Und sie bewegt sich doch. Beim Thema Kinderbetreuung ist die ÖVP gerade ideologisch einen ziemlich weiten Weg gegangen – wenn das umgesetzt wird, was Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer im ORF-Sommergespräch angekündigt hat: 4,5 Milliarden Euro bis 2030 für den Ausbau von Ganztagskindergärten, mit einem Schwerpunkt auf Plätzen für unter Dreijährige. Das ist insofern bemerkenswert, als vor nicht allzu langer Zeit das Mantra die "Wahlfreiheit" für Frauen war, was übersetzt hieß: Länger daheimbleiben beim Kind ist voll okay; wenn schon arbeiten, dann maximal Teilzeit – und der Nachwuchs bei der Tagesmutter.

Karl Nehammer im ORF-Sommergespräch.
Kündigte Finanzspritze für Kinderbetreuung an: Bundeskanzler Karl Nehammer im ORF-Sommergespräch mit Susanne Schnabl.
APA/GEORG HOCHMUTH

Davon ist Nehammer, ohne es auszusprechen, nun abgerückt. Es geht um den Ausbau von Kindergärten, die ganztägig Betreuung, auch für die Kleinsten, anbieten – öffentliche, private, auch Betriebskindergärten sollen gefördert werden.

Dass die ÖVP damit einen längst überfälligen Schritt in die Arbeitswelt-Realität des 21. Jahrhunderts getan hat, ist wohl auf den wachsenden Druck des Wirtschaftsflügels zurückzuführen, vor allem der Frauen in der Wirtschaft, Unternehmerinnen wie Angestellter. Unternehmen gehen die Arbeitskräfte aus, schön langsam wird die Lage prekär. Da finden dann auch plötzlich Stimmen Gehör, die seit Jahrzehnten gute Kinderbetreuung auch für die Kleinsten fordern. Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass Frauen in ihre Jobs zurückkehren – und auch mehr als minimale Teilzeit arbeiten wollen.

Bemerkenswert ist, dass Nehammer versprach, der Bund werde den Gemeinden unter die Arme greifen – nicht nur was den Ausbau, auch was die künftigen Personalkosten betrifft. Man darf gespannt sein, wie sich das auf die laufenden Finanzausgleichsverhandlungen auswirkt: Wird der Bund zentral die Kinderbetreuung in den Ländern regeln, oder gibt es eine Regelung wie bei den Landeslehrern – die Länder schaffen an, der Bund zahlt? Letzteres hat sich eher mittelgut bewährt.

Ein Wermutstropfen ist, dass der Kanzler und ÖVP-Chef offenbar kein großes Vertrauen in die reale Umsetzung seiner eigenen Versprechen hat – sonst würde er sich bei der Frage, ob es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung geben soll, nicht so zieren. Nehammer will erst "alle Voraussetzungen schaffen" und dann darüber reden – man kann sich ausrechnen, dass dies wohl kaum vor der Nationalratswahl sein wird. Damit verschiebt er die Einführung eines wichtigen Instruments zur Gleichstellung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. (Petra Stuiber, 5.9.2023)