenn nicht die Hauptaufgabe der österreichischen Politik und der kritischen Öffentlichkeit ist daher, eine solche Entwicklung zu verhindern. Das ist weder undemokratisch noch gegen irgendeinen Wählerwillen. Wenn sich eine Wähler- und Regierungsmehrheit gegen die FPÖ bildet, dann ist es das. In einer jüngeren APA-Umfrage erklärten 70 Prozent, in Kickl kein Vertrauen zu haben.

Die Ablehnung Kickls als Person geht nicht einher mit einer ebenso starken Ablehnung der FPÖ selbst. Die FPÖ wird von mindestens einem Drittel ihrer Wähler als Protest gegen "die Eliten" und alle möglichen tatsächlichen oder eingebildeten Beschwerden empfunden. Das heißt nicht, dass alle wünschen würden, dass sie tatsächlich in die Regierung oder gar an die ganze Macht kommt – aber die Geschichte lehrt, dass in bestimmten Situationen eine entschlossene Minderheit ein ganzes Land "umdrehen" kann.

Die ÖVP will Kickl loswerden, aber notfalls mit der FPÖ koalieren. Das geht unweigerlich schief. Es ist daher an den vernünftigen Kräften in der Volkspartei, aber auch in der SPÖ und bei den Neos und Grünen, sich zusammenzutun und eine Mehrheit gegen die FPÖ-Machtansprüche zu bilden.

Das müsste einhergehen mit einer echten Anstrengung, den Ton und die Praxis der Politik überhaupt wieder auf die Basis eines Minimalvertrauens und eines Minimalkonsenses zu stellen. Man muss einander nicht lieben. Aber man muss eines wissen: Die FPÖ will "das System" stürzen. Und "das System" ist die liberale Demokratie. Das sind wir. (Hans Rauscher, 30.8.2023)