Am Mittwoch wurde bei einer Pressekonferenz der Mietpreisdeckel vorgestellt.
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Die ÖVP wollte die überraschende Nachricht selbst unter ihre Leute bringen. Am Dienstag um 19.35 Uhr ging über einen ­Account der Partei eine Whatsapp-Nachricht an ÖVP-Mitglieder und Anhänger raus: "Wir möchten dich heute schon darüber informieren, was in Kürze in den Zeitungen steht", war dort zu lesen. "Unser Bundeskanzler" werde demnächst ankündigen, dass er "ein Programm gegen die Teuerung" vorbereite. "Jetzt kommt der Mietenstopp!"

Die Nachricht kam unerwartet – vor allem für die türkise Anhängerschaft. Noch im Frühjahr hatte sich die ÖVP in letzter Minute gegen eine Mietpreisbremse, wie sie damals genannt wurde, gewehrt. Die Grünen wollten ein Modell umsetzen, durch das die Erhöhung der Richtwert­mieten abgefedert worden wäre. Die ÖVP war gegen den Markteingriff und wollte im Gegenzug zumindest herausverhandeln, dass die Grunderwerbsteuer abgeschafft wird. Das wiederum wollten die Grünen nicht, die aber auf der Mietbremse beharrten. "Das wäre nichts anderes als eine Maßnahme für Wiener-Innergürtel-Bewohner gewesen", ätzt ein Türkiser noch heute.

Kanzler Karl Nehammer erklärte, woher der türkise Sinneswandel kam.
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Türkiser Schwenk

Was ist jetzt anders? Wie kam es zu dem Sinneswandel in der Volkspartei? Und wer profitiert vom neuen Modell?

Innerkoalitionär wurde der Mietpreisdeckel Ende Juli plötzlich wieder zum Thema – noch unbemerkt von der Öffentlichkeit. August Wöginger, ÖVP-Klubchef, soll auf die Grünen zugekommen sein. Sein Anliegen: Man müsse etwas gegen die steigenden Mieten machen. Beim kleinen Koalitionspartner stieß er auf offene Ohren. "Denen regnet es schon so herein, dass sie nicht mehr anders können", erklärt sich eine Grüne den türkisen Meinungsschwenk. Sie meint damit: Die ÖVP stehe unter Druck. Die Inflation ist in Österreich weiterhin deutlich höher als im EU-Schnitt. Im August betrug sie 7,5 Prozent – und damit sogar wieder mehr als noch im Juli.

In der ÖVP wird die Geschichte anders erzählt. Bereits im Frühjahr habe Wöginger in einer internen Sitzung darüber informiert, dass die Mieten gemeinnütziger Wohnungen im kommenden Jahr um rund 15 Prozent steigen würden. Daraufhin sei Kanzler Karl Nehammer hellhörig geworden, so erzählt es ein Türkiser, der dabei gewesen ist. "Dann brauchen wir einen Deckel, aber für alle", habe der Kanzler befunden. Und so habe die ÖVP ihr eigenes Modell ausgearbeitet – ohne die Grünen zu informieren.

Was ist ein Mietpreisdeckel?

Viele Mieten steigen mit der Inflation. Gibt es einen Deckel – wie der nun präsentierte von fünf Prozent ­pro Jahr –, dürfen Vermieter die Mieten nur mehr bis zu diesem Wert erhöhen.

In den vergangenen zehn Tagen wurden zwischen den grünen und den türkisen Verhandlerinnen und Verhandlern viele Telefonate geführt, Papiere hin- und hergeschickt, Texte freigegeben. Vergangene Woche gab es ein Treffen im Kanzleramt. Plötzlich musste es schnell gehen. FPÖ und SPÖ hatten eine Sondersitzung im Parlament einberufen. Thema: Teuerung. Oder wie die Opposition findet: das Versagen der Regierung im Kampf gegen die Inflation. Der türkis­-grüne Initiativantrag für die Novelle des Mietpreisdeckels wurde am Mittwoch in letzter Sekunde fertig – erst am Tag der Sondersitzung, in der er bereits eingebracht wurde.

Wer profitiert vom neuen Mietpreisdeckel? Und wie sinnvoll ist das Modell?

Der Deckel gilt nicht für Mieten auf dem freien Markt. Er greift in den meisten Altbauten sowie bei Gemeinde- und einigen Genossenschafts­wohnungen. Kritiker meinen: Eine wirkliche Entlastung wäre ein Deckel, der allen Mietern zugutekommt. Und: Der Deckel kommt spät, die Wohnkosten sind für viele Menschen in den letzten ­Monaten eine große Belastung geworden. Sinken werden die Mieten durch die Maßnahme nicht. Mieterschützer sind außerdem skeptisch, was die langfristigen Auswirkungen betrifft. Womöglich bringe der Deckel aus Sicht der ­Mieter schlussendlich sogar mehr Nachteile als Vorteile: eine Verteuerung.

