Das "Sprechzimmer 23", in dem ORF-Moderatorin Susanne Schnabl die diesjährigen "Sommergespräche" führte, gibt es im Parlament gar nicht. Diese kleine Halbwahrheit offenbarte Armin Wolf in der "ZiB 2" nach der Analyse des Gesprächs mit Karl Nehammer dem ORF-Publikum (und wir verraten sie hier natürlich auch noch). "Halbwahrheiten" hatte der Kanzler und ÖVP-Chef dem ORF zuvor im "Sommergespräch" nachgesagt.

Karl Nehammer im ORF-
"Glaubt an dieses Österreich": Karl Nehammer greift zu Leopold Figl.
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"Glaubt an dieses Österreich"

Optimismus wollte Nehammer im "Sommergespräch" spürbar verbreiten, und das freundlicher und weit weniger angriffig als zuvor in Auftritten bei Armin Wolf und Martin Thür in der "ZiB 2" der vergangenen Monate, wie etwa STANDARD-Vizechefredakteurin Petra Stuiber später bei der Analyse des "Sommergesprächs" festhielt. Nehammer lächelte meist betont freundlich und referierte mit Vorliebe über Leistungen der aktuellen Bundesregierung. Wahlen aber gewinnt man mit Zukunftsversprechen, eher nicht mit Leistungsbilanzen, kommentierte das ORF-Politologe Peter Filzmaier später in der "ZiB 2". Wahlen wie jene, die 2024 ansteht.

"ZiB 2": Analyse des "Sommergesprächs" mit ÖVP-Obmann Nehammer
Fünfter Gast bei den "Sommergesprächen" 2023 war Bundeskanzler und ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Nehammer. Im "ZiB 2"-Studio analysieren der Politikwissenschafter Peter Filzmaier und die Journalistin Petra Stuiber (DER STANDARD) dessen Aussagen.
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Einen Satz sollte Nehammer als Schlusseinlage in der Dramaturgie der "Sommergespräche 23" noch festhalten. Einen Satz, mit dem man seine Kanzlerschaft im Gedächtnis behalten soll – oder zumindest in den stenografischen Protokollen des Nationalrats. Nehammer holt weit aus zum ganz großen Satz, den schon ein anderer Bundeskanzler vor ihm geprägt hat: "Glaubt an dieses Österreich!" aus der legendären Weihnachtsansprache Leopold Figls im Jahr 1945. Die Österreicher blicken halt gern mit Zuversicht in die Vergangenheit, und so auch Nehammer.

"Sommergespräche 2023" (ÖGS): Welcher Satz soll in Erinnerung bleiben?
Als letzter Parteichef hat ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Nehammer die ORF-Interviewserie "Sommergespräche" am Montag beendet. In einer knappen Stunde wurde ein weiter Bogen gespannt von der Koalitionsstimmung über die Wirtschaft und den Klimaschutz bis hin zu seinem Vorgänger Sebastian Kurz. Aber gleich zu Beginn wagte der ÖVP-Chef einen Vorstoß in Sachen Kinderbetreuung.
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Bundeskanzlers "unglückliche Lage"

"Ich weiß, man ist immer in der unglücklichen Position, seine Tätigkeit als Bundeskanzler verteidigen zu müssen", seufzt Nehammer auf die Frage nach den späten Maßnahmen der Regierung nach gewaltig gestiegenen Mietpreisen. Sie liegen da falsch, möchte Nehammer vermitteln, er sagt das nur ein bisschen komplizierter, das klingt besser: "Der Realbefund ist ein anderer." Er zählt viele Maßnahmen auf, mit denen die Regierung aus seiner Sicht wirksam gegen die Teuerung vorging und vorgeht. Und er will sich dabei nicht unterbrechen lassen, "sonst verliert man den systemischen Blick".

Kurz darauf offenbart Nehammer noch ein bisschen deutlicher, dass er sich von den Medien doch sehr unter seinem Wert geschlagen fühlt, und gar vom ORF (der gerade eine neue öffentliche Finanzierung mit einem ORF-Beitrag von allen bekommt). "Das habe ich noch nie gehört in einem Beitrag", beschwert sich Nehammer mit erhobener Hand. Das Glas sei halbvoll (nicht jenes von Figl, der gern zu diesem griff) und nicht halbleer, mahnt Nehammer Positives ein. Im Gegensatz zu Deutschland sei Österreich nicht in einer Rezession, es gebe 200.000 offene Stellen, die Langzeitarbeitslosigkeit sei halbiert, dieses Österreich sei "herzeigbar" und "gut durch die Krise" gekommen.

"Sommergespräche 2023": Teuerung: Warum kommt die Hilfe so spät?
Als letzter Parteichef hat ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Nehammer die ORF-Interviewserie "Sommergespräche" am Montag beendet. In einer knappen Stunde wurde ein weiter Bogen gespannt von der Koalitionsstimmung über die Wirtschaft und den Klimaschutz bis hin zu seinem Vorgänger Sebastian Kurz. Aber gleich zu Beginn wagte der ÖVP-Chef einen Vorstoß in Sachen Kinderbetreuung.
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Redlich ist das neue Normal

"Ich weiß, Sie wollen nicht über die Verdienste oder die Leistungen dieser Regierung sprechen, aber es ist redlich, sie zu erwähnen." Redlich ist das neue Normal des Kanzlers, ein Lieblingswort jedenfalls im "Sommergespräch". Dort zeigt er auch, dass man mit Wahrheit rechnen kann. Verdienste der Regierung seien auch zu erwähnen, denn: "Weil eine Wahrheit und die andere gehören zusammen, dann ist es eine ganze Wahrheit, sonst ist es eine Halbwahrheit."

Reden, was geht

Nehammer will "Mut machen", es war "noch nie so gut für einen jungen Menschen, einen Job zu finden", redet er weiter und weiter dem Optimismus das Wort. "Herr Bundeskanzler, ich muss Sie ein bisserl einbremsen", geht Schnabl in gewohnt erfrischender Ruhe dazwischen. "Ich weiß, ich weiß", redet Nehammer weiter, "aber Sie haben davor ganz viel über das alles gesprochen, was nicht geht, und gestatten Sie mir, genau jetzt die Gelegenheit zu nutzen, darüber zu sprechen, was geht. Der ganze Pessimismus, das ganze Schlechtreden, ich weiß, Kritik ist wichtig, aber Kritik alleine löst nichts ..."

Das gilt natürlich vor allem für TV-Kritiken, daher lösen wir hier nur noch ein Rätsel:

Was war die kleine Halbwahrheit am berühmten "Sprechzimmer 23", das etwa FPÖ-Chef Herbert Kickl an "Stasi-Verhörzimmer" erinnerte? Es ist das Sprechzimmer Nummer zwei im Parlament, es gibt überhaupt nur vier davon. Der ORF hat, dem Jahr entsprechend, vorübergehend einen Dreier am Türschild ergänzt und nun wieder abgenommen. Haben wir das also auch gehört in einem ORF-Beitrag. (Harald Fidler, 5.9.2023)