Till Lindemann dürfte aufgeatmet haben, als die Berliner Staatsanwaltschaft nun die Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts der Begehung von Sexualdelikten sowie Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz eingestellt hat. Sie ermittelte "nach Anzeigen Dritter in Zusammenhang mit Presseberichterstattung". Mehrere Frauen hatten angegeben, bei von Rammstein organisierten Partys von Sänger Till Lindemann zu sexuellen Handlungen gedrängt worden zu sein – möglicherweise unter Zuhilfenahme von K.-o.-Tropfen. Gleichzeitig schien er ein Nein – wenn auch schlecht – akzeptiert zu haben.

Rammstein-Sänger Till Lindemann auf einer Bühne
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat ein Ermittlungsverfahren gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann eingestellt.
APA/dpa/Malte Krudewig

Die Causa wurde medial intensiv begleitet und durch vielerlei Brillen betrachtet, zumal Rammstein eine der international erfolgreichsten deutschen Bands ist. Die Vorwürfe entlarvten ein System, mit welchem dem 60-jährigen Sänger Frauen zugeführt wurden – auch für Sex. Das mag verwerflich sein, ist aber nicht verboten. Doch die Mechanismen dafür missbrauchten deutlich das Vertrauen mancher weiblicher Fans.

Da war auf der einen Seite der angehimmelte Star, eine so krasse wie mysteriöse Kunstfigur auf der Bühne. Auf der anderen Seite Fans, die dem Impuls nachgaben, diesem Menschen nahe sein zu wollen. Zumal sie von einer Vermittlerin mit quasi offiziellem Anstrich eingeladen wurden – so sie äußerlichen Richtlinien entsprochen haben. Von manchen dieser Frauen kamen schwere Vorwürfe: Berichte von bedrohlichen Situationen, Blackouts, unerklärlichen Hämatomen.

Ihre Schilderungen spalteten das mediale Publikum und die Rammstein-Fans in zwei Lager: Im einen heißt es, selber schuld, eine Backstage-Party mit so argen Typen, was haben die erwartet? Auf der anderen Seite sind jene, die die Frauen sehr wohl als Opfer sahen, aber bereits ahnten, dass das alles schwer zu beweisen sein würde. Wie so oft, wenn Einzelpersonen wirtschaftlich übermächtigen Gegnern gegenüberstehen.

Das ergab einen erhitzten Diskurs zwischen den Polen von Recht und Moral. Da wurde die Unschuldsvermutung zur Floskel, da forderten Politikerinnen Auftrittsverbote ohne legale Grundlage. Doch moralische Entrüstung als Basis für Rechtsprechung samt deren Exekution kann sich niemand wünschen. Es zeigte bloß, dass ein moralisches Urteil schneller gefällt ist als ein rechtliches.

Es gilt nun einzusehen, dass die Opfer-Täter-Dichotomie juristisch nicht erwiesen werden kann. Lindemann ist nach derzeitigem Wissensstand kein Täter – was jemand nach seiner individuellen Moral von den kolportierten Geschichten halten mag, bleibt jeder und jedem unbenommen. Denn nicht nachweisbar bedeutet ja nicht, dass nicht alles genauso stattgefunden hat, wie die Frauen es berichtet haben.

Von Gewalt oder Missbrauch Betroffenen wird es damit aber nicht leichter gemacht, sich der Rechtsstaatlichkeit anzuvertrauen. Das Dilemma bleibt. (Karl Fluch, 30.8.2023)