Fast zwei Drittel haben kein Mitspracherecht bei der Gestaltung ihres Arbeitsmodells, ergibt eine international durchgeführte Studie (1.500 Teilnehmende) des Beraterhauses Boston Consulting Group BCG. Was Flexibilität genau ist, wird ihnen entweder von unternehmensweiten Richtlinien vorgegeben oder von den jeweils Vorgesetzten diktiert.

Bei 39 Prozent entscheidet der Arbeitgeber über den Arbeitsort – und das hinterlässt ein Viertel Unzufriedene. Fallen diese Entscheidungen allerdings gemeinsam im Team, dann outen sich nur sechs Prozent als unzufrieden.

Eine junge Frau, Lehrling, steht bei der Firma Doppelmayr und lächelt glücklich.
Zu wenig attraktiv für Junge? Oder sehr attraktiv? Vielleicht liegt es an den Angeboten zur Flexibilität.
Doppelmayr /Fasching

Lukas Haider, Managing Director und Partner der BCG in Wien, sieht in diesen Ergebnissen große Missverständnisse zum Thema neue Arbeit plus Flexibilität bestätigt und ergänzt einen zentralen Punkt der aktuellen Studie: "90 Prozent der befragten Frauen, Pflegenden und LGBTIQ-Personen und Menschen mit Behinderungen legen besonders Wert auf flexible Arbeitsmöglichkeiten."

STANDARD: Was wird derzeit oft falsch verstanden bei allen Bemühungen um flexiblere Arbeitsmöglichkeiten?

Haider: Flexibilität heißt nicht, dass alle im Homeoffice sitzen oder alle eine Viertagewoche machen. Arbeitsort, Arbeitszeit, die Einteilung, der Modus – das muss individuell passen. Je näher die Gestaltung am jeweiligen Menschen und seinen Bedürfnissen ist, desto besser klappt es und desto zufriedener und motivierter sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

STANDARD: Personalverantwortliche jammern aber schon, dass sie dutzende Teilzeitmodelle etablieren müssen und das alles so aufwendig sei ...

Haider: Wir konfigurieren Autos mit einer Million Varianten – und dann sind uns mehrere Teilzeitmodelle in großen Unternehmen zu komplex?

STANDARD: Ihre Empfehlung lautet jedenfalls größtmögliche Maßschneiderei für jede und jeden?

Haider: Ja, weil "one size for all" nicht funktioniert. Je globaler die Regelung, desto unzufriedener sind die Einzelnen. Die Loyalsten sind jene, die anerkannt und wertgeschätzt werden. Es ist oft viel mehr möglich, je nach Jobfamilie, im großen Flickenteppich der Kollektivvertragsregelungen.

STANDARD: Bei wem landet also letztlich diese Komplexität – bei den Teamleadern?

Haider: Wenn im Team entschieden wird, dann sind die Ergebnisse in puncto Zufriedenheit am besten. Wir machen das bei BCG auch so. Es ist quasi eine Delegation auf ein subsidiäres Level, aber genau dort gehören diese Entscheidungen auch hin. Das ist für mich ein gutes Modell intelligenter Agilität.

Portraitbild von Lukas Haider, Leiter des Wiener Büros der Strategieberatung BCG.
Lukas Haider (Managing Director und Partner der BCG) will Flexi-Themen direkt in den Teams verhandelt wissen.
Credit: BCG

STANDARD: Wir berichten seit so langer Zeit über Fachkräftemangel, über abnehmende Arbeitszufriedenheit, über nachlassende Loyalität. Gleichzeitig wissen wir schon so lange, dass Wertschätzung der Person und ihrer Lebensbedürfnisse ein enorm starker Klebstoff ist. Was hält Unternehmen also davon ab, die "intelligente Agilität" umzusetzen?

Haider: Talente fragen genau danach, Menschen gehen wieder, wenn sie enttäuscht sind von der Art der Flexibilität, auch das ist eine bekannte Tatsache. Warum ändert sich nicht mehr? Ich würde sagen: Der Schmerz ist noch nicht groß genug! In meiner Einschätzung sind auch Teile des Managements noch nicht offen genug – das ist vielleicht auch eine Generationenfrage.

STANDARD: Wird er das denn in absehbarer Zeit? Wir sind inmitten von Schrumpfung, sitzen in eingetrübtem Arbeitsmarkt und wissen nicht genau, was künstliche Intelligenz alles auslösen oder vielleicht sogar auslöschen wird ...

Haider: Wir haben ein demografisches Problem in der Arbeitswelt. In den meisten Unternehmen geht die Boomergeneration in Pension, das sind so jeweils um die 20 Prozent der Belegschaften. Die Asymmetrien am Arbeitsmarkt werden bestehen bleiben. Das geht nicht weg, im Gegenteil. Und KI ruft zunächst nach mehr Talenten in der Anwendung und in der Umsetzung der Lösungen.

STANDARD: Ein Appell gegen die Variante Aussitzen?

Haider: Unbedingt! Findet die Wege, bevor die Schmerzen noch größer werden! (Karin Bauer, 7.9.2023)