Die Regierung wollte der Opposition mit der Verkündung einer Maßnahme vor der Sondersitzung den Wind aus den Segeln nehmen. Es gab allerdings noch eine kommunikationsstrategische Überlegung in der ÖVP: Nehammers ORF-Sommergespräch. Es wird kommenden Montag ausgestrahlt und wurde bereits diese Woche Freitag aufgezeichnet. Die ÖVP wollte für das Interview einen politischen Aufschlag liefern.

Worauf hätten sich Mieterinnen und Mieter ohne Deckelung ­einstellen müssen?

Um mehr als 15 Prozent ­würden die Mieten 2024 bei einem Teil des gemeinnützigen Wohnbaus steigen. Man muss dazusagen: Dabei geht es um extrem günstige Wohnungen, wo die Miete inklu­sive Erhaltungs- und Verbesserungsbeitrag bei 4,20 Euro pro Quadratmeter liegt. Die Richtwerte in den Altbauten würden auch ohne Novelle erst wieder im übernächsten Jahr steigen. Sie wären in der Höhe der Inflation der beiden Vorjahre erhöht worden. Jetzt liegt der Deckel eben bei fünf Prozent. Sogenannte Kategorie­mieten stiegen bisher überhaupt nur dann, wenn die Teuerungsrate die Fünf­-Prozent-Hürde übersprungen hat. Die Jahresinflation dürfte im kommenden Jahr darunter liegen. In dem Fall wären diese Mieten gar nicht gestiegen. Ab 2024 steigen sie nun jedenfalls einmal jährlich – und zwar in der Höhe der Inflation, allerdings nicht mehr als um fünf Prozent.

In der ÖVP gibt es einige Skeptiker, was die Maßnahme betrifft. Schließlich handle es sich um einen Markteingriff. Von den Befürwortern wird noch eine weitere strategische Überlegung ins Treffen geführt. Denn rund um Nehammer haben manche die Hoffnung, dass_SPÖ-Chef Andreas Babler nur einen schmalen linken Rand anspricht. "Die Marxisten und Linksextremen", wie es ein türkiser Stratege formuliert. Dadurch – so die Überlegung – werde links der Mitte Platz für die ÖVP frei. "Wir wollen nicht nur die Partei der Hausbesitzer und Vermieter sein, mit diesem Programm wären wir eine 16-Prozent-Truppe", sagt ein ÖVP-Mann. "Als Volkspartei müssen wir durch die Mitte durchmarschieren und auch Angestellte und Mieter ansprechen."

Die Grünen interessieren sich für die Motive des Koalitionspartners wenig – sie haben bekommen, was sie wollten. Ärgerlich sei im Nach­hinein nur, dass sich die Regierung durch früheres Handeln in Sachen Mieten viel hätte ersparen können, sagt eine Grüne.

Unklar ist allerdings noch, ob der Mietpreisdeckel die letzte Hürde im Nationalrat übersteht: die Zwei­drittelmehrheit. ÖVP und Grüne wollen die Novelle nämlich unbedingt mit einer Verfassungsbestimmung absichern – auch um sich gegen etwaige Klagen zu wappnen. Somit bräuchte die Regierung einen Teil der Opposition. SPÖ und FPÖ wollen der Regierung aber beide nicht zu einer Zweidrittelmehrheit verhelfen. Die Stimmen der Neos würden gar nicht ausreichen.

Ob es die Zweidrittelmehrheit überhaupt braucht, bezweifeln Juristen vorsichtig. Es wird auf ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2016 verwiesen, das dem Gesetzgeber weitgehende Eingriffe ins Mietrecht erlaubt.

Für SPÖ-Chef Andreas Babler ist klar: Eigentlich wolle die ÖVP die Immobilienwirtschaft "absichern". Durch einen "abscheulichen Trick" sollen deren "Mega-Gewinne" geschützt werden, ist sich Babler sicher. Durch das Gesetz werde schließlich weiterhin ermöglicht, dass Mieten jedes Jahr um fünf Prozent steigen können. Das werde in ein Verfassungsgesetz gegossen, das künftige Regierungen mit einfacher Mehrheit nicht aufheben könnten.

Vizekanzler Werner Kogler (links) und Bundeskanzler Karl Nehammer bei der Pressekonferenz.
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Nicht angreifbar

"Im Kern hat Babler recht, auch wenn es politisch zugespitzt formuliert ist", sagt der Verfassungsjurist Peter Bußjäger. Kritisch sieht er vor allem: Wird die Novelle in der Verfassung abgesichert, könnten Privatpersonen den Deckel nicht vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpfen. Denn Verfassungsbestimmungen sind nicht angreifbar, sagt der Rechtswissenschafter.

"Wenn die ÖVP jetzt darauf hinweist, dass sie eine funktionierende einfachgesetzliche Variante für den Mietpreisdeckel in der Hinterhand hat, zeigt das, dass hier bestimmte Interessen abgesichert werden sollen", sagt Bußjäger.

Der Druck auf die Regierung wird wohl mit oder ohne Novelle weiter wachsen. Jenen Menschen mit wirklich hohen Mieten – in Wohnungen am freien Markt – hilft auch die Neuregelung nicht. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, Bernadette Redl, Franziska Zoidl, 2.9.2023)