Ganze drei Tage lang lässt Julian Lubinger den Sauerteig für seine Croissants gehen. Am Ende vermischt er ihn mit Germ, weil er diesen Geschmack ganz einfach mag, sagt er. Er wälzt und faltet dann den Teig mit Butter, "tourieren" nennt sich das. Sechzehnmal geschieht das bei ihm. Was am Ende herauskommt, sind formvollendete Croissants, die Lubinger in seiner kleinen Backstube Ährnst in der Burggasse 57 anbietet.

Der 29-Jährige gilt derzeit als Wunderkind der Wiener Plunderszene. Seine Kreationen lösen eine regelrechte Schnappatmung bei den Foodies aus, die seine Kipferln innerhalb einer Stunde komplett aufkaufen. Eh verständlich: Selten trifft so gekonnt buttrige Feinheit auf resche Splitter, mit denen "man sich bei jedem Bissen ansaut", wie Lubinger scherzt. Die besten Croissants der Stadt, sagt die Foodszene, gibt es bei Ährnst.

Österreichische Wurzeln

Das Croissant ist aus Legenden gemacht. Also nicht wortwörtlich. Ein Croissant besteht in seiner ursprünglichen Version aus Mehl, Zucker, Salz, Germ, Milch und Butter. Das ist weder ein Geheimnis noch sagenumwoben. Es geht um die Entstehungsgeschichte: Kulturhistorisch existieren mehrere Geschichten über den Ursprung des Croissants. Deren Quellenlage ist wie so oft nicht gesichert. Aber interessanterweise führen viele davon nach Österreich. So soll das französische Croissant vom österreichischen Kipferl abstammen.

Eine Hand, die ein Croissant hält
Zwischen zwölf- und fünfzigmal kann der Croissantteig gefaltet werden. Heraus kommt immer ein krosses und buttriges Kipferl.
Getty Images / Alexandr Kolesnikov

Die hierzulande bekannte Erzählung besagt, dass die Bäcker in Wien nach der erfolgreichen Abwehr der Türken von 1683 das Kipferl kreierten. Es sei angelehnt an den sichelförmigen Halbmond, das Emblem der Türken. Eine französische Legende besagt, Marie-Antoinette höchstpersönlich führte das Kipferl in Frankreich ein, das dann auf den Namen "croissant de lune", "zunehmender Mond", getauft wurde und sich im Land verbreitete. Wieder eine andere Geschichte hält August Zang als Urvater des Croissants fest. Als der Wiener 1838 nach Paris ging, eröffnete er die Boulangerie Viennoise und vertrieb unter anderem das Kipferl. Von dort aus soll sich das Croissant als Kipferlabwandlung verbreitet und ganz Frankreich erobert haben. Zang verkaufte später seine Bäckerei, ging nach Österreich zurück und gründete die Tageszeitung Die Presse. Ein richtiger Tausendsassa.

Das Croissant war natürlich nie weg. Es war immer Teil eines Frühstücks oder ein süßer oder auch salziger Snack. Aber besonders wertgeschätzt oder relevant war das französische Kipferl hier nicht wirklich. In den letzten Jahren mauserte es sich zum Trendgebäck. Es eröffneten Boulangerien wie das Paremi in Wien, die den österreichischen Bäckerinnen und Bäckern zeigten, wie richtig gute Croissants zu schmecken haben. Menschen pilgern seither zu diesen Backstuben, wie Motto Brot oder L’Amour du Pain, die das Feingebäck zelebrieren. Plötzlich wird über Buttergeschmack, Teigschichten und Zartsplittrigkeiten gefachsimpelt.

Der Anfang des neuen Croissantbooms wurzelt in New York City. Vor zehn Jahren erfand der Patissier Dominique Ansel eine Gebäckchimäre, in dem er Croissantteig frittierte und mit Cremé wie einen Donut füllte. Der Cronut ließ New Yorker und Touristinnen zugleich stundenlang Schlange stehen. In den Jahren folgten der Cruffin, ein Croissant-Muffin-Hybrid, oder Croissants in Schnecken und Würfelform.

Letztere stammen von Le Deli Robuchon in London und waren vergangenes Jahr ein viraler Hit auf der Kurzvideoplattform Tiktok. Was die letzten zehn Jahre hervorstreichen: wie vielfältig der Teig und wie wichtig ein schönes Äußeres ist. Das Auge isst mit, in Zeiten von Social Media wissen das Bäckermeisterinnen nur zu gut. Diese "Instagrammisierung" sieht Lubinger aber kritisch: "Die Croissants schauen alle gleich aus. Die könnten staubtrocken sein. Sie werden mit Zuckersirup eingepinselt, damit sie glänzen und sich die Leute daran aufgeilen können." Er ist für mehr Vielfalt bei den Croissants, denn auch ihm gelingen die Kipferln nicht jeden Tag gleich. Das perfekte Gebäck besitzt leichte saure Noten und eine feine Süße. Die lange Teigführung sorge dafür, sagt Lubinger. Knusprig sollte es sein: "Ein letschertes Croissant macht keinen Spaß."

Feine Mischung

Aber nicht alle machen ihre Croissants wie er. Klassisch arbeitet man mit Germteig, der vor allem in der Industrie praktischer ist. Lubinger verwendet dagegen eine Sauerteig-Germ-Mischung. Dadurch werde das Croissant feuchter und besser verdaulich. Einem fixen Rezept folgt der junge Bäcker dabei nicht. Er passt seinen Teig je nach Luftfeuchtigkeit, Außentemperatur und ja, auch nach der Charge des Mehls an. Was dabei herauskommt: flaumige, knusprige und buttrige Perfektion. Die Lubinger am liebsten mit Butter und Marmelade isst. (RONDO, Kevin Recher, 9.9.2023)

Die besten Croissants in Wien

Parémi

Keine Liste der besten Croissantspots der Stadt ist vollständig ohne die OG-Bäckerei Parémi. Die französische Boulangerie wurde 2017 in der Innenstadt eröffnet und hat in Wien den Hype um das perfekte Croissant erst gestartet.
Bäckerstraße 10, 1010 Wien, paremi.at

L’Amour du Pain

Der Name ist französisch, der Bäcker ist es nicht: Fatjon Kolici ist Albaner und hat die französische Backkunst im Kamerun gelernt. Neben Croissants gibt es klarerweise auch Baguettes und exquisite Zuckerbäckereien.
Otto-Bauer-Gasse 21, 1060 Wien, lamourdupain.at

Lilla Soul

2016 verließ Horst Felzl die von ihm gegründete Bäckereikette, im Juli 2023 eröffnete er im 18. Bezirk die Boulangerie Lilla Soul. Dort gibt es Gebäck in schwedischer und französischer Tradition. Die Croissants und Pains au Chocolat schmecken genauso köstlich wie die Kardamom-Buller.
Gersthofer Straße 59, 1180 Wien, lillasoul.com

Motto Brot

Very instagrammable kommt die ans Motto-Hotel angeschlossene Bäckerei Motto Brot daher – wenn sie nicht gerade gesteckt voll ist. Beide Etablissements des Szenegastronomen Bernd Schlacher verströmen einen Hauch Pariser Chic. Da dürfen Croissants mit köstlich-splittriger Kruste nicht fehlen.
Mariahilfer Straße 71a, 1060 Wien, mottobrot.at

Ströck

Das Croissant von Pierre Reboul ist einer der Gründe, ein süßes Gebäckstück bei der Bäckerei Ströck zu naschen: riecht und schmeckt verlässlich gut.
Über 75 Standorte, stroeck.at