Akademietheater
Maßarbeit gelingt der Modedesignerin Petra von Kant (groß: Dörte Lyssewski) in Liebesdingen nicht. Ihre Angebetete (Nina Siewert im roten Spitzenkleid) mach sich bald wieder aus dem Staub.
APA/BURGTHEATER/MATTHIAS HORN

Liebe an sich ist kein Geschäft, sie dient zwischenmenschlich aber doch als harte Währung. Wie sehr sich eine Modedesignerin in der Verbindung mit einem jungen Model verrechnet, zeigt Rainer Werner Fassbinder 1971 im Stück Die bitteren Tränen der Petra von Kant. Mit Lilja Rupprechts Neuinszenierung des von Fassbinder auch verfilmten Dramas hat das Akademietheater soeben seine Spielzeit eingeläutet. Es war ein trotz aller schauspielerischen und inszenatorischen Bemühungen ungerührt lassender Abend.

In einem weißgekachelten und mit Plexiglasfronten interessant gemachten Atelier (Bühne: Anne Ehrlich) liegt Petra von Kant gleich zu Beginn neben den nächtens geleerten Sektflaschen wie eine Alkoholleiche am Boden. Wie kaputt sie und manche ihrer Zeitgenossinnen sind, deuten deren von Mullbinden und Korsagen zusammengehaltenen Körper an. Auch die eigenen Modeentwürfe setzen offenkundig auf das Bild der Zersägtheit. Mit Deformationsoptik hat Kostümbildnerin Annelies Vanlaere ja bereits bei Rupprechts erster Burgtheaterregie, Am Ende Licht (2022), gepunktet.

Protektion

Nach zwei gescheiterten Ehen, in der verfehlten Rolle als Mutter und in der Frustration im Job stürzt sich die reiche und berühmte Couturière Petra von Kant (Dörte Lyssewski) in ein leidenschaftliches Verhältnis mit der jungen Karin Thimm (Nina Siewert), die sie zufällig über ihre Freundin Sidonie (Stefanie Dvorak) kennenlernt.

Sie möchte die aus einfachen Verhältnissen kommende junge Frau protegieren, ihr eine Karriere als "Mannequin" (so nannte man das damals) ermöglichen. Das Ganze ähnelt einem Sugar-Mommy-Konzept, doch die 23-Jährige ist ganz und gar kein Püppchen, hat Affären und kehrt, nachdem sie ihre Modelkarriere gestartet hat, dankend zu ihrem überraschend aus Australien angeflogen kommenden Ehemann zurück.

Kapitalistische Strukturen in Beziehungen oder das Instrumentalisieren von Macht – sie sind wesentliche Themen in Fassbinders Stück, es gelingt hier aber nicht, dafür Interesse zu wecken. Die Inszenierung findet keinen Weg, für den Stoff einzustehen. Das Aussperren jeder Gegenwart hat eben seinen Preis. Alles wirkt wie ein Gruß aus den 1970ern, fehlt nur noch der Flokati. Als Frau von Kant mit melodramatischer Stimme einen Lufthansa-Flug telefonisch ordert, geht schließlich ein raunendes "Haha" durch den Saal.

Orangen schneiden

Regisseurin Rupprecht stellt in diesem Kammerspiel einige Blicke mittels raumgreifender Projektionen scharf. Das ergibt eindrückliche Überblendungen, etwa dann, wenn die Handgriffe der von Petra von Kant kategorisch gedissten Haushaltsgehilfin Marlene (Annamária Láng) sich maximal groß über das Luxusatelier legen. Zum Frühstück schneidet sie eine Orange entzwei, zum Mittagessen ebenso. Dazwischen wird bei ihr Alkohol geordert.

Über die großen Wände ziehen die Bilder vom ersten Shooting mit Karin (Siewert hält deren linkische Züge lange genug verborgen) ebenso wie auch die von der mit großer Schere vollführten Maßarbeit Petra von Kants, der Lyssewski zunehmend Bodenlosigkeit angedeihen lässt. Die Figuren werden plastisch genug, doch ist mit ihnen nichts anzufangen.

Rupprecht schleust als Metabeitrag auch eine aus diversen Quellen arrangierte Interviewsequenz mit Fassbinder selbst (Norman Hacker) in den Abend ein, erweitert um die Liebestheorie der US-amerikanischen Autorin bell hooks. Ein guter, trocken absolvierter Kontrapunkt. Auf die Sprünge hilft das dieser Bühnenarbeit nur bedingt. Es scheint nicht die Zeit zu sein für exaltierte Ichs. Umso lieber schaut man der Gehilfin (Láng) zu, die stumm, zurückhaltenden Schrittes und rätselhaften Blickes ihren Job erledigt und die vielleicht auch einen Karrieretraum gehabt hätte. (Margarete Affenzeller, 7.9.2023